„Was war Ihr größter beruflicher Fehler – und was haben Sie daraus gelernt?“ Diese oder ähnliche Fragen werden gern im Vorstellungsgespräch gestellt, um Bewerbern auf den Zahn zu fühlen. Doch kaum eine andere Frage sorgt für so viel Nervosität. Wer hier souverän antworten und punkten will, muss nicht nur Selbstreflexion beweisen – sondern auch das Spiel dahinter verstehen. 

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Wenn Ehrlichkeit zur Gratwanderung wird

Verhaltensfragen – im Englischen „behavioral questions“ – sind fester Bestandteil moderner Bewerbungsgespräche. Statt nach beruflichen Stationen zu fragen, wollen Personaler durch konkrete Situationen das Verhalten eines Menschen einschätzen. Ob Konfliktfähigkeit, Frustrationstoleranz oder Teamgeist – all das soll zwischen den Zeilen sichtbar werden.

Doch bei der Frage nach dem Scheitern – und den sogenannten Learnings – wird es heikel. „Es ist ein psychologisches Spannungsfeld: Bewerber sollen ehrlich sein, aber sich gleichzeitig nicht selbst disqualifizieren. Die Frage bringt Menschen in einen inneren Konflikt: Wie viel darf ich von meinen gemachten Fehlern preisgeben, ohne mir die Jobtür zuzuschlagen?

Ein Test auf Reife – oder eine perfide Falle?

Die Idee hinter der Frage ist durchaus sinnvoll. Wer über eigene Schwächen, Fehler und Misserfolge sprechen kann, beweist Selbstreflexion. Und wer schildern kann, wie und was er daraus gelernt hat, zeigt Entwicklungspotenzial. Doch die Realität sieht dennoch manchmal anders aus. In der Praxis geraten Bewerber häufig ins Straucheln. Die Angst, mit der falschen Anekdote ein Eigentor zu schießen, ist groß.

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Viele verfallen dann in eine Art verkappte Power-Überlebensstrategie. Sie berichten etwa von einem Perfektionismus, der sie einmal zu lange an einer Aufgabe hat feilen lassen – und wodurch die Deadline verstrich. Ein Scheitern mit eingebautem Lob. Doch diese Strategie kennen Personaler längst. Wer hier zu glatt antwortet, wirkt unecht – und als hätte er die Antwort vorher einstudiert.

Und manchmal ist die Frage schlicht auch einfach unfair. Denn nicht jeder Mensch hat berufliche Misserfolge parat, die sich pointiert erzählen lassen. Vor allem Berufseinsteiger oder Menschen aus weniger sagen wir mal dynamischen Arbeitsfeldern tun sich schwer.

Druck unter dem Deckmantel der Authentizität

Die Frage nach dem Scheitern ist ein kleiner Stresstest. Sie fordert Bewerber heraus, über ihre Schwächen zu sprechen – und zeigt, wie sie damit umgehen. Es geht weniger um den Inhalt an sich, sondern darum, ob jemand Verantwortung für sein Tun und Handeln übernimmt, strukturiert reflektiert und Lösungsorientierung zeigt.

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Doch der Preis dafür ist hoch. Die Frage kann bei sensiblen Menschen immensen Druck auslösen – vor allem, wenn sie gerade erst aus toxischen Arbeitsverhältnissen kommen oder stark verunsichert und eingeschüchtert sind. Ein Gespräch, das eigentlich gegenseitiges Kennenlernen auf Augenhöhe sein sollte, wird so zu einer Bühne für psychologische Akrobatik.

Was hilft? Vorbereitung – und ein Perspektivwechsel

Wer mit dieser Frage konfrontiert wird, sollte sich im Vorfeld ein bis zwei passende Storys zurechtlegen. Der Trick: Es muss nicht das spektakulärste Scheitern sein – sondern eines, das zumindest Entwicklung zeigt. Wichtig ist, dass am Ende ein Lerneffekt stattgefunden hat.

Beispiel: „In einem Projekt habe ich einmal zu spät das Gespräch mit einem Kollegen gesucht, obwohl es Unstimmigkeiten gab. Das hat die Stimmung im Team belastet und das Projekt ausgebremst. Seitdem spreche ich Konflikte früher an.“

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Schon solche Antworten zeugen von Selbstkritik – und vermitteln den Eindruck, dass sich der Bewerber mit seinem eigenen Verhalten auseinandergesetzt hat.

Und: Auch Bewerber dürfen hinterfragen. Wer den Eindruck hat, die Frage zielt auf Bloßstellung, darf ruhig kritisch nachfragen: „Meinen Sie ein fachliches Versagen oder eher ein zwischenmenschliches?“ – Das zeigt Souveränität und verschiebt die Gesprächsführung auf Augenhöhe.

Die Frage nach dem Scheitern im Vorstellungsgespräch bleibt eine Herausforderung

Sie fordert uns heraus, ehrlich und reflektiert zugleich zu sein. Doch sie ist auch ein Spiegel für ein Bewerbungssystem, das Authentizität fordert – und gleichzeitig Unfehlbarkeit erwartet. Vielleicht sollten wir den Mut zur ehrlichen Schwäche nicht nur bei Bewerber suchen, sondern auch in der Art, wie wir Fragen stellen und ob diese wirklich so viel über Jobkandidaten aussagen wie vermutet.

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