Das größte Risiko unserer Zeit, so einst Soziologe Helmut Schoeck, liege in der Angst vor dem Risiko. Doch nur wer mutig ist, wird am Ende wachsen und Neues lernen.

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Warum wir uns scheuen, Risiken einzugehen

Der Mensch sehnt sich nach Sicherheit. Weil Angst lähmt, verlassen wir unsere Komfortzone nicht. Dabei können Risiken zum Türöffner werden. Im Alltag assoziieren wir mit „Risiko“ stets Negatives, die Risikoforschung aber weiß, dass riskante Entscheidungen auch gut sein können, sagt die an der Universität Basel forschende Experimental- und Kognitionspsychologin Dr. Jara Jarecki.

Der verstorbene Soziologe Helmut Schoeck hat es gar als größtes Risiko unserer Zeit bezeichnet, dass Menschen zu viel Angst vor dem Risiko hätten.

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Müssen wir eine Entscheidung in einer mit Risiko verbundenen Situation treffen, schalten wir ab: Wir wollen zumeist flüchten oder vermeiden. Angst hat seit jeher die Funktion, uns in gefährlichen Verhältnissen – oder zumindest in den von uns subjektiv bedrohlich empfundenen Situationen – zu schützen. Vor körperlicher Gefahr, oft aber auch vor dem sozialen Gefühl der Scham. Wir wollen uns nicht blamieren.

Im Beruf: Risikovermeidung hindert uns, das nächste Level zu erreichen

Auch berufliche Risiken halten wir klein und trauen uns wegen der Angst, dass etwas anders als geplant verläuft, nicht aus unserem „vertrauten Lebensbereich“ heraus. Wir entscheiden uns jeden Tag für diesen einen Arbeitsweg, reden täglich mit dieser einen Personengruppe, wählen jeden Tag die sichere Variante, wenn es um Entscheidungen im laufenden Projekt geht.

Randstad-CEO Sander van’t Noordende empfiehlt das Gegenteil: Ein Risiko pro Tag, so der Geschäftsmann, soll jeder eingehen. „Nein“ wäre bei beruflichen Entscheidungen, in denen wir zum Beispiel Kunden überzeugen müssten, das Schlimmste, was wir hören könnten.

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Zu den unternehmerischen Grundvoraussetzungen für Erfolg gehört die Bereitschaft, eine riskante Entscheidung zu treffen, gewissermaßen dazu. Der stets konventionelle Weg führt vor allem in Zeiten der Veränderung zu Wachstumsstillstand. Wer immer nur dort bleibt, wo er bisher war, erreicht das nächste Karrierelevel selten. Innovation bleibt so auch aus.

Ist Risikokompetenz erlernbar oder angeboren?

Unsere Risikobereitschaft ist ein Mix aus Biologie, Stimmung, emotionalen Prägungen und Überzeugungen sowie unseren Lebensumständen. Unser Risikoverhalten hängt daher von mehreren Faktoren ab und ist auch, aber nicht ausschließlich auf genetische Komponente zurückzuführen. Was die Wissenschaft weiß, ist, dass beide Gehirnhälften am Entscheidungsprozess beteiligt sind: Rechts ist für affektive, emotionsgesteuerte und links für rational-logische Beschlüsse zuständig.

Peers“ (soziale Gruppe) beeinflussen uns vor allem in unseren jüngeren Jahren in unserer Risikobereitschaft. Um Zugehörigkeit zu erfahren und Anerkennung zu bekommen, gehen Jugendliche zumeist größere Risiken ein. Hier wird manchmal von ausgeprägtem „Sensation Seeking“ gesprochen, welches zu den menschlichen Persönlichkeitsmerkmalen gehört. Kennzeichnend für ein ausgeprägtes Niveau ist eine große Abenteuerlust und das Gefühl, immer wieder durch das Eingehen von Risiken ein Hochgefühl – einen Kick – verspüren zu können. Das ist zum Beispiel bei Spitzensportlern zu beobachten.

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Mit den Jahren aber sehnen sich die meisten Menschen nach Sicherheit im Leben. Sind die Phasen des Experimentierens um, halten wir an dem fest, was uns bekannt ist. Denn Rückschläge sind prägend und führen oft dazu, vorsichtiger zu sein.

Die Entwicklung bedeutet aber nicht das Ende der Phase, in der wir mutige Entscheidungen treffen. Eine gesunde Risikokompetenz ist durchaus erlernbar. So sieht es auch der deutsche Psychologe Prof. Gerd Gigerenzer, welcher an der Universität Potsdam Direktor des „Harding-Zentrums für Risikokompetenz“ ist. Er betrachte es kritisch, dass viele Menschen heutzutage nicht wüssten, wie dir Einordnung und Kalkulierbarkeit von Risiken gelinge – und es wäre wichtig, so der Forscher, das Erlernen einer Risikokompetenz im Bildungssystem zu integrieren.

Wie entwickeln wir eine positive Risikobereitschaft?

