Eins bis Sechs, A bis F, Null bis 15 – die Notensysteme verschiedener Länder und Schularten mögen unterschiedlich aussehen, doch verfolgen sie alle ein und dasselbe Ziel: Einen Schüler in seiner Leistung zu bewerten, um dadurch Außenstehenden, zum Beispiel einem Personaler, Anhaltspunkte für die „Eignung“ des Benoteten für den Job zu geben. Lange Zeit war Bewerbern mit schlechten Abschlussnoten daher der Zugang zu exzellenten Universitäten oder den besten Jobausschreibungen verwehrt. Aber sind die Schulzeugnisse wirklich (noch) so wichtig?

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Fast ein Viertel der Deutschen haben schlechte Noten den Traumjob gekostet

Deutschland ist eine sogenannte „Casting-Gesellschaft“. Menschen werden meist nicht als Individuum, sondern im Vergleich mit einer Gruppe bewertet, zum Beispiel einer Schulklasse, einem Abschlussjahrgang oder den Arbeitskollegen. Gerade Studiengänge wie Jura oder Medizin sind bekannt dafür, dass nur die „Besten der Besten“ hier einen Studienplatz ergattern können. Tatsächlich scheinen Schulnoten für den beruflichen Werdegang eine große Rolle zu spielen. So gaben in einer auf Statista veröffentlichten Umfrage 23,7 Prozent der Teilnehmer an, dass sie aufgrund nicht ausreichender Schulnoten einen Beruf nicht erlernen oder einen Studienplatz nicht ergattern konnten – sprich sich von ihrem Traumjob verabschieden mussten.
Statistik: Konnten Sie schon einmal wegen nicht ausreichender Schulnoten einen Beruf nicht erlernen, den Sie gern erlernt hätten? | Statista
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Doch „Traumnoten“ im Einserbereich gehören zur absoluten Ausnahme. Der Notendurchschnitt bei Abiturjahrgängen liegt gerade einmal zwischen 2,16 und 2,61 – je nach Bundesland. Was also machen all diejenigen Bewerber, welche nicht zu den Einserkandidaten gehören? Mit welchen Kompetenzen können diese im Berufsleben – oder bei Eignungstests der Universitäten – punkten? Und wie wichtig sind Schulnoten in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels wirklich?

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Schulnoten vs. emotionale Intelligenz

Experten sind sich einig, dass Schulzeugnisse in naher Zukunft an Bedeutung verlieren werden. Schließlich sind sie vielleicht hinsichtlich des Gedächtnisvermögens, des Fleißes oder der Lernbereitschaft eines Bewerbers aussagekräftig, nicht aber bezüglich dessen Persönlichkeit. Stattdessen rücken immer mehr die Stärken und Schwächen eines potenziellen neuen Mitarbeiters in den Fokus der Personaler, vor allem im Bereich dessen sozialer Kompetenzen. Die neue Erkenntnis lautet nämlich:

Ein sozialer Teamplayer bringt für den Arbeitgeber wertvollere Ergebnisse als ein antisozialer Fachspezialist.

Zumindest dann, wenn es Letzterem an emotionaler Intelligenz mangelt. Denn dann läuft er Gefahr, das Betriebsklima zu vergiften. Tatsächlich wird die hierzulande rasant steigende Anzahl psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern auch auf die fehlende emotionale Intelligenz in deutschen Unternehmen zurückgeführt. So sind es nicht unbedingt Überforderung am Arbeitsplatz oder ständiger Termindruck, welche die Betroffenen in ein Burnout treiben, sondern viel häufiger liegen die wahren Gründe in der zunehmenden Kälte der Geschäftswelt, in Konflikten am Arbeitsplatz, Mobbing oder der ständigen Angst vor dem Jobverlust.

Lese-Tipp:Emotionale Intelligenz: Der IQ ist tot, es lebe der EQ

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Immer mehr Unternehmen begreifen deshalb nach und nach, dass sie bei ihren neuen Mitarbeitern neben oder statt der Schulnoten vielleicht (auch) auf andere Kompetenzen achten sollten – soziale. Denn emotional intelligente Mitarbeiter erwirken eine positive Betriebsatmosphäre. Dies wiederum steigert die Motivation und dadurch auch die Leistungsbereitschaft und Produktivität der gesamten Belegschaft. In einem positiven Umfeld wird außerdem kreativer und innovativer gearbeitet. Fachspezialisten sind hierfür nicht – oder sagen wir nur in Maßen – notwendig. Schließlich gibt es ja immer noch die sogenannte Schwarmintelligenz. Und zu guter Letzt bleiben die nun glücklicheren und zufriedeneren Mitarbeiter dadurch auch langfristig gesünder, was geringere Fehlzeiten und damit verbundene Kosten für das Unternehmen bedeutet.

