08/15 Fragen stellen und vorgefertigte Antworten erhalten? Wieso Arbeitgeber sich Standardfragen besser verkneifen sollten – und welche 12 Verhaltensfragen das echte Potenzial eines Bewerbers zeigen.

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Standardfragen im Bewerbungsgespräch: Was ist das Problem?

Vielleicht kennst du es selbst: Als Personaler oder Arbeitgeber arbeitest du beim Bewerbungsgespräch einen vorgefertigten Interview-Katalog ab. Grundsätzlich keine schlechte Idee. Du bist gut vorbereitet und überzeugt, als HR-Experte das echte Potenzial des Kandidaten erkennen zu können.

Die Realität: Viele Bewerber lernen Antworten auswendig, die besonders wohlklingend sind – für Recruiter aber inhaltlich wenig Nutzen haben. Sie bereiten sich auf das Vorstellungsgespräch vor, spielen ihre Antworten in Gedanken ab und „faken“ hier und da sogar etwas. Das sorgt schließlich für Sicherheit. Und viele Bewerber sind damit erfolgreich, wie eine Studie der University of Missouri St. Louis und der Universität Ulm zeigt. Denn wer ab und zu flunkert, kommt demnach besser an. Ob echtes Potenzial vorhanden ist, ist umstritten.

Deshalb gilt: Wer authentische und zuverlässige Mitarbeiter sucht, sollte sich nicht auf seiner bisherigen Taktik ausruhen – und seine Standardfragen besser überdenken. Denn auf die meisten 08/15 Fragen antworten Bewerber mit 08/15 Floskeln. Solltest du dich nach mehreren Jobinterviews fragen, warum noch immer kein passender Kandidat dabei war, wird es höchste Zeit für eine Veränderung.

Critical-Incident-Technik: Warum sind Verhaltensfragen die bessere Wahl?

Ersetze Standardfragen durch Verhaltensfragen. Eine bewährte Methode ist die sogenannte Critical-Incident-Technik (CIT). Der amerikanische Psychologe John C. Flanagan gilt als Erfinder der Methode.

Die Idee hinter CIT: Es handelt sich um eine Beobachtungsmethode, die auch als Methode der „kritischen Ereignisse“ bekannt ist. Kurz: Die Interviewtechnik erfasst Faktoren, die Aufschluss über Erfolg oder Misserfolg eines Bewerbers in einer bestimmten Situation geben. Es geht nicht um vage Fragen à la: „Was ist Ihre größte Stärke?“, sondern um konkrete, vielleicht heikle Situationen.

Der Vorteil für Arbeitgeber: Du hast die Chance, situative Fragen zu entwickeln, die euren Arbeitsalltag spiegeln. Bewerber müssen in der Lage sein, spontan und authentisch zu antworten. Wer flunkert, fliegt möglicherweise auf. Und wer „gut“ flunkert, zeigt immerhin, dass kreative Lösungsansätze und Flexibilität kein Problem darstellen.

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Diese 12 Verhaltensfragen sollten Arbeitgeber im Jobinterview stellen

Folgende Fragen dienen als Orientierung und sind in ihrem Inhalt individuell abwandelbar. Passe die Verhaltensfragen an die Erwartungen des Unternehmens und an die zu besetzende Stelle an.

Wichtig: Bleibe nicht bei hypothetischen Fragen, sondern versuche, mit konkretem Bezug und so bildlich wie möglich zu beschreiben.

  • Frage 1: Sie stehen vor einer Aufgabe, die neu für Sie ist und welche die Zusammenarbeit mit Kunden erfordert. Wie reagieren Sie auf das Missgeschick XY?
  • Frage 2: Sie geraten in einen Konflikt mit ihren neuen Kollegen. Was unternehmen Sie – und warum?
  • Frage 3: Erzählen Sie von einer Problemlösung, die Sie Ihrem letzten Arbeitgeber als Idee vorgeschlagen haben. Was davon konnten Sie konkret unternehmen und umsetzen?
  • Frage 4: Sie erhalten mehrere Aufgaben und müssen priorisieren. Wie entscheiden Sie, womit sie starten – und warum?
  • Frage 5: Eine Deadline rückt näher, aber Sie sind noch längst nicht dort, wo Sie gerne wären. Wie gehen Sie vor?
  • Frage 6: Sie haben während der Zusammenarbeit mit ihrem Team festgestellt, dass es ein Problem in einem laufenden Projekt gibt. Welche Schritte unternehmen Sie jetzt?
  • Frage 7: Erzählen Sie von einem Erfolg: Womit konnten Sie die Erwartungen Ihrer letzten Arbeitgeber übertreffen?
  • Frage 8: Erinnern Sie sich an einen schlechten Tag auf der Arbeit zurück. Was hat Sie traurig oder wütend gemacht?
  • Frage 9: Erinnern Sie sich an einen guten Tag auf der Arbeit zurück. Worüber haben Sie sich gefreut und warum?
  • Frage 10: Denken Sie an ein Projekt zurück, an dem Sie beteiligt waren, ohne es zu leiten. Wie haben Sie mit Ihrer Arbeit konkret zum Erfolg beigetragen?
  • Frage 11: Stellen Sie sich vor, Sie hätten in Ihrem letzten Job mehr Zeit gehabt. Wofür hätten Sie die Zeit genutzt?
  • Frage 12: Erinnern Sie sich an eine herausfordernde Arbeitsphase zurück, die Ihnen neue Lösungsansätze abverlangt hat. Welche ungewöhnlichen Ideen hatten Sie – und wie haben Sie die Probleme gelöst?

Wie werden Verhaltensfragen entwickelt?

Wer sich dafür entscheidet, kreative und kritische Verhaltensfragen zu stellen, ist seinem Ziel schon ein Stück näher. Denn auf diese Weise vermeidest du, dich gezwungenermaßen für das „geringste Übel“ zu entscheiden, wenn Bewerber mit Standardantworten reagieren.

Um Verhaltensfragen zu entwickeln und für das Interview vorzubereiten, ist es wichtig, das eigene Arbeitsumfeld und die Qualitätsanforderungen des Unternehmens zu analysieren. Typische Problemfelder sollten bekannt sein. Die Methode ist deshalb einerseits mit mehr Aufwand für Personaler und Arbeitgeber verbunden. Andererseits gestalten sich Jobinterviews auf diese Weise effektiver, sinnvoller und kreativer.

Beispiel: Du möchtest die Service-Skills des Bewerbers kennenlernen, weil Kundenanfragen zum Tagesgeschäft gehören. Schildere eine Situation, in der ein Kunde sich am Telefon beschwert. Frage, wie der Jobkandidat reagiert und welche Lösungen er warum anbietet.

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Zusammenfassend heißt das:

  • Praxisnähe: Die Interviewfragen sollten stets einen konkreten Anwendungsbezug haben.
  • Schwierigkeitsgrad: Die Fragen dürfen und sollten häufiger eine kritische Situation darstellen, die nach einer Lösung ruft.
  • Fachkenntnisse: Experten aus der jeweiligen Fachabteilung sollten bei der Entwicklung der Fragen helfen und die Antworten ggf. überprüfen.

Gut zu wissen

Etwas Theorie und Geschichte für die Interessierten: Der US-amerikanische Psychologe Flanagan entwickelte die CIT-Methode in erster Linie für die Rekrutierung passender US Army Air Force Piloten. Der theoretische Ansatz bei der Entwicklung passender Fragen beinhaltet dabei folgende Faktoren:

  • ein bestimmter kritischer Vorfall mit Zeitpunkt
  • die Beteiligten und Handelnden
  • die Handlung
  • die Situationsanalyse
  • die Bewertung des Problems
  • die Gegenmaßnahme

Hinzu kommen die Folgen, die aus einem Nichthandeln entstehen – und die Benefits aus dem Tätigwerden.

Worauf sollten Personaler bei Verhaltensfragen achten?

Um das Potenzial der Jobkandidaten zu erkennen, sollten Arbeitgeber auf eine klare Formulierung achten. Wichtig dabei: Hinter jeder Verhaltensfrage steckt die Frage nach einer bestimmten Kompetenz. Um gezielt eine bestimmte Kompetenz zu erschnuppern, sollten Fragen umformuliert und mehrmals oder in ähnlicher Weise gestellt werden.

Beispiel: Du möchtest herausfinden, wie der Bewerber sich im Team verhält. Frage jetzt danach, wie der Kandidat reagiert, wenn er einen Fehler im Teamprojekt feststellt. Frage später im Gesprächsverlauf, was der Kandidat unternehmen würde, wenn ein Teammitglied seine Aufgabe nicht korrekt erledigt.

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Fazit: Langweiligen Standard durch kritische und situative Fragen ersetzen

Nicht nur Jobkandidaten müssen kreativ, flexibel und authentisch sein, wenn sie sich um eine Stelle bemühen. Auch Arbeitgeber sind jetzt gefragt – denn Standardfragen sollten der Vergangenheit angehören. Ein konkreter Anwendungsbezug hilft dabei, Bewerber mit passenden Skills zu finden.

Mit der CIT-Methode haben Jobinterviewer die Chance, die „Spreu vom Weizen“ zu trennen. So finden Personaler, HR-Experten und Arbeitgeber heraus, wie „flexibel, kreativ, zuverlässig, teamfähig und belastbar“ Kandidaten wirklich sind – und ob es sich bei den genannten Attributen nur um leere Floskeln handelt.

Bildnachweis: FangXiaNuo/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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