Lob ist aus dem Trend gekommen. Die moderne Führungskraft lobt nicht! Schließlich könnten sich die Mitarbeiter auf diesem Lob ausruhen und dann war‘s das mit der kontinuierlichen Verbesserung. Wer in den Führungsetagen etwas auf sich hält, praktiziert deshalb „defizitorientiertes Denken“ als Motor für den ständigen Selbst- und Fremdoptimierungswahn, der am Ende nicht mehr ist als eben das: Wahnsinn.

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Besser geht immer: Optimierungswahn durch defizitorientiertes Denken

Immer das Schlechte im Blick haben. Das, was schiefläuft, was nicht gut (genug) ist, wo Fehler passiert sind – das ist Defizitorientierung. Sie konzentriert sich auf all die Defizite im Leben, und davon gibt es reichlich. Frauen streben nach dem auf Social-Media-Kanälen propagierten unrealistischen Schönheitsideal, Männer vergleichen die PS-Zahl ihres Porsches mit dem des Nachbarn und Führungskräfte versuchen sich mit ihren Zielvorgaben gegenseitig zu übertrumpfen. So funktioniert unsere westliche Gesellschaft zwischen Konkurrenzdenken und Selbstoptimierungswahn. Im Privatleben ist die Lösung „einfach“: Übe dich wieder in Zufriedenheit und schaue nach vorne, statt nach links und rechts.

„Zufriedenheit mit seiner Lage ist der größte und sicherste Reichtum.“
(Marcus Tullius Cicero)

Im Berufsleben ist das nicht ganz so simpel. Schließlich ist Fortschritt bei einer Führungskraft nicht nur erwünscht, sondern obligatorisch gefordert und Zufriedenheit würde einen gefährlichen Stillstand bedeuten. Teams müssen produktiver werden, Innovationen hervorbringen oder im Zuge des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses jedes Jahr neue Zielvorgaben erreichen – besser noch überschreiten. Die Geschäftswelt verändert sich stetig und in rasantem Tempo. Das defizitorientierte Denken ist da die logische Antwort, schließlich zeigt es potenziellen Verbesserungsbedarf auf und damit die optimalen Ansatzpunkte für den geforderten „Fortschritt“.

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Exkurs: Wieso streben Generation Y und Z nach stetiger Selbstoptimierung?

Der Selbstoptimierungswahn macht sich nicht nur, aber vor allem in der sogenannten „Generation Y und Z“ bemerkbar. Diese jungen Erwachsenen gelten gemeinhin als orientierungslos, selbstkritisch und verunsichert. Sie werden deshalb auch gerne als „Generation Maybe“ oder „Generation Why“ bezeichnet. Einen der Hauptgründe für die Unentschlossenheit dieser Generation sehen Experten in den Medien und sozialen Netzwerken.

Es handelt sich um eine Generation, die unter dem stetigen Einfluss der Medien aufwächst, mit Informationen bombardiert wird, sich von klein auf in einer schnelllebigen und komplexen Welt zurechtfinden muss sowie durch die sozialen Netzwerke den ständigen Vergleich mit Gleichaltrigen lernt – und gleichzeitig alles infrage stellt.

Auf Facebook posten die ehemaligen Schulkameraden Bilder von ihrer Weltreise, der frühere Kommilitone ist jetzt Familienvater mit Eigenheim und auf Instagram erstrahlen die Fotos der besten Freundin in makelloser Perfektion. So haben die jungen Generationen bereits früh gelernt, ihr eigenes Leben auf den Prüfstand zu stellen und sich in ständiger Selbstoptimierung zu üben. Dass die Bilder und Lebensläufe auf den Social Media Plattformen geschönt sind, scheint dabei unbemerkt zu bleiben oder schlichtweg keine Rolle zu spielen.

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In einem gewissen Maß mag das eine positive Entwicklung sein. Schließlich kann der Vergleicht mit der „Peer Group“ den Ehrgeiz wecken und dadurch den Erfolg im Berufsleben ankurbeln. Oder er steigert die Motivation für einen gesunden Lebensstil mit Sport und ausgewogener Ernährung für den ersehnten Traumkörper. Und auch im Berufsleben sorgt er für Innovationen, die längst überfällig wären, wie die Implementierung flexibler Arbeitsmodelle anhand der neuen digitalen Möglichkeiten.

„Perfekten Menschen fehlt es an Fehlern.“
(Ernst Ferstl)

Das Problem an der Sache ist: Perfektion ist eine Illusion. Kein Mensch wird jemals perfekt sein und es wird immer jemanden geben, der trotz all deiner Mühe reicher, erfolgreicher, schöner oder beliebter ist. So endet die stetige Selbstoptimierung irgendwann in Frustration und Überforderung. Das ist das in einer Kurzfassung geschilderte Dilemma der stetigen Optimierung.

Lese-Tipp: Perfektionismus ablegen – So lebt’s sich leichter

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Das Problem der Defizitorientierung: Druck erzeugt Gegendruck

Das Zwischenfazit an dieser Stelle könnte wie folgt zusammengefasst werden: Die jungen Generationen machen ihrem Namen alle Ehre und stellen die moderne Geschäftswelt infrage. Der ständige Drang zur Optimierung – sei es bei sich selbst oder im privaten sowie beruflichen Umfeld – bringt dadurch Innovationen hervor, die für ein Unternehmen Überlebens wichtig sind. Gleichzeitig konzentriert sich ein solch defizitorientiertes Denken aber stets auf die negativen Aspekte des Berufslebens. Immerhin 18 Prozent der deutschen Arbeitnehmer fühlen sich im Beruf nicht wertgeschätzt.

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Stattdessen baut die Defizitorientierung Druck auf – auf das Unternehmen, auf dich als Führungskraft und auf jeden einzelnen deiner Mitarbeiter. Doch Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck. Je mehr du kritisierst, Veränderungen über die Köpfe der Angestellten hinweg durchsetzt und diese zur kontinuierlichen Verbesserung zwingen möchtest, umso mehr werden sie sich dagegen sträuben. Und was zu Beginn vielleicht noch unter der Oberfläche brodelt, endet früher oder später in

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  • einer schlechten Arbeitsatmosphäre
  • Unzufriedenheit der Mitarbeiter
  • sinkender Motivation
  • abnehmender Leistung
  • nachlassender Kreativität
  • mangelnder Eigeninitiative
  • (unterschwelligen) Konflikten
  • Gruppenbildung
  • schlimmstenfalls einer inneren Kündigung

Diese Liste könnte ewig weitergeführt werden. Fakt ist: Defizitorientierung mag durch ausreichend Druck zwar handfeste Ergebnisse hervorbringen, doch nur auf Kosten der Mitarbeiter. Langfristig schlagen sich ein schlechtes Arbeitsklima, die mangelnde Motivation und Identifikation der Angestellten mit dem Unternehmen sowie der individuelle Leistungsabfall auch auf den Geschäftserfolg nieder. Dann beginnt der Teufelskreis von vorne und die Führungsebenen beginnen an den Kennzahlen zu drehen. Dabei wäre es die soziale Ebene, wo du tatsächlich die Lösung all deiner Probleme findest. Das Stichwort lautet: Stärken- beziehungsweise Ressourcenorientierung.

Führungskräfte und Mitarbeiter müssen an einem Strang ziehen

Stelle dir die Defizitorientierung sinnbildlich als zwei sich gegenüberstehende Personen vor (die Führungskraft und der Mitarbeiter), so blicken diese beiden bei einer ressourcenorientierten Denkweise in dieselbe Richtung. Genau hierum soll es gehen: Alle Individuen in einem Unternehmen sollten an demselben Strang ziehen. Nur so können sie ihre optimale „Kraft“ entfalten und schwächen sich nicht gegenseitig innerhalb des Systems. Es ist deshalb an der Zeit, dass du dich als Führungskraft vom defizitorientierten Denken verabschiedest und dich der Stärkenorientierung zuwendest.

Ressourcenorientierung ist nichts Anderes als Leistungsorientierung

Ressourcenorientierung, Stärkenorientierung, Leistungsorientierung – nun haben wir viele Begriffe in den Raum geworfen. Prinzipiell bedeuten sie aber alle dasselbe:

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Bei der Defizitorientierung werden stets die Mängel und Defizite in den Fokus der Wahrnehmung, des Denkens und Handelns gerückt, mit dem Ziel der Optimierung. Bei der Ressourcenorientierung stehen hingegen die Stärken, Potenziale, Möglichkeiten, Leistungen und Erfolge eines Menschen oder einer Institution im Vordergrund.

Ressourcen-, Stärken- und Leistungsorientierung beschreiben also denselben Denkansatz und das exakte Gegenteil der Defizitorientierung.

Zahlen, Daten, Fakten? Nein danke! „Gute“ Führung braucht Emotionen

Werden deutsche Arbeitnehmer danach gefragt, was sie von Führungspersonal erwarten, so fordern sie vor allem Ehrlichkeit, Offenheit, Lösungsorientierung, eine direkte Kommunikation sowie persönliche Vieraugengespräche.

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Wichtig erscheinen zudem emotionale Faktoren: Mitarbeiter wünschen sich Lob und Zuspruch von einer Führungskraft. Sie möchten ihr vertrauen und sich auf ihrer ruhigen und gelassenen Ausstrahlung abstützen können. Doch Emotionen und Führung? In der deutschen Berufswelt passen diese beiden Faktoren (noch) so gar nicht zusammen. Klaus Schuster bringt es in seinem Buch „Der freche Vogel fängt den Wurm“ * auf den Punkt:

„Feiglinge verlassen sich auf Zahlen, Daten, Fakten.
Wer sich was traut, rechnet mit Emotionen.“

Nur durch Emotionen kannst du bei den Mitarbeitern Vertrauen, die Identifikation mit ihrem Arbeitgeber, Motivation und Eigeninitiative wecken. Und nur so kannst du Kreativität und Innovationen hervorbringen. Klar geht das auch durch emotionslose, defizitorientierte Führung und die Fokussierung auf Zahlen, Daten und Fakten. Und natürlich brauchst du diese auch – aber eben nicht nur! Hier lassen sich ebenfalls in Schusters Werk wahre Worte finden:

„Wer ohne Emotionen managt, ist ein amputierter Manager.“

Den Mut zur Ressourcenorientierung musst du alleine fassen. Wo wir dich allerdings unterstützen können, ist bei deren Umsetzung.

Stärkenorientierung in der Praxis: Was macht eine gute Führungskraft aus?

Was eine gute Führungskraft auszeichnet
Bild: Arbeits-ABC/Canva.com

Stelle dich einmal selbst auf den Prüfstand: Handelst du in deinem Berufs- und Privatleben defizit- oder ressourcenorientiert? Und wie handhabst du dies in deinem Job als Führungskraft? Wir verraten dir, wie der ressourcenorientierte Idealzustand aussähe und wie du dich von einer defizitorientierten zu einer wirklich „guten“ Führungskraft entwickeln kannst:

Eigentlich ist es doch nicht zu viel verlangt: Ein bisschen Wertschätzung hier, etwas Anerkennung dort und schon sind deine Mitarbeiter zufriedener und motivierter. Wenn du diese nun auch noch gemäß ihren individuellen Stärken und Potentiale förderst und so das Beste aus ihnen herausholst, ergibt sich für beide Parteien eine Win-Win-Situation. Und all das nur, weil du deinen Fokus von den Defiziten auf die Stärken verlagert hast. Ein abgewandeltes Zitat aus „Der freche Vogel fängt den Wurm“ soll daher heute den abschließenden Appell bilden:

„Lob ist ein kleiner Hebel mit großer Wirkung!“

Probiere es aus: Welche Wirkung konntest du beobachten, als du deine Mitarbeiter einfach einmal gelobt hast? Arbeitest du vielleicht auch – bewusst oder unbewusst – mit dem defizitorientierten Denkansatz? Oder führst du mittlerweile ressourcenorientiert? Welche Veränderungen nimmst du dadurch wahr? Wir freuen uns auf deinen Kommentar zum Thema.

Bild: ciricvelibor/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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