Eine aktuelle Skilltree-Studie zeigt: Arbeitgebern ist nicht immer klar, was eigene Beschäftigte wirklich können. In Zeiten des Fachkräftemangels könnte das eine Verschwendung von Ressourcen sein.

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Unternehmen sei bewusst, was neue Fachkräfte an Kompetenzen vorweisen müssten. Aber das, was Bestandsmitarbeitern an Fähigkeiten und Erfahrungen besäßen, sei der eigenen Firma nicht klar. Zu dieser Erkenntnis kommt eine aktuelle Untersuchung mit dem Titel „Industriereport Fachkräftemangel 2022“ (Skilltree).

Dass Fachkräfte hierzulande fehlen, ist kein neuer Fakt. Auch im benachbarten Österreich herrscht Personalnot. Deshalb ist die Suche nach geeigneten Talenten ein zentrales Anliegen vieler Unternehmen. Für die Personalsuche fließt Geld und es wird Zeit investiert. Neue Fachkräfte sind heiß begehrt.

Aufgrund dieser Entwicklung besteht die Gefahr, den Wert der eigenen, aktuell Angestellten zu verkennen. Obwohl eine Restrukturierung des Teams oder eine Neuausrichtung Einzelner auf Basis der Stärken und Skills jetzt besonders wertvoll sein könnte, um die Personalnot etwas zu kompensieren.

Dass Firmen zu wenig Kenntnisse über ihre Bestandsmitarbeitern haben, um das sinnvoll umzusetzen, war bereits die Erkenntnis einer früheren Untersuchung des Unternehmens Talentsoft in Zusammenarbeit mit der Fosway Group. In der Studie „The Reskilling Revolution“ wurde festgestellt: Über 50 Prozent der Arbeitgebern waren sich über die Fähigkeiten ihrer eigenen Beschäftigten nicht bewusst.

Es sei jedoch wichtig, so Talentsoft, die Kompetenz der einzelnen Mitarbeitern in einer dynamischen Berufswelt zu nutzen und auszubauen. Ein Konzept oder ein Programm, welche das Können der einzelnen Beschäftigten berücksichtige und manage, besäßen der Umfrage nach nur etwa 7 Prozent der Befragten. Eine Zahl, die eindeutig zu niedrig ist.

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Eine Verschwendung von Potenzial durch mangelnde Kenntnisse

Skilltree zeigt, dass lediglich 6 Prozent der Führungskräfte die Kompetenzen ihrer Mitarbeitern sehr gut kennen. Fast 40 Prozent sind sich nur über 25 bis 50 Prozent der Fähigkeiten ihrer Beschäftigten wirklich bewusst.

Es wurden Führungskräfte als auch Personalverantwortliche miteinbezogen. Die Untersuchung berücksichtigt demnach die Antworten von 250 Entscheidungsträgerinnen.

Die aktuelle Studie wirft eine neue Perspektive im „War for Talents“ auf und lenkt den Fokus auf ein Problem, welches die Lage aktuell verschärft: Wenn Mitarbeitern merken, dass sie wenig Wertschätzung erleben, schauen sie sich am Arbeitsmarkt um. Sie kündigen ihre Jobs. Sie suchen nach neuen Jobperspektiven.

Es ist eine Verschwendung von Potenzial, weil gute und langjährige Mitarbeitern, deren Arbeit zur Selbstverständlichkeit wird, in der „Panik“ der Personalnot untergehen.

Für Bestandsmitarbeitern ist es vielleicht eine schmerzhafte Erkenntnis, dass ihre Vorgesetzten sie nicht so gut kennen, wie sie selbst vielleicht dachten – und das zeugt von wenig Wertschätzung. Es ist aber auch eine Chance für diese Beschäftigten: Weil qualifizierte Fachkräfte begehrter denn je sind, steht ihnen der Markt offen.

Anders gesagt: Beschäftigte können einfach gehen, wenn sie wissen, dass sie woanders ein besseres Angebot mit besseren Arbeitsbedingungen bekommen. Einerseits sorgt das dafür, dass vielleicht der Kampfgeist einiger geweckt wird, um alles daran zu setzen, Mitarbeitern doch noch zu binden. Andererseits riskieren Unternehmen, Beschäftigte tatsächlich zu verlieren.

Was können Arbeitgeber:innen anders machen, um die Fluktuation zu senken?

Durch die fehlende Kenntnis über die Fähigkeiten der Beschäftigten droht die Gefahr, diese zu schnell abzustempeln. So ergeben sich Vorurteile, die nur schwer abzubauen sind. Wer „Büro-Clown“ ist, dem wird vielleicht nicht zugetraut, auch pflichtbewusst zu sein. Was aber, wenn es völlig anders ist? Unternehmen können nur spekulieren und im Worst Case sogar Fehlentscheidungen treffen, wenn sie nicht wissen, wen sie da vor sich haben.

Was können Unternehmen also konkret machen, um die Fähigkeiten der einzelnen Teammitglieder besser einschätzen zu können und ihnen nicht auf die Füße zu treten?

In erster Linie gilt es, rechtzeitig tätig zu werden. Nicht erst, wenn die eigenen Talente schon nach einem neuen Unternehmen Ausschau halten. Es gibt mehrere Handlungsmöglichkeiten, um eigene Beschäftigte besser kennenzulernen:

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1. Näher am Geschehen sein & in Krisensituationen lernen

Der Boss oder die Chefin arbeitet alleine im Büro, verschließt morgens die Tür und hasst es, gestört zu werden? Verständlich: Führungskräfte tragen eine große Verantwortung, die in stressigen Phasen zur Belastung werden kann.

Manchmal wirkt es aber so, dass die einzelnen Mitarbeitern zur „Nebensache“ werden. Auf diese Weise bleibt keine Möglichkeit, sich in Krisensituationen besser kennenzulernen. Vielleicht gibt es Angestellte, die einen kühlen Kopf bewahren, kreative Ideen entwickeln oder eine außergewöhnliche Leistung vollbringen. Schade nur, dass es niemand sieht. Gerade in stressigen Situationen erfahren wir nämlich etwas über die Fähigkeiten von Menschen.

2. Eine offene Kultur entwickeln

Strenge Regeln, ein ausschließlich autoritärer Ton und Kontrollen können dazu führen, dass Beschäftigte sich zurückziehen, still ihrem Job nachgehen und nur das Nötigste erledigen. Für Unternehmen ist das – aus mehreren Gründen – ein großer Nachteil. In diesem Kontext gilt zu betonen, dass es vor allem die verpasste Chance ist, mehr über die Fähigkeiten der eigenen Mitarbeitern zu erfahren, die wehtut. Sie verschließen sich.

Es ist wie mit Kindern: Sie entfalten sich in einem sicheren Umfeld. Wenn sie wissen, dass Strafe oder Gefahr droht, sind sie mit ihren Ängsten beschäftigt. Denn das Überleben steht im Vordergrund. Kinder, die Sicherheit erfahren und wissen, dass sie Fehler machen dürfen, trauen sich eher, sich zu zeigen, ihre Skills zu entdecken und sie auszubauen.

Ergo: Eine offene Unternehmenskultur, die Vielfalt, Toleranz und Authentizität lebt, schafft eine gute Basis, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. So ergibt sich die Chance, Fähigkeiten gezielt zu fördern. Und nicht einfach etwas beliebig Seminare oder Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, die nicht zum individuellen Profil eines Beschäftigten passen.

3. Persönliche Motivation der Beschäftigten evaluieren

Arbeitgebern sollten wissen, was ihre Beschäftigten auf die Arbeit „bringt“. So erfahren sie mehr über die persönliche Motivation. Eine Mitarbeiterbefragung kann Abhilfe schaffen. Aber auch eine Meeting-Reihe, welche sich mit den Werten, Wünschen und Fragen der Angestellten beschäftigt, kann sich positiv auswirken. Wichtige Fragen, die Arbeitgebern stellen sollten:

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  • Bist du glücklich/zufrieden mit deiner derzeitigen Situation?
  • Was schätzt du an deiner Arbeit?
  • Was ist das Highlight deines Arbeitstages?
  • Wenn du etwas anders machen könntest, was wäre das?
  • Was motiviert dich persönlich, zur Arbeit zu kommen?
  • Wie geht es dir mit deinem Arbeitsbereich?

4. Es muss persönlicher werden

Die persönliche und soziale Ebene wird in der modernen Arbeitswelt immer wichtiger. Weil die Kommunikation schneller und digitaler wird und eine Art „Entschleunigung“ das ist, wonach sich viele Menschen in dieser temporeichen Welt sehnen. Der persönliche Kontakt ist das, was Unternehmen nutzen sollten, um die Fähigkeiten ihrer Angestellten besser kennenzulernen.

Die Post-Corona-Zeit könnte diese Sehnsucht sogar verstärken. Ein regelmäßiges Get-together, auf welchem sich Angestellte auch mit ihren Vorgesetzten ungezwungen unterhalten können, kann ungeahnte Fähigkeiten offenbaren. Ob es das Organisationsgeschick einer Mitarbeiterin, die IT-Kenntnisse eines Angestellten oder das Schreibtalent eines Beschäftigten ist: Während der Arbeitszeit konzentrieren sich Chefs vielleicht nur auf die Kernkompetenz ihrer Angestellten – nicht aber auf das, was sie darüber hinaus beherrschen.

Bild: TommL/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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