Deutschlands Beschäftigte liegen mit ihrem Stresslevel über dem europäischen Durchschnitt. Ausschlaggebend sei die schlechte Führungsqualität.

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Durchschnittlich fühlen sich rund 39 Prozent der europäischen Erwerbstätigen gestresst in ihrem Job. Deutschland liegt bei 42 Prozent und damit laut aktuellem Gallup-Report über dem Durchschnitt. Das Stresslevel der hierzulande Beschäftigten ist im Vergleich zum Jahr 2022 um zwei Prozent angestiegen. Die steigende Tendenz deutet nicht auf eine Verbesserung der Situation seit der Pandemie hin, wohl aber zeigt der Bericht, dass die Befragten die Arbeitsmarktsituation insgesamt positiv bewerten.

Auffällig ist der Vergleich zu Arbeitnehmern im DACH-Raum. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich fühlen sich Beschäftigte entspannter als im Vorjahr, während in Deutschland das Gegenteil der Fall ist. Da der weltweite Schnitt bei 44 Prozent und damit über dem deutschen und europäischen liegt, ist das Phänomen „hohes Stresslevel“ jedoch kein Problem, dass nur deutsche Arbeitnehmer betrifft.

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Steigender Stress: Emotionale Bindung der Deutschen am Tiefpunkt

Marco Nink, welcher als Forschungsleiter bei Gallup tätig ist, macht auf die Bedeutung der emotionalen Bindung der einzelnen Mitarbeiter an das Unternehmen aufmerksam. Im Moment sei diese im Vergleich zu den vergangenen Jahren verhältnismäßig niedrig.

Die Identifikation mit dem Arbeitgeber, welche sich durch eine starke emotionale Bindung ergibt, beeinflusst die Zufriedenheit sowie das Stresslevel der Arbeitnehmer. Je intensiver diese ist, desto leistungsbereiter und produktiver zeigen sich Beschäftigte zumeist – und sie fehlen vor allem seltener, da das Stresslevel im Vergleich niedriger ausfällt. Unternehmen profitieren mit zunehmender Mitarbeiterbindung von einer ausgeprägteren Wettbewerbsfähigkeit.

Interessant ist auch, dass die Gallup-Daten darauf hindeuten, welch kleine Rolle der Arbeitsort als Faktor für Stress spielt. Es sei nicht so wichtig, wo die Arbeit stattfinde, sondern vielmehr, wie verbunden sich Arbeitnehmer fühlten. Dennoch kann es unabhängig davon lohnenswert sein, Mitarbeiter, wann immer möglich, Remote-Regelungen anzubieten, um die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern.

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Schlechte Führung als Ursache für Stress und Kündigungen

Besorgniserregend und zugleich aufschlussreich ist die Hauptursache für die mangelnde emotionale Bindung der Mitarbeiter: Maßgebend sei die „Qualität der Führung“, so Ninck. Es existiere ein Zusammengang zwischen Arbeitnehmern mit niedrigerem Stresslevel und guter Führung. Die Arbeitnehmer, die sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse übergangen fühlten, tendieren demnach zu einem höheren Stresslevel, wie die Gallup-Analyse zeigt.

Gestresste Arbeitnehmer: Was machen Führungskräfte falsch?

Die Gallup-Befragung macht nicht nur die Unzufriedenheit von Mitarbeitern deutlich, die sich dem Trend des Quiet Quittings angeschlossen haben, sondern zeigt auch, welche Änderungen diese sich wünschen. Hinsichtlich der Führungskultur und den generellen Ansprüchen von Arbeitnehmern wurden demnach einige Punkte genannt, die Verbesserungspotenzial haben:

1. Arbeitnehmer wollen fair und respektvoll behandelt werden

Die Bevorzugung einzelner Mitarbeiter, Benachteiligung bei Beförderungen oder toxisches Arbeitsklima: Mitarbeiter bemängeln oft das Verhalten von Vorgesetzten, die sich unfair verhalten und wenig bis kaum Respekt zeigen. Dabei ist ein faires und respektvolles Miteinander Grundvoraussetzung für stressfreies Arbeiten, hohes Wohlbefinden und Produktivität.

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Hier besteht in vielen deutschen Unternehmen bis heute Nachholbedarf. Angesichts des Bewerbermarktes würden nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber von einer Veränderung profitieren.

2. Arbeitnehmer wollen einen Chef, der transparent und ansprechbar ist

Hierarchien gehören nach wie vor zur Unternehmensstruktur vieler Betriebe. Dennoch sollten Führungskräfte moderner Betriebe sich nicht nur als Ansprechpartner darstellen, sondern sich tatsächlich verfügbar zeigen und für eine offene Kommunikation mit ihren Mitarbeitern bereit sein. Auch das sind wichtige Punkte, die Beschäftigte bemängeln und die zu einem höheren Stresslevel beitragen.

Wird regelmäßig Gelegenheit für Austausch geschaffen, ist der erste Schritt bereits getan. Auch Vorgesetzte sollten zudem konstruktive Kritik annehmen und proaktiv um Feedback bitten, um Arbeitnehmer zu einem offenen Austausch zu ermutigen.

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Vorgesetzte, die es schaffen, trotz ihres eigenen hohen Stresslevels präsent und ansprechbar zu sein, helfen nicht nur Mitarbeitern dabei, sich verstanden zu fühlen. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zur Mitarbeiterbindung.

3. Arbeitnehmer wünschen sich Weiterentwicklungsmöglichkeiten

Ein Karrierestillstand ist für Mitarbeiter besonders ärgerlich, gefährdet aber auch die Mitarbeiterbindung. Viele Arbeitnehmer wünschen sich heute Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Beides kann auch bei der Jobwahl ausschlaggebend sein, wenn Bewerber auf der Suche nach einer neuen Stelle sind oder grundsätzlich eine höhere Wechselbereitschaft zeigen.

Nicht nur der aktuelle Gallup-Report macht dies deutlich. Bereits die im Jahr 2019 erschienene EY-Jobstudie hat ergeben, dass nur 24 Prozent der Arbeitnehmer mit der Situation insgesamt zufrieden sind und gute Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Die Studie zeigt zudem, dass mehr Frauen als Männer ihre Chancen pessimistischer einschätzen.

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Fehlende Weiterentwicklungsmöglichkeiten sind deshalb ein Grund für Unzufriedenheit und damit auch für mehr Stress. Sehen Mitarbeiter nur wenig bis gar keine Perspektiven in einem Betrieb, ist die Gefahr hoch, dass diese innerlich kündigen. Umso bedeutender ist es, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und Möglichkeiten für Mitarbeiter und Bewerber zu schaffen, um sie zu binden und sie langfristig zu fördern.

4. Arbeitnehmer sehnen sich nach Anerkennung

Wertschätzung ist zum Trendbegriff geworden, aber nicht ohne Grund. Denn über viele Jahre hinweg war es in vielen Unternehmen die Norm, Arbeitnehmer ohne echte Anerkennung und mit wenig bis hin zu fehlendem Lob ihren Job machen zu lassen. Zwar werden Jobs vor allem in prekären Verhältnissen auch weiterhin auf diese Weise durchgeführt, weil Mitarbeiter um ihre Existenz bangen und deshalb fehlende Wertschätzung ertragen. Vor allem aber jüngere Generationen fordern Wertschätzung als elementare Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ein.

Fehlende Wertschätzung kann zum Stressfaktor werden und wird auch von Gallup als Punkt genannt, der aus Sicht von Arbeitnehmern mehr Fokus benötigt. Mehrere Untersuchungen der letzten Jahre zeigen positive Auswirkungen von Wertschätzung durch Führungskräfte, denn sie kann die Motivation sowie das Engagement von Mitarbeitern ankurbeln, ihre Zufriedenheit steigern und zu einem gesünderen Miteinander beitragen.

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Nicht wo gearbeitet wird, sondern mit welchen Menschen – darauf kommt es an

Das Arbeitsklima, welches vor allem auf die Art des Umgangs miteinander basiert, beeinflusst das Stresslevel von Arbeitnehmern erheblich. Schlussendlich kommt es weniger auf mobiles Arbeiten oder Büroarbeit vor Ort an, sondern darauf, wie Führungskräfte mit Mitarbeitern und auch Kollegen untereinander auskommen. Je wohler Arbeitnehmer sich im Team fühlen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer intensiveren emotionalen Bindung.

Nicht zu unterschätzen in Sachen Stress ist zugleich das Arbeitspensum angesichts der Tatsache, dass Personal fehlt. Mehrarbeit gehört zum Joballtag vieler Beschäftigten und Überstunden werden zur Selbstverständlichkeit. Zwar ist auch die zusätzliche Arbeit angenehmer, wenn das Umfeld stimmt, was tendenziell zu positivem Stress führt, der, anders als negativer Stress, weniger gefährdet. Dennoch sind klare Feierabendregelungen ein präventiver Schutz für Arbeitnehmer, die heute schnell ausbrennen, weshalb Krankschreibungen immer häufiger vorkommen.

Die guten Nachrichten: Obwohl der Stress mindestens seit der Pandemie stetig steigt, zeigen die Gallup-Daten auch, dass Arbeitnehmer heute zufriedener mit der Situation am Markt sind. Es existieren mehr Arbeitsplätze und damit mehr Möglichkeiten für Bewerber und Jobsuchende, sich zu verwirklichen. Die insgesamt angestiegene Wechselbereitschaft ist deshalb nicht nur ein negatives Zeichen, sondern auch ein Signal dafür, dass mehr Beschäftigte sich trauen, ihre Situation aktiv zu verändern.

Bild: Vasilii Binzari/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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