„Da bin ich anderer Meinung“ – Worte, die sich für konfliktscheue Menschen wie die Eröffnung eines Bombenfeuers anhören. Weshalb du Dissonanzen dennoch riskieren solltest.

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Farbe bekennen, harte Linien verfolgen, Kante zeigen, Stellung beziehen: Theoretisch gibt es unendlich viele Ausdrücke für das Kundtun unserer eigenen Meinung. Und doch ziehen wir in der Praxis Begriffe wie schweigen, aussitzen, vermeiden, weggucken oder zögern vor.

Wie viel verträgt unser Gegenüber, bis es zu einem Streit kommt? Wann laufen wir Gefahr, abgelehnt zu werden? Diese und ähnliche Gedanken gehen uns durch den Kopf, wenn wir Angst vor dem Kundtun unserer Meinung haben. Nicht nur privat. Auch und vor allem in Arbeits- und Geschäftswelt fühlen sich anbahnende Konflikte wie ein Desaster an. Deshalb schweigen wir lieber. Oder wir nicken und stimmen freundlich zu.

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Alles wurzelt, wie so vieles andere auch, in unserer Kindheit. Kritik und Bestrafung, die auf den Versuch folgen, unsere autonome Seite auszuleben und uns zu behaupten, prägen unser Selbstwertgefühl. Um Schuldgefühle, Ablehnung und Disharmonie zu vermeiden, streben wir nach Frieden und vermeiden Konflikte. Besonders die Anerkennung von Autoritätspersonen (Führungskräften), wie es bereits unsere Eltern oder unsere ersten Bindungspersonen waren, ist uns wichtig. Als Konsequenz ziehen wir es vor, ihre Anerkennung durch unsere Zustimmung zu ihrer Meinung gewinnen.

Der Preis: Zu viel Rücksicht kann schädlich sein

Das permanente Unterdrücken der eigenen Meinung führt einerseits dazu, dass wir in vermeintlicher Harmonie mit unseren Mitmenschen leben. Andererseits schaden wir uns damit selbst. Auch wenn das Mitteilen der eigenen Meinung sich schwierig gestaltet, hat die Unterdrückung dieser folgende Konsequenzen:

#1: Herabwürdigung der eigenen Grenzen:

Wir fühlen und teilen nicht (mehr) mit, wenn etwas zu weit geht und respektieren so unsere eigenen Grenzen nicht. Auf diese Weise kann es oft nicht gelingen, sich psychisch zu schützen. Aber auch der körperliche Schutz geht verloren, wenn wir nicht lernen, unsere Gedanken mitzuteilen und alles mitmachen, was zu viel ist. Wir würdigen unser eigenes Limit nicht.

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#2: Keine Übernahmen von Verantwortung:

Wir schieben Selbstverantwortung beiseite und vermeiden es, unser Pflichtgefühl wahrzunehmen. Es fühlt sich einfacher an, die Last der Verantwortung einfach abzugeben, indem wir unsere Meinung lieber für uns behalten.

#3: Innere Unzufriedenheit:

Äußerlich wirken wir vielleicht entspannt. Doch innerlich droht die Implosion. Je mehr sich aufstaut und je häufiger wir unsere Meinung unterdrücken, desto größer wird die Wut, die wir stattdessen in unserem Bauch spüren. Zudem fühlen wir uns innerlich unzufriedener am eigenen Arbeitsplatz – denn wir bieten uns selbst keinen Raum, in dem wir Störfaktoren offen benennen können und somit auch keine Möglichkeit haben, die Situation zu verbessern.

#4: Unehrlichkeit unseren Mitmenschen gegenüber:

Ob Partner, Kunden oder Kollege – wer unsere Meinung nicht hört, bekommt niemals wirklich die Chance, unsere Gedanken kennenzulernen. Das fühlt sich für unsere Mitmenschen wie falsche Rücksichtnahme und Unehrlichkeit an. Davon ausgehen zu müssen, nie wirklich die echte Seite des Gegenübers kennenzulernen, kann Vertrauen zerstören.

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Langzeitstudie: Unterdrückte Gefühle haben gesundheitliche Folgen

Dass das Unterdrücken der eigenen Meinung auch körperliche Folgen hat, konnten Wissenschaftler der Universität Stockholm belegen. In Rahmen einer Langzeitstudie mit 2755 männlichen Beschäftigten untersuchten die Forscher die Bewältigungsstrategien von Arbeitnehmern, die eine unfaire Behandlung am Arbeitsplatz erfuhren.

Die Ergebnisse zeigen, dass das Risiko für Herzinfarkte wächst, wenn wir Konflikten langfristig aus dem Weg gehen. Wer keine andere Bewältigungsstrategie findet, als die eigene Meinung zu unterdrücken und den Stress lieber unterdrückt, setzt dem Körper deshalb zu.

Kante zeigen: Warum lohnt es sich, sich nicht zurückzuhalten?

Du gehörst ebenfalls zu den konfliktscheuen Menschen und behältst deine Gedanken, die für Gegenwind sorgen könnten, lieber für dich? Wenn es um die Beziehung zu Kunden und Kollegen geht, kann sich ein Umdenken in der Arbeits- und Businesswelt lohnen. Das hat gleich mehrere gute Gründe:

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  • Du wirst respektiert für deinen Mut und deine Aufrichtigkeit.
  • Deine Beziehungen werden gestärkt, weil sie sich ehrlicher anfühlen.
  • Du bist innerlich zufriedener, weil du nichts aufstaust, was dich zerfrisst.
  • Du wirst selbstbewusster, weil du deine Grenzen verbalisierst.
  • Du übst dich in deiner Kommunikationsfähigkeit.
  • Du hast einen freien Kopf, um konzentriert und produktiv zu arbeiten.

Übrigens: Konfliktscheue Menschen neigen manchmal dazu, ihre Unzufriedenheit anders auszudrücken. So kann ein passiv-aggressives Verhalten in der eigenen Beziehung darauf hindeuten, dass wir uns zum Beispiel im Job unzufrieden fühlen. Auch das ist ein Grund, lieber offen jene zu adressieren, mit denen man tatsächlich nicht die Meinung teilt – anstatt andere Menschen, die uns wichtig sind, als Ventil zu nutzen.

Konfliktfähigkeit fördern und lernen, die eigene Meinung mitzuteilen

Tipp #1: Übe, dich konstruktiv auszudrücken

Meinungsverschiedenheiