Führung – das war früher der nächste logische Schritt auf der Karriereleiter: mehr Verantwortung, mehr Gestaltungsspielraum, mehr Einfluss. Doch viele, die heute ein Team leiten, erleben vor allem das Gegenteil. Mitarbeitende melden sich krank. Andere verschwinden im Homeoffice zwischen Friseurterminen und Sporteinheiten.

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Die Grenzen zwischen Arbeit und Rückzug verschwimmen – und damit wächst auch die Unsicherheit. Statt zu führen, moderieren viele Führungskräfte nur noch den Ausfall. Die Frage drängt sich auf: Macht es unter diesen Bedingungen überhaupt noch Sinn, Chef oder Chefin zu sein?

„Ich fühle mich wie Krisenmanager, nicht wie Gestalter“

Viele Führungskräfte erleben einen Alltag, der weit entfernt ist von klassischen Management-Idealbildern. Statt Strategieentwicklung stehen Personalengpässe, kurzfristige Ausfälle und das Stimmungsmanagement im Vordergrund.

Den Stress dahinter zeigt die „Studie zur Mentalen Gesundheit bei der Arbeit“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2023. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Führungskräfte – je nach Qualifikationsniveau – besonders hohen psychischen Belastungen ausgesetzt sind:

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Emotionale Anforderungen

  • 53 % der einfach qualifizierten Führungskräfte
  • 41 % der hoch qualifizierten Führungskräfte
  • Zum Vergleich: 24 % der Beschäftigten ohne Führungsverantwortung

Überlange Arbeitszeiten

  • 36 % der hoch qualifizierten Führungskräfte
  • 15 % der einfach qualifizierten Führungskräfte
  • Zum Vergleich: 10 % der Beschäftigten ohne Führungsverantwortung

Mentale Gesundheit

  • Rund 12 % der Führungskräfte berichten von Burn-out-Symptomen
  • Etwa 10 % geben depressive Symptome an

Führungskräfte kommen demnach keineswegs mental stabiler durch den Arbeitsalltag als ihre Mitarbeitenden – im Gegenteil. Ist gesundes Führen unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich?

Führung zwischen Fürsorge und Verantwortungsvakuum

Für Führungskräfte entsteht daraus ein psychologisches Dilemma: Einerseits wächst das Bewusstsein dafür, dass Menschen in einer Dauerbelastung leben. Psychische Erkrankungen, Stress, Erschöpfung – all das sind reale Phänomene, die ernst genommen werden müssen. Andererseits bleibt die Arbeit liegen, wenn immer mehr Teammitglieder gleichzeitig ausfallen. Und irgendjemand muss dafür sorgen, dass Projekte trotzdem abgeschlossen werden.

Man spricht in dieser Situation von einem „Verantwortungsvakuum“. Während die Mitarbeitenden zunehmend ihre individuelle Belastung in den Vordergrund stellen, bleibt es oft an der Führungskraft hängen, das große Ganze im Blick zu behalten. Sie steht zwischen Fürsorge und Ergebnisdruck – eine Rolle, die langfristig zermürbt.

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Homeoffice: Wer arbeitet hier eigentlich noch?

Hinzu kommt der Wandel der Arbeitskultur. Homeoffice und flexible Arbeitszeiten haben die klassische Präsenz-Kontrolle von Arbeit weitgehend aufgelöst. Sichtbarkeit im Büro, spontane Absprachen, kurze Dienstwege – all das ist vielerorts Vergangenheit. Stattdessen bleibt der Blick auf die aufploppenden Statusmeldungen im Projektmanagement-Tool und der Versuch, in Videokonferenzen einen Eindruck von Engagement und Arbeitsfortschritt zu gewinnen.

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Gleichzeitig häufen sich Anekdoten über Mitarbeitende im Homeoffice, die mitten am Arbeitstag ihre Sporteinheit einlegen oder zwischendurch private Erledigungen machen. „Work-Life-Blending“ nennt das die Forschung – die fließende Vermischung von Privat- und Berufsleben. Für viele Beschäftigte ein Gewinn an Freiheit. Für Führungskräfte dagegen häufig eine Quelle von Unsicherheit: Wer arbeitet eigentlich noch wann und wie viel?

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Dieser Effekt wird als „Verlust der sozialen Kontrolle“ beschrieben – verbunden mit der Erwartung, dass die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden entsprechend zunimmt. Doch was, wenn genau dieses Vertrauen enttäuscht wird?

Wie bleibt man in der Führungsrolle gesund?

Resilienz ist das Schlagwort, wenn es darum geht, Führung auch unter schwierigen Bedingungen aufrechtzuerhalten. Doch Resilienz bedeutet mehr als nur persönliche Belastbarkeit. Sie umfasst auch die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und die eigene Verantwortung zu reflektieren.

Für Führungskräfte empfiehlt es sich, sich bewusst von einer Haltung der „Allesverantwortung“ zu lösen. Zwar gehört es zu ihren Aufgaben, Personalausfälle bestmöglich auszugleichen und das Team arbeitsfähig zu halten. Doch die Verantwortung für eine ausreichende Personaldecke liegt beim Unternehmen. Führung kann nur funktionieren, wenn Strukturen klar sind, Kommunikation transparent bleibt und Aufgaben sinnvoll delegiert werden.

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Wichtig ist dabei vor allem die Selbstfürsorge: regelmäßige und erholsame Pausen, Austausch mit anderen Führungskräften, Supervision oder Coaching. Denn wer nur für andere da ist, ohne für sich selbst zu sorgen, tappt früher oder später in die Erschöpfungsfalle.

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