Stell dir vor, du sitzt morgens an deinem Schreibtisch. Dein Laptop summt leise, dein Posteingang füllt sich langsam mit E-Mails, und dein Kalender ist vollgepackt mit Meetings. Aber tief drinnen weißt du: Keines dieser Meetings, keine dieser E-Mails und keine einzige Zeile, die du heute schreibst, wird irgendetwas verändern. Willkommen im Bullshit-Job.
Es ist ein Begriff, den der Anthropologe David Graeber geprägt hat, und er beschreibt damit einen Arbeitsalltag, den viele von uns nur zu gut kennen. Bullshit-Jobs sind Tätigkeiten, die so überflüssig sind, dass selbst die Menschen, die sie tagtäglich ausführen, kaum eine Existenzberechtigung dafür finden.
Es sind die vielen Assistenten, die den ganzen Tag mit stumpfen Aufgaben beschäftigt werden, die auch einfach wegfallen könnten, ohne dass es jemand merkt. Es sind die Mittelmanager, die endlose Kaskaden von Statusupdates an andere Manager und Teamleiter weiterleiten. Und es sind die unzähligen Berater, deren Projekte bestenfalls kosmetische Änderungen bewirken – und schlimmstenfalls nichts.
Was Graeber so provokant macht, ist nicht nur die These, dass solche Jobs existieren, sondern dass unsere moderne Arbeitswelt regelrecht von ihnen durchsetzt ist:
Jobs, die nichts bewirken. Jobs, die nichts ändern. Jobs, die nur eines tun: uns beschäftigen.
Die drei Typen von Bullshit-Jobs
Diese Jobs lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen. Und wenn man sich diese Liste durchliest, wird einem bewusst, dass man sie alle schon irgendwo gesehen hat – oder vielleicht selbst darin arbeitet.
Die Lakaien: Empfangsmitarbeiter, persönliche Assistenten, Türöffner – sie sind nicht da, weil sie wirklich gebraucht werden (wir alle können Türen meist selbst öffnen), sondern weil jemand hinter diesen Menschen wichtig wirken will. Durchschnittliches Jahresgehalt: ca. 30.000 € brutto.
Die Hard-Setter: Werbeagenturen, aggressive Sales-Teams oder Lobbyisten – sie verkaufen uns Dinge, die wir nicht brauchen, und schaffen Probleme, die ohne sie nicht existieren würden. Durchschnittliches Jahresgehalt in Werbeagenturen: 60.000 bis 80.000 € brutto.
Die Aufgabenverteiler: Manager, deren Hauptaufgabe die Planung von Prozessen und Abläufen ist. Das Problem? Wenn es nicht genug zu koordinieren gibt, werden künstlich neue Aufgaben aus dem Boden gestampft, um ihre eigene Daseinsberechtigung im Unternehmen zu sichern. Durchschnittliches Jahresgehalt für Manager: ca. 60.000 € bis 80.000 € brutto, je nach Hierarchieebene, Unternehmensgröße und Fachbereich.
Alle drei Typen eint eine Gemeinsamkeit: Ihre Tätigkeiten könnten von heute auf morgen mehr oder weniger wegfallen, und die Welt würde sich trotzdem weiterdrehen – vielleicht sogar ein bisschen entspannter.
In welchen Branchen tummeln sich die meisten Bullshit-Jobs?
David Graeber hat in seinen Studien viele Branchen identifiziert, in denen Bullshit-Jobs besonders verbreitet sind. Dabei beschreibt er spezifische Berufe, die typische Beispiele für solche Tätigkeiten sind. Eine aktuelle Studie von Simon Walo (2023) liefert dazu neue empirische Einblicke und stützt Graebers Theorie größtenteils. Walo fand heraus, dass bestimmte Berufsgruppen überdurchschnittlich häufig als „sozial nutzlos“ wahrgenommen werden:
Berufe, die existieren, um jemand anderen wichtig erscheinen zu lassen: Hierzu zählen Verwaltungsassistenten, Aufzugsführer, Türsteher und Rezeptionisten. Laut Graeber dienen diese Rollen weniger einem echten Zweck, sondern eher dazu, das Prestige oder die Wichtigkeit anderer Personen oder Organisationen zu unterstreichen. Laut Walo empfinden rund 17 % der Beschäftigten in diesen Bereichen ihre Arbeit als sinnlos.
Berufe, die nicht nur nutzlos, sondern aktiv schädlich für die Gesellschaft sind: Dazu gehören Verkaufs- und Marketingberufe, Unternehmenslobbyisten, Anwälte, militärische Berufe und Tätigkeiten im Finanzsektor. In Walos Untersuchung gaben Arbeitnehmer:innen aus dem Finanzwesen mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,2-mal häufiger als der Durchschnitt an, dass ihre Arbeit keinen gesellschaftlichen Mehrwert bietet.
Berufe, die aktiv mehr sozial nutzlose Arbeit erzeugen: Hier nennt Graeber vor allem Manager. Walos Studie bestätigt dies: Manager empfinden ihre Tätigkeit 1,8-mal häufiger als sinnlos im Vergleich zu anderen Berufsgruppen.
Zusammengefasst: Bullshit-Jobs blühen dort, wo Tätigkeiten entweder symbolischen Charakter haben, aktiv Schaden anrichten oder zusätzliche unnötige Arbeit generieren. Diese Berufe sind nicht nur ein Symptom ineffizienter Strukturen, sondern zeigen auch, wie Arbeit oft unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Nutzen bewertet wird.
Bullshit-Jobs: Warum es sie gibt – und wie sie entstehen
Das ist die große Frage: Wenn diese Tätigkeiten wirklich so sinnlos sind, warum existieren sie dann überhaupt? Graeber sieht dafür mehrere Gründe.
Zum einen liebt unsere Gesellschaft Arbeit. Arbeit wird als moralisches Gut betrachtet – unabhängig davon, ob sie nützlich ist. Ein Mensch, der arbeitet, gilt als fleißig, tugendhaft und wichtig – er bringt sich ein. Ein Mensch, der nicht arbeitet? Tja, der ist faul. Schließlich trägt er nichts zur Gemeinschaft bei.
Zum anderen neigen Organisationen dazu, sich selbst zu erhalten. Jede neue Abteilung, jede zusätzliche Managementebene schafft Aufgaben, die es vorher nicht gab. Und um diese Aufgaben zu erfüllen, werden neue Menschen eingestellt, die wiederum neue Aufgaben erfinden – ein Kreislauf, der sich endlos selbst nährt.
Darüber hinaus zeigen neuere Studien, dass auch Entfremdung eine Rolle spielt. Menschen, die in unklaren Strukturen arbeiten, unter schlechter Führung leiden oder kaum Feedback zu ihrer Arbeit bekommen, neigen eher dazu, ihre Arbeit als sinnlos zu empfinden – selbst wenn diese objektiv nützlich sein könnte.
Und dann ist da noch die Angst vor Veränderung. Bullshit-Jobs belasten nicht nur die Betroffenen, sondern ganze Wirtschaftszweige. Ein radikales Umdenken würde bedeuten, dass wir das System Arbeit von Grund auf hinterfragen müssen.