Wer führt, hat Macht. Und Macht wirkt – auf andere, aber vor allem auf einen selbst. Menschen mit Einfluss denken, handeln, fühlen anders. Macht verändert uns. Und meist merken wir es selbst als Letzte.

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Mit wachsender Macht steigt die Risikobereitschaft, die Impulsivität, das Gefühl der Unfehlbarkeit. Mächtige unterbrechen häufiger, nehmen sich mehr Raum, treffen Entscheidungen schneller – und manchmal fahrlässiger. Wer oben steht, verliert leicht den Blick für das, was unten passiert. Die Luft wird dünner, die Stimmen leiser, der Realitätsabgleich schwächer.

Der Sozialpsychologe Dacher Keltner fasst es treffend zusammen: „Macht macht empathielos.“ Nicht, weil Machthabende von Grund auf böse wären – sondern, weil ihnen weniger widersprochen wird.

Er beschreibt diesen Mechanismus als „Macht-Paradox“: Wir steigen durch Empathie und soziale Intelligenz auf – und verlieren diese Eigenschaften, sobald wir oben auf der Karriereleiter angekommen sind. Seine Forschung zeigt, dass Macht zu einem Empathieverlust führt, zu impulsiverem, egoistischerem, aggressiverem Verhalten – und dass Mächtige zunehmend Mühe haben, die Welt aus der Perspektive anderer zu sehen.

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Dabei, so betont Keltner, ist Macht eigentlich kein Besitz, sondern etwas, das uns von anderen verliehen wird – als Anerkennung für unser Wirken, unsere Fähigkeit, das Leben anderer zu verbessern. Doch je länger jemand Macht hat, desto größer die Gefahr, dass diese Grundhaltung schwindet: aus Empathie wird Ego, aus Zuhören wird Unterbrechen, aus Ansehen wird Arroganz.

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Genau das ist der Kern des Problems: Je mächtiger eine Person ist, desto weniger wird sie hinterfragt. Kritik versickert, Zustimmung wird zur Norm. Nicht, weil alles richtig läuft, sondern weil Widerspruch riskant ist. Wer aufbegehrt, riskiert Karriere, Standing, Zugehörigkeit. Deshalb wird genickt, gelächelt, geschwiegen – und die Führungskraft bekommt einen gefährlichen Eindruck: Alles läuft, alle sind einverstanden.

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Die Zeichen der Macht – und ihr Preis

Diese Dynamik zeigt sich nicht nur in Worten, sondern auch in Gesten der Mächtigen, in der Körpersprache, in den kleinen, aber entscheidenden nonverbalen Signalen. Macht lehnt sich nicht an, Macht lehnt ab. Sie sitzt breitbeinig am Tisch, während andere sich auf ihrem Stuhl kleiner machen. Sie unterbricht Gespräche, um einen ach so dringenden Anruf entgegenzunehmen, blättert demonstrativ in irgendwelchen Unterlagen, während andere mit einem sprechen. Sie lächelt ironisch, schüttelt den Kopf, steht auf, um von oben herab zu schauen.

Solche Verhaltensweisen wirken auf den ersten Blick harmlos, vielleicht sogar gwohnt. Doch sie sind Teil eines Machtspiels, das täglich in Organisationen abläuft. Sie signalisieren: „Ich bestimme die Regeln, ich kontrolliere den Raum.“ Und die anderen spüren instinktiv, wie wenig Platz ihnen bleibt.

Diese kleinen Zeichen summieren sich. Sie prägen die Unternehmenskultur, die Kommunikation, die Innovationskraft. Und sie senden eine klare Botschaft: Hier herrscht Hierarchie, hier gibt es Gewinner und Verlierer. Wer sich in einem solchen Klima bewegt, überlegt zweimal, ob er den Mund aufmacht.

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Selbstüberschätzung als Kollateralschaden der Macht

Das vielleicht gefährlichste Nebenprodukt von Macht ist die Selbstüberschätzung. Der sogenannte Overconfidence-Effekt – die Tendenz, sich für klüger, kompetenter, unfehlbarer zu halten, als man tatsächlich ist – wächst mit jeder Stufe auf der Karriereleiter. Es beginnt schleichend: ein Meeting, in dem niemand widerspricht. Eine Entscheidung, die ohne Rückfragen durchgewunken wird. Eine Strategie, die alle „mittragen“.

Die Führungskraft registriert die Zustimmung, aber nicht die Angst dahinter. Sie hört Lob, wo vielleicht Pflichtgehorsam spricht. Und aus dem Satz „Ich weiß, was richtig ist“ wird ein innerer Glaubenssatz: „Ich weiß es besser.

Doch wer sich für unfehlbar hält, hört nicht mehr zu. Fragt nicht mehr nach. Holt kein Feedback mehr ein. Und wer nicht mehr zuhört, verliert – erst die Perspektive, dann das Vertrauen, schließlich das Team.

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Die Folgen: Mitarbeitende ziehen sich zurück und kündigen innerlich. Ideen werden nicht mehr geteilt. Fehler werden vertuscht. Kritik versickert. Und irgendwann fragt sich die Führungskraft, warum das Team „nicht mehr so engagiert“ ist. Ohne zu merken, dass sie selbst der Grund ist.

Die Gefahr für Unternehmen

Was nach einem persönlichen oder gar charakterlichen Problem klingt, ist in Wahrheit ein organisationales Risiko. Denn wenn Kritik ausbleibt, sterben Innovation und Lernfähigkeit. Fehler bleiben unentdeckt, bis es zu spät ist. Fehlentscheidungen häufen sich. Das Vertrauen schwindet. Die psychologische Sicherheit – die Basis jeder guten Zusammenarbeit – erodiert.

Viele spektakuläre Unternehmenspleiten haben ihre Wurzeln nicht in Märkten oder Krisen, sondern in Führungsetagen, in denen niemand mehr wagte, schlechte Nachrichten zu überbringen. In Vorständen, die sich nur noch gegenseitig bestätigten. In Führungskräften, die ihren eigenen Mythos auf dem Leim gehen.

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Führung braucht mehr Zweifel

Macht muss nicht korrumpieren. Aber sie braucht Korrektive. Wer führen will, ohne sich zu verlieren, muss sich selbst und sein Tun regelmäßig in Frage stellen. Nicht aus Selbstzweifel, sondern aus Verantwortungsgefühl. Denn echte Stärke zeigt sich nicht im Monolog, sondern im Dialog.

Dafür braucht es Mut: den Mut, Widerspruch einzuladen. Den Mut, Fragen zu stellen. Den Mut, sich mit Menschen zu umgeben, die unbequem sind, die den Spiegel vorhalten, die Nein sagen, wenn es nötig ist.

Und es braucht die Fähigkeit, Machtspiele zu erkennen – bei anderen, aber auch bei sich selbst. Unterbrichst du andere, ohne es zu merken? Nutzt du Ironie als Waffe? Machst du dich groß, indem du andere kleiner machst? Es braucht Ehrlichkeit, diese Muster zu durchbrechen.

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Und es braucht Demut: die Einsicht, dass du nicht dein Titel bist. Dass Führung eine Funktion – eine Mission – für andere Menschen ist, keine Identität. Dass du nicht alles wissen musst, um gute Entscheidungen zu treffen – aber alles wissen solltest, was andere dir zu sagen haben.

Führung heißt, Verantwortung zu übernehmen – auch für das eigene Denken, die eigene Wirkung, die eigene Fehlbarkeit. Wer sich für unfehlbar hält, ist kein Leader. Sondern ein Risiko – für Mitarbeitende und das gesamte Unternehmen.

Deshalb: Sei misstrauisch, wenn dir niemand mehr widerspricht. Schweigen heißt nicht Zustimmung. Manchmal heißt es Angst. Und genau dann wird Führung gefährlich.

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