Wer einen beruflichen Stillstand vermeiden will, sollte lernen, wie kalkulierbare Risiken funktionieren. Die radikale Einsicht, dass Risiken und die Gefahr des Scheiterns stets unweigerlich Hand in Hand gehen werden, ist der wichtigste Schritt, um eine positive Risikobereitschaft entwickeln zu können. Denn riskante Entscheidungen gehen stets mit einer Wahrscheinlichkeit einher, dass wir Misserfolge erleben. Was außerdem zählt:

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1. An Entscheidungskompetenz arbeiten und Fehler zulassen

Wie werden gute Entscheidungen getroffen? Wer ein Risiko eingehen möchte, sollte nicht kopflos handeln – denn nur Risiken, die nicht existenzbedrohend sind oder Menschen aus unserem Umfeld in Gefahr bringen, zählen zu den wünschenswerten und „kalkulierbaren“ Risiken.

Umso wichtiger ist es, Entscheidungen so zu treffen, dass sie nachvollziehbar, vertretbar und nachhaltig sind. Sie sollten möglichst objektiv, also frei von Einflüssen sein, die zu einer verzerrten Wahrnehmung führen. Zu einer guten Entscheidungskompetenz gehört zugleich die Fähigkeit, Fehler zu tolerieren. Sie werden zwangsläufig passieren.

2. Raus aus dem Trott – rein ins Geschehen: Sich mehr trauen

Zu den größten Risiken unseres Lebens zählt das Verlassen unserer eigenen Komfortzone. Wir würden uns in eine uns unbekannte „Wildnis“ begeben, wo Gefahren nicht zu 100 Prozent eingeschätzt werden können. Aber das macht den Reiz aus: Nur wer mutig genug ist, sich ohne Gewissheit in diese neue Zone zu begeben, die Angst und Unbehagen bereitet, wird am Ende wachsen und Neues lernen.

Unseren üblichen Trott zu verlassen, Mut zu beweisen und eine clevere, aber risikoreiche Entscheidung (pro Tag) zu treffen, kann zum Beispiel Folgendes beinhalten:

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  • sich trauen, auf fremde Menschen zuzugehen, um sich ein berufliches Netzwerk aufzubauen
  • dem Chef (konstruktiv) die Meinung zu sagen
  • den Job, in dem wir unglücklich sind, endlich zu kündigen
  • die langersehnte Selbstständigkeit anzupacken
  • diesen einen Anruf tätigen, vor dem wir uns so fürchten
  • neue Orte besuchen und sich dem „Fremden“ hinzugeben
  • einen Teil unseres Geldes endlich in das Programm investieren, welches wir schon länger abgespeichert haben
  • sich im Meeting melden und eine Idee einbringen – trotz des Risikos der Zurückweisung
  • dem Traumkunden endlich eine E-Mail schreiben, um einen Termin für den Pitch zu bekommen

3. Kein Schwarz-Weiß-Denken: Lernen, ein Risiko neu zu bewerten

Die Tatsache, dass die meisten Menschen einen negativen Blick auf das Thema „Risiko“ haben und deshalb hinsichtlich beruflicher Entscheidungen eher die sichere Schiene wählen, hält uns partout davon ab, überhaupt Fantasien zuzulassen, die von den üblichen Konventionen abweichen. Schon im Elternhaus lernen Kinder, vernünftig und mit Bedacht vorzugehen. Das hat einen guten Grund – denn es gibt gesunde und ungesunde Risiken.

Risiken jedoch schlichtweg zu verteufelt, führt oft dazu, diese später entweder in einem ungesunden Maß und beinahe zwanghaft, exzessiv auszuleben oder sie auf extreme Weise zu vermeiden. Das Mittelmaß fehlt.

Wichtig ist deshalb, Risiken neu zu bewerten, wenn wir dies bisher nicht gelernt haben oder anders geprägt worden sind. Was sind zum Beispiel reale Ängste, die uns zustoßen könnten – und was ist irrational und auf erlernte Muster zurückzuführen? Die Arbeit an uns selbst kann dazu verhelfen, mutiger zu werden oder bisherige schlechte Erfahrungen mit einer größeren, ungesunden Risikobereitschaft zu verstehen, um künftig bessere Entscheidungen zu treffen.

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4. Resilienz fördern und Misserfolge aushalten

Die Selbstständigkeit funktioniert nicht, der Kunde lehnt ab, es klappt nicht auf Anhieb mit dem neuen Job, für den man sich initiativ beworben hat? Je mehr Risiken wir eingehen, desto dicker muss unser emotionales Fell sein. Deshalb ist es wichtig, Misserfolge aus- und durchhalten zu können – anstatt in Mutlosigkeit zu versinken oder stattdessen eine waghalsige Entscheidung im Affekt zu treffen, die ins Ungesunde abrutscht.

Wichtig ist auch, eigene Kompetenzen und Stärken nicht zu vergessen, sich nach einem Misserfolg auch an seine Erfolge zu erinnern und sich außerdem auch zu erlauben, eine Auszeit zu nehmen, weil Mut Kraft kostet. Kümmern wir uns gut um uns selbst, gelingt es auch, Risiken besser einzuschätzen und mit klarem Kopf zu entscheiden, wie weit wir gehen möchten.

Bild: AscentXmedia/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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