Menschen mit hohem sozialen Status neigen laut einer Stanford-Studie zu übermäßigem Selbstvertrauen. Arbeitgeber verwechseln das mit Intelligenz – zum Nachteil von Bewerbern mit echter Kompetenz.

Anzeige

Wie hängen sozialer Status und Selbstüberschätzung zusammen?

Selbstvertrauen kommt bei Arbeitgebern vergleichsweise gut an. Bewerber werden deshalb bevorzugt. Dies sei vor allem bei Menschen mit einem höheren sozialen Status zu beobachten, die von Haus aus zu einer Selbstüberschätzung neigen würden – zumindest lautet so das Resultat einer Stanford-Studie, die den Zusammenhang zwischen sozialem Status, Selbstüberschätzung und klassenbasierter Ungleichheit untersucht. An der Studie haben unter anderem Professorin Margaret Ann Neale (Stanford Graduate School of Business) und Peter Belmi (Darden School of Business) mitgewirkt.

Die Ergebnisse zeigen, dass gerade Menschen aus der Oberschicht das Privileg einer größeren Sicherheit, Souveränität und das der guten Umgangsformen genießen. Dies führe automatisch zu einer Selbstüberschätzung. Eigenschaften wie ein lautes, auffälliges Auftreten würden dabei vor allem die leisen, zurückhaltenden Menschen „unsichtbar“ machen. Obwohl diese die echten Talente sein können – denn (überschätztes) Selbstvertrauen steht nicht automatisch für Kompetenz.

Im Gegenteil: Die Autoren der Studie sind sich einig, dass ein übermäßig selbstsicheres Auftreten kritischer hinterfragt werden sollte.

Höhere Kompetenzeinschätzung: Was sagen frühere Forschungen?

Neu ist das Ergebnis im Grunde aber nicht. Denn schon eine ältere Studie der TU Darmstadt aus dem Jahr 2001 vom Elite- und Sozialforscher Prof. Michael Hartmann zeigte:

Anzeige

Die Chancen für höhere Positionen stehen für „Mittelstandskinder“ schlechter, wenn man diese mit den Chancen für Menschen aus der Oberschicht vergleicht.

Dies sei nicht unbedingt auf den Status an sich zurückzuführen. Sondern aus den daraus resultierendem Auftreten. In seinen Gesprächen mit Arbeitgebern fand er heraus, dass diese besonderen Wert auf ein souveränes Auftreten und auf das Gesamterscheinungsbild legen. Hartmann zufolge sei der souveräne Auftritt ein wesentliches Ergebnis des Elternhauses.

Wichtig: Pauschalisieren sollten wir dennoch nicht – denn auch ein selbstsicheres Auftreten lässt sich bekanntlich und trotz Herausforderung, unabhängig vom sozialen Status, erlernen.

Was sind die konkreten Gefahren?

Beide Studien machen deutlich, dass Selbstüberschätzung die echte Kompetenz eines Menschen nicht kaschieren muss, aber kann. Dass Personaler sich tendenziell für Bewerber mit einem eher auffälligen, selbstsicheren Auftreten entscheiden, ist deshalb ein Problem.

Die Forscher der Stanford-Studie führten die wissenschaftliche Untersuchung mit über 150.000 Probanden und Probandinnen durch. Eine Hypothese lautete unter anderem, dass hoher sozialer Status mit Übermut zusammenhängt, während Personen mit vergleichsweise niedriger sozialer Klasse bescheidener mit ihren Kompetenzen umgehen. Lassen Entscheidungsträger sich hiervon wesentlich beeinflussen, entgehen ihnen möglicherweise echte Talente für eine Position, die durch ein „lautes“ Auftreten nicht ausgeglichen werden kann. Spätestens bei spezifischen Problemen, die beispielsweise einer fachlichen Kompetenz bedürfen, könnten die Defizite oft nicht mehr kaschiert werden.

Wie sieht Selbstüberschätzung in der Praxis aus?

Eine Phase des Experiments galt einem simplen Gedächtnistest. Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit höherem sozialen Status und besserem Einkommen waren sich sicher, die Testaufgaben insgesamt besser gelöst zu haben.

Das Resultat: Sie hatten sich maßlos überschätzt – denn die Ergebnisse fielen schlechter aus.

Anzeige

Die wesentlichen Merkmale von Selbstüberschätzung:

  • das (systematische) Fehleinschätzen der eigenen Kompetenzen
  • die übertrieben positive Darstellung der eigenen Person
  • eine hohe Meinung von sich selbst trotz Kritik aus dem Umfeld
  • (oft) die Überzeugung, besser als andere zu sein

Übrigens: Die Wissenschaftler schätzen, dass die Selbstüberschätzung auch mit dem Erhalt oder der Erhöhung des Status zu tun haben könnte. Wer demnach einen höheren sozialen Status genießt, bezwecke mit der Fehlkalkulation der eigenen Kompetenzen zum Beispiel, dem höheren sozialen Rang näher zu sein, diesen zu bestätigen – oder nach einer wesentlichen Erhöhung zu streben. Klingt kompliziert? Einfach gesagt: Wer ganz oben ist, würde auch mit allen Mitteln ganz oben bleiben wollen. Dazu gehöre eben auch das übermäßig souveräne Auftreten als Instrument.

Fehleinschätzung vermeiden: Wie sollten Personalentscheider vorgehen?

Die Autoren der Studie machen mehrere Vorschläge, die dabei helfen können, Fehleinschätzungen zu verhindern, um sich beispielsweise in Bewerbungsgesprächen besser entscheiden zu können.

Eine Idee lautet: Bewerber sollen ihre Kompetenzen zeigen – und nicht nur davon erzählen. Ein wesentlicher Faktor dabei, Kompetenzen besser einschätzen zu können, sei die Art des Bewerbungsprozesses. Statt nach den Stärken oder einer besonders guten Leistung zu fragen, sollten Personaler nach Möglichkeit eine Aufgabe stellen. So würde das Können besser überprüft werden.

Autor Belmi betont, dass gute Redner nicht automatisch intelligent seien. Umso wichtiger sei es, sich hiervon nicht täuschen zu lassen. Wer selbstsicher auftritt, müsse dennoch überprüft werden.

Wie unterscheide ich echte Selbstsicherheit von Selbstüberschätzung?

Trotzdem kann es in der Praxis herausfordernd sein, Bewerbern auf die Schliche zu kommen, die sich maßlos in ihrem Können überschätzen. Denn auch umgekehrt lässt sich behaupten: Selbstsicherheit schließt Kompetenz nicht automatisch aus.

Anzeige

3 Tipps, um echte Selbstsicherheit von Selbstüberschätzung zu unterscheiden und kompetente Fachkräfte zu finden:

  1. Lernbereitschaft: Wer von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, baut häufig auf seiner Selbstüberschätzung als Fundament – und ist nicht bereit, sich beispielsweise noch weiterzuentwickeln. Prüfe deshalb auch, in welcher Form Bewerber ihre Kompetenzen in der Vergangenheit ausgebaut haben.
  2. Fachliches Wissen: Auch wenn Reden und souveränes Auftreten im bestimmten Branchen gefragter sind – fachliche Fragen sollten ein wesentlicher Teil des Bewerbungsprozesses sein; nicht nur das Erscheinungsbild und die Redefähigkeit eines Bewerbers.
  3. Umgang mit Herausforderungen: Achte auf die Einstellung gegenüber neuen Aufgaben, für die der Bewerber (noch) nicht qualifiziert ist. Menschen mit Selbstüberschätzung neigen tendenziell dazu, mit „weniger Respekt“ an die Aufgabe heranzugehen. Sie sehen sich als Experte oder als Expertin. Spätestens die Ergebnisse zeigen, ob es sich um echte Selbstsicherheit oder pure Selbstüberschätzung gehandelt hat.

Achtung: Selbstüberschätzung gilt nicht per se als Persönlichkeitsmerkmal

Auch wenn es so scheint, dass maßlose Selbstüberschätzung ein Persönlichkeitsmerkmal sein könnte: Häufig handelt es sich um ein verzerrtes Eigenbild, das in verschiedenen Kontexten zum Vorschein kommt. So unterscheiden Psychologen beispielsweise zwischen

  • der Fehl- oder Überschätzung der aktuellen Leistungen,
  • der Überschätzung der eigenen Leistungen im Vergleich zu anderen Personen
  • und der falschen Einschätzung ihres eigenen Wissens in der Gesamtheit, Exaktheit und Aktualität.

Einfach gesagt: Je nach Kontext kann sich die Position unterscheiden. Geht es nach den Forschungen der Stanford-Studie, spielt jedoch der soziale Status grundsätzlich eine Rolle bei unserem Auftreten.

Fazit

Nicht wer große Reden schwingen kann, sollte für eine Position als Kandidat bevorzugt werden – es sei denn, diese Eigenschaft ist explizit gefragt.

Wie mehrere Forschungsergebnisse zeigen, kann der soziale Status und die damit einhergehende Selbstüberschätzung dazu führen, dass Personaler sich für eben jene entscheiden, die souveräner auftreten. Ein souveräner Auftritt kann jedoch vieles bedeuten:

Anzeige

Selbstsicherheit, die echt ist – oder ein übermäßiges Selbstvertrauen, das sich als „overconfidence“ entpuppt.

Klar ist, dass auch Recruiter und Arbeitgeber am anderen Ende des Tisches eine Entscheidung treffen müssen, die unterschiedliche Kriterien berücksichtigt. Ob fachliche Kompetenz vorhanden ist, sollte deshalb überprüft werden, etwa mittels praxisnaher Fragen uns Tests. Beweist ein Kandidat echte Kompetenz, kannst du davon ausgehen, dass es sich nicht um Selbstüberschätzung, sondern um gerechtfertigte Selbstsicherheit und Können handelt. Denn manchmal sind es die zunächst unscheinbaren Kandidaten, die mit echtem Potenzial überraschen – wenn sie die Chance bekommen.

Bildnachweis: FG Trade/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

Mach mit und diskutiere mit uns in unserer Skool Community!

Egal, ob du Fragen hast, Antworten suchst oder einfach nur deine Erfahrungen zu diesem oder anderen Themen teilen möchtest, du bist herzlich willkommen. Diskutiere mit, erweitere dein Wissen und werde Teil einer inspirierenden Gemeinschaft. Zur Arbeits-ABC Community