Besitzt der Bewerber ausreichend soziale Kompetenzen? Ist er motiviert und loyal? Kann er selbstständig und kreativ arbeiten? Das sind die Fragen, welche in Zukunft in Bewerbungsprozessen an Wichtigkeit gewinnen werden. Dennoch: Ganz wollen sich viele Unternehmen (noch) nicht von den Schulzeugnissen verabschieden. So gaben in einer bei Statista veröffentlichten Umfrage 64 Prozent der Befragten an, dass sie „EQ“ und „IQ“ denselben Stellenwert beimessen.

Schulnoten sind die Grundlage, soziale Kompetenzen die „Garnitur“

Deshalb beziehen viele Personaler die Schulnoten immer noch in den Auswahlprozess bei Bewerbern mit ein. Doch während die einen ausschließlich auf die Schulzeugnisse als Entscheidungskriterium setzen, sehen viele andere diese mittlerweile als Grundlage für ein erstes Aussortieren. Anschließend wird jedoch vermehrt auf andere Aspekte geachtet. Dies sind neben der emotionalen Intelligenz zum Beispiel

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  • Studienschwerpunkte
  • Berufserfahrungen
  • Ergebnisse aus dem Assessment Center
  • Fremdsprachenkenntnisse
  • u. v. m.

So sieht das auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände aus Berlin: Sie plädiert für den Abschied von Schulnoten, vor allem bei vom Fachkräftemangel betroffenen Unternehmen. Je nach Branche oder Region leiden viele deutsche Betriebe nämlich bereits und notorischem Bewerbermangel und können daher nicht mehr so „wählerisch“ sein.

Schulzeugnisse verlieren durch Fachkräftemangel an Bedeutung

Simultan zum Fortschreiten des Fachkräftemangels werden Schulnoten immer weiter an Bedeutung verlieren, da sind sich die Experten einig. Es sind dann nicht mehr unbedingt die Bewerber, welche sich einen „Kampf“ um den Traumjob liefern, sondern die Unternehmen konkurrieren um hoch qualifizierte Fachkräfte. Und um diese nicht an die Konkurrenz zu verlieren, gilt es durch ein professionelles Employer Branding attraktive Anreize für Bewerber zu schaffen.

Exzellente Schulnoten werden dann zum „Luxus“, den sich viele Personaler bei ihren Entscheidungsprozessen schlichtweg nicht mehr leisten können. Doch ist diese Entwicklung als positiv anzusehen, da sie endlich auch zu einem Umdenken bei den Unternehmen führt und diese den wahren Wert anderer Kompetenzen erkennen. Und mehr emotionale Intelligenz in deutschen Betrieben hat hoffentlich endlich auch wieder mehr Zufriedenheit bei deutschen Arbeitnehmern und dadurch einen Rückgang stressbedingter psychischer Erkrankungen zur Folge.

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Lege dir einen Karriereplan zurecht!

Wenn du also nicht gerade Jura oder Medizin studieren möchtest, solltest du dir um mittelmäßige Schulnoten keine Sorgen mehr machen. Punkte lieber auf anderer Ebene und arbeite gezielt an deinen sozialen Kompetenzen, Berufserfahrungen oder anderen Stärken als Einstellungsargument. Stichwort: Karriereplan. Und spätestens einige Jahre nach deinem Berufseinstieg kräht ohnehin kein Hahn mehr nach deinen früheren Schulzeugnissen. Viel wichtiger sind dann deine Arbeitszeugnisse und beruflichen Stationen.

Lese-Tipp:Arbeitszeugnis – Anspruch, Geheimsprache und Beispiele

Wurde auch dir der Zugang zu deinem Traumjob aufgrund zu schlechter Schulnoten verwehrt? Beziehungsweise worauf achtest du aus der anderen Perspektive als Personaler/in mehr: Schul- oder Arbeitszeugnisse? Welche weiteren Erfahrungen, Anregungen oder Meinungen hast du zum Thema? Wir freuen uns auf deinen Beitrag in den Kommentaren!

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Bildnachweis: Lukassek/Shutterstock.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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