Nach Hilfe fragen, Aufgaben abgeben und Unterstützung annehmen? Für Führungskräfte ein emotionaler Kraftakt. Warum es sich dennoch lohnt, mutig um Hilfe zu bitten.

Helfen fällt uns leichter, als um Hilfe zu fragen

Ob aus Angst, Scham oder Stolz: Jemanden um Hilfe zu bitten, ist oft – abhängig von der Situation – besonders unangenehm. Gerade für Menschen in Führungsposition kann es zur Mammutaufgabe werden. Lieber helfen wir, anstatt selbst um Unterstützung zu bitten.

Die Gründe sind vielfältig:

  • Leitungsposition: Führung suggeriert von Natur aus, andere zu leiten und sie zu unterstützen – nicht umgekehrt.
  • Eigenständigkeit: Als Führungskraft möchtest du dich unabhängig fühlen.
  • Prägung und Einfluss: Schon früh in der Kindheit werden viele Menschen darauf trainiert, keine Fehler oder Schwächen zu zeigen.
  • Ansehen: Um den eigenen Ruf nicht zu schädigen, zeigen wir uns als Chef unfehlbar – auch wenn niemand perfekt ist.
  • Erfahrungen aus der Vergangenheit: Hast du früher schon um Hilfe gebeten und negative Reaktionen durchlebt, traust du dich auch als Führungskraft kaum noch, eine ähnliche Situation zu riskieren.
  • Belastung für andere: Nur die wenigsten von uns möchten für Mitmenschen eine ernsthafte Belastung werden, weshalb wir es bevorzugen, auf Hilfe zu verzichten.

Warum es sich für Führungskräfte dennoch lohnen kann, sich zu überwinden und andere um Hilfe zu bitten? Wir fassen 7 gute Gründe zusammen:

1. Der Benjamin-Franklin-Effekt

Bereits 1969 haben Psychologen in einem Experiment den sogenannten „Benjamin-Franklin-Effekt“ untersucht. Die Theorie geht davon aus, dass ein Mensch dich automatisch sympathischer findet, wenn du ihn um persönliche Hilfe oder um einen Gefallen bittest.

Die Begründung: die sogenannte „kognitive Dissonanz“.

Mit „Dissonanz“ ist der Missklang gemeint. Sie besagt, dass unser Gehirn zwischen Denken und Handeln keinen Widerspruch, keinen Missklang erkennen möchte. Vielmehr soll unser Denken aus rationaler Sicht zu unseren Taten passen. Tun wir jemandem also einen Gefallen, setzt dies nach der Theorie voraus, dass wir diesen Menschen auch mögen bzw. sympathisch finden (werden). Täten wir dies nicht, würde umgekehrt eine vom Gehirn unerwünschte Dissonanz eintreten.

Klingt kompliziert? Kurzum: Bittest du um Hilfe oder einen Gefallen, sammelst du laut Benjamin-Franklin-Effekt automatisch Sympathiepunkte.

2. Es schafft Verbindung, als Führungskraft nahbar zu sein

Führungskräfte sind Übermenschen, perfekt, erfolgreich und makellos? Dieses Idealbild ist längst überholt. Haben wir selbst und unsere Mitmenschen dieses Idealbild jedoch verinnerlicht, entfernen wir uns mit unserem Ideal von der Realität – und damit auch von den Menschen um uns herum, die vermeintlich nicht so „perfekt“ sind.

Oft ist es so, dass Angestellte, Familie und Freunde hohe Erwartungen haben – zumindest glaubst du das -, sobald du das Segel in die Hand nimmst. Wenn du deinen Stolz überwindest und bei der Wegbeschreibung, einer Fachfrage oder gar beim Zubereiten einer Mahlzeit um Hilfe fragst, zeigst du dich nahbar.

Ja, es ist so: Gehen wir von alten Rollenbildern aus, strahlen Autoritäten eine gewisse Unnahbarkeit aus. Eine echte Verbindung in der Realität, in der du nach Hilfe fragst, steuert dieser Illusion entgegen.

3. Um Hilfe bitten als Burnout-Prävention

Eine internationale Umfrage der Adecco Group („Resetting Normal: Defining the New Era Of Work“) hat bestätigt, dass besonders viele junge Führungskräfte sich ausgebrannt führen. Dies gaben 54 Prozent der Befragten an.

Besonders fatal: Rund die Hälfte der Führungskräfte hätte außerdem Schwierigkeiten damit, zu erkennen, ob ihre Angestellten mental ausbrennen würden. Überlastung, Zeitdruck, Personalmangel und überzogene, unrealistische Ziele sowie übertriebene Erwartungen führen auf beiden Seiten zu negativen Auswirkungen.

Hilfe als Burnout-Prävention ist jetzt sinnvoll: Du hilfst nicht nur dir selbst, indem du häufiger um Unterstützung bittest und den Fuß vom Gas nimmst. Sondern auch deinen Mitarbeitern, wenn du als Führungskraft in der Lage bist, dich für dieses Thema zu sensibilisieren.

4. Du lernst dazu und erweiterst so deine Fähigkeiten

Führungskräfte werden nicht mit allen notwendigen Fähigkeiten geboren, die sie dazu brauchen, um erfolgreich zu sein. Im Gegenteil: Du hast immer die Chance, Neues dazuzulernen und deine Skills zu verbessern.

Wer bereit ist, in schwierigen Situationen um Hilfe zu bitten, bekommt die Gelegenheit, neue Fähigkeiten zu erlernen.

Bist du technisch weniger begabt, hegst du eine Abneigung gegen komplizierte Berechnungen oder hast du Probleme damit, Empathie zu empfinden? Sprich mit jemandem darüber, der genau die benötigten Fähigkeiten beherrscht.

5. Du zeigst Stärke, Mut und Eigenverantwortung

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass es eine Schwäche sei, deine Mitmenschen um Hilfe zu fragen. Wer um Unterstützung bittet, beweist Eigenverantwortung.

Zum Vergleich: Würdest du es unterlassen, jemanden in einer wichtigen Situation um Hilfe zu bitten, könntest du damit nicht nur dir selbst schaden. Als Führungskraft giltst du als Vorbild – und riskierst so, dass auch negative Verhaltensweisen nachgeahmt werden. Falscher Stolz und vermeintliche Schwäche führen dazu, dass andere genau das möglicherweise übernehmen.

Übrigens: Ein Report des World Economic Forum (WEC) klärt darüber auf, dass es in unserer Arbeitswelt immer wichtiger werden wird, Eigenverantwortung zu zeigen. Besonders in Zeiten des eigenständigen Arbeitens, Homeoffice sowie Digitalisierung tragen wir mehr Verantwortung, Aufgaben gewissenhaft abzuschließen. Ist dies nicht möglich, sind wir umso mehr auf die Fähigkeit angewiesen, Hilfe zu geben und anzunehmen.

6. Du kommst schneller an dein Ziel

Fehlen Mitarbeiter, Ressourcen und Zeit? Dann kann es jetzt besonders hilfreich sein, deine Pläne als Führungskraft zu überdenken und deine Kontakte um Rat oder Hilfe zu bitten.

Spare dir den zusätzlichen Stress, alles alleine schaffen zu wollen. Dies führt lediglich zu größeren Versagensängsten, Panik und möglicherweise auch körperlichen Folgen wie Bluthochdruck, Kopfschmerzen und Herzrasen.

Zusatztipp: Es kann manchmal schon genügen, sich zu öffnen und über die Belastung zu sprechen. Nicht selten leben wir mit der Angst, anderen zur Last fallen zu können. Auch Führungskräfte sind Menschen, die ab und an ein offenes Ohr benötigen – traue dich deshalb, dich jemandem anzuvertrauen.

7. Du zeigst eine wichtige Führungsqualität

Durchsetzungsfähigkeit, Fairness, Empathie – die Liste von wichtigen Führungsqualitäten ist unendlich. Umso wichtiger ist es, einige davon zu priorisieren.

Hilfe annehmen und um Unterstützung bitten ist vielleicht nicht die Qualität, die dir sofort in den Sinn kommt. Sie wird jedoch häufig unterschätzt, weil sie mehrere Qualitäten vereint:

  • Mut
  • Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber
  • die Fähigkeit, sich verletzlich zu zeigen
  • Stärke

Gute Führungskräfte sind sich nicht zu schade, nach Hilfe zu fragen

Die meisten Menschen helfen ihren Mitmenschen, zugleich zögern sie jedoch, sich „schwach“ zu zeigen. Hier liegt auch das Problem für Führungskräfte: Vermeintliche Schwäche lässt sich mit Stärke, die eine Autorität klassischerweise ausstrahlen soll, nicht vereinen.

Es handelt sich jedoch um idealisierte Bilder, die weit weg von der Realität sind.

Ein Umdenken ist deshalb gefragt: Es ist nicht nur an der Zeit, veraltete Rollenklischees von Führungskräften zu hinterfragen. Auch gilt es, als Boss selbst um Unterstützung bitten zu können – und so mit festgefahrenen Bildern von „Stärke“ und „Schwäche“ zu brechen.

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