Laut Harvard-Psychologin Ellen Langer verfallen Menschen der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Nutze das Phänomen, um im Job deine Wünsche durchzusetzen.

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Was steckt hinter dem Begriff „Kontrollillusion“?

Menschen lieben Gewissheit und Sicherheit. Das Fundament: Kontrolle. Wer das Gefühl hat, alles unter Kontrolle zu haben, gibt sich aber einer Illusion hin. Zufälle können wir nicht kontrollieren. Streng genommen handelt es sich um einen etablierten Denkfehler. Oder um Selbstbetrug. Aber auch um ein Phänomen, das uns in gewissen Situationen hilft, was es zu einer insgesamt spannenden Sache macht.

Ellen Langer, US-amerikanische Harvard-Psychologin, hat das Phänomen der Kontrollillusion („The illusion of control“) 1975 wissenschaftlich erstmals näher untersucht und herausgefunden, dass wir vor allem in unsicheren Situationen zu allem greifen, was uns glauben lässt, wir hätten die Zügel selbst in der Hand.

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Ein häufig genanntes Beispiel: das Ausfüllen eines Lottoscheins. So nehmen die meisten Menschen an, eher im Lotto zu gewinnen, wenn sie die Zahlen selbst auswählen und die Auswahl nicht anderen überlassen, wie beispielsweise einem Freund. Aber Lotterie bedeutet, dass es sich um ein Glücksspiel handelt. Der Zufall bestimmt, ob wir gewinnen. Und doch geben wir uns der Illusion hin, ein zukünftiges Ereignis, welches nicht beeinflussbar ist, beeinflussen zu können.

Warum der Mensch das Gefühl liebt, alles unter Kontrolle zu haben

Es wird vermutet, dass hinter dem Kontrollbedürfnis der tiefe Wunsch der Vorhersehbarkeit steckt. Auch aus evolutionsbiologischer Sicht könnte dies Sinn ergeben: Wer will schon ins kalte Wasser geschmissen werden? Weil das Gehirn gerne weiß, was auf es (uns) zukommt, will es vorbereitet sein, sodass sogar die reine Illusion der Kontrolle schon genügen soll, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, so die allgemeine Annahme. Ein Versuch der Selbstregulation, wenn man so will.

Es gibt grundsätzlich viele Gründe, warum unser Kontrollbedürfnis so ausgeprägt ist:

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  • Schutzbedürfnis (Schutz vor Gefahr, Enttäuschung, Verletzung)
  • das Bedürfnis, vorausplanen zu können
  • das Bedürfnis, Gewissheit zu haben
  • das Bedürfnis, anderen nicht unterlegen zu sein

Kurz: Die Kontrollillusion wirkt dem Gefühl entgegen, dass wir uns einer Sache oder einer Person gänzlich ausgeliefert fühlen. Wer kein Entscheidungsmacht hat, fühlt sich zum Beispiel hilflos. Deshalb tendieren wir dazu, auch in komplizierten Situationen fest daran zu glauben, einen Einfluss zu haben, damit wir uns beruhigen können.

Was sind die Vor- und Nachteile der Kontrollillusion?

Persönlichkeitspsychologin und Autorin Fanny Jimenez geht davon aus, dass uns das psychologische Phänomen im Joballtag als eine Art Hack oder Werkzeug dienen kann, um unsere Wünsche durchzusetzen, etwa beim Chef oder bei unseren Kollegen. Das ist ein Vorteil, denn, so Jimenez, wäre es unter anderem möglich, ein kooperatives Miteinander im Beruf zu fördern.

Und die Kontrollillusion hat weitere Vorteile, auch wenn sie zunächst lediglich nach unbrauchbarem Denkfehler klingt. So kann sie beispielsweise als Anreiz dienen, um sich motiviert zu fühlen, wenn wir eine „positive Illusion“ erschaffen. Du stehst vor einer herausfordernden Aufgabe und fühlst dich hilflos? Selbstwirksamkeit ist hier das Stichwort: Indem wir uns an vergangene Momente erinnern, in denen wir Herausforderungen meistern konnten, motivieren wir uns selbst. Dabei kann es sich auch in solchen (spezifischen) Situationen unter Umständen um nur bedingt bis gar nicht beeinflussbare Ereignisse handeln, deren Ausgang dem Zufall obliegt.

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Damit wären wir auch schon beim negativen Effekt: Ein bedeutender Nachteil ist die Selbstüberschätzung in Situationen, die schlecht einzuschätzen sind. Auch wenn wir über Können und Wissen verfügen, sind äußere Umstände nicht beeinflussbar. Wer unter einer ausgeprägten Kontrollillusion leidet, wird sich deshalb zum Beispiel als Experte oder Profi ausgeben, sich selbst oder andere (ent)täuschen und im schlimmsten Fall sogar Schaden anrichten.

„Entweder-oder-Frage“ stellen: So setzt du dich im Job durch

Indem du Vorgesetzten oder Kollegen das Gefühl vermittelst, dass sie die Kontrolle hätten, kannst du ihr Handeln beeinflussen. Keine Sorge: Psychologische Tricks wenden wir tagtäglich im Beruf oder in unserem privaten Alltag an. Gemeint ist damit kein toxisches oder hochgradig manipulatives Verhalten, das anderen schadet. Davon raten wir dringend und ausdrücklich ab.

Vielmehr geht es darum, die Entscheidung des Gegenübers mitzulenken. Jimenez nennt hier das Beispiel aus dem Eltern-Kind-Alltag, das vielen bekannt vorkommen dürfte: Ein vom Tag erschöpftes Kind neige wahrscheinlich dazu, weinend davonzulaufen, wenn es am Abend noch die Zähne putzen müsste. Eine nervenaufreibende Situation, die so manche Mütter und Väter an ihre nervlichen Grenzen bringt. Und eine, in der auch Kinder sich gestresst fühlen und lieber die Kontrolle behalten möchten.

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Bevor Eltern kapitulieren: Jetzt soll die berühmte „Entweder-oder-Frage“ helfen. Wirksam sei nun nicht das ausschließliche Mitteilen, dass jetzt die Zähne geputzt werden, sondern die Frage, ob es sich zunächst die Schlafkleidung anziehen mag und dann die Zähne putzen möchte – oder ob es erst die kleinen Beißerchen säubern und danach in das Nachthemd hüpfen will. So oder so: Die Zähne werden (im Idealfall) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit geputzt. Und das Kind kooperiert, auch wenn es sich lediglich um einen Versuch und nicht um eine Garantie handelt.

Möchtest du ein Projekt zu Ende bringen, merkst aber, dass dein Kollege andere Pläne hat? Wenn gar nichts hilft, hilft die Kontrollillusion, um sich durchsetzen: Anstatt zaghaft zu fragen, ob ihr euch heute treffen könnt, teilst du stattdessen mit, dass du Dienstagnachmittag und Mittwochmorgen anbieten kannst – und lässt deinem Kollegen so die Wahl, sich zu entscheiden.

Oder dein Chef geht dir aus dem Weg, weil du dein Gehalt neu verhandeln möchtest? Sei freundlich, aber konsequent – und biete ihm konkrete Vorschläge an, die ihm das Gefühl der Kontrolle („Ich habe die Wahl“) lassen, ohne regelrecht nach einem Meeting „betteln“ zu müssen. Auch Psychologin Langer konnte in ihren Forschungen feststellen, dass das Phänomen, die Wahl zu haben, die Wahrscheinlichkeit bei anderen steigert, eine Kontrollillusion zu durchleben.

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Trotz subtilem Trick: Von Täuschungen lieber die Finger lassen

In vielen Situationen, sei es im Joballtag oder im Alltag mit Kindern, kann das psychologische Phänomen dabei helfen, anderen selbst in unangenehmen Situationen Sicherheit zu schenken, wie es das Beispiel mit dem Zähneputzen am Abend zeigt. Indem die entscheidende Entweder-oder-Frage gestellt wird, kann das Kind sich beruhigen und über die Optionen nachdenken, die es hat.

Dennoch sollten wir von Täuschungen lieber die Finger lassen: Kannst du Chef, Kollegen, Freunden, Partnern oder Kindern nicht das bieten, was du vorschlägst, weil du im Grunde nur deinen Willen durchsetzen möchtest, handelt es sich um Manipulation. Das kann zu einem Vertrauensbruch führen, wenn sich am Ende herausstellt, dass du dein Wort nicht hältst. Solche Situationen sind manchmal unter Teamkollegen und auch auf Führungsebene zu beobachten.

Wer zur Kontrollillusion als Werkzeug greift, sollte sich deshalb vor allem darüber bewusst werden, inwiefern der psychologische Alltagstrick auch die Interessen anderer berücksichtigt. Denn im besten Fall dient es nicht nur dir, sondern hilft auch anderen dabei, zu einer Entscheidung zu kommen und einige Sorgen weniger zu haben – quasi eine Win-win-Situation in stressigen Phasen mit Entscheidungsdruck.

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Bild: fizkes/istockphoto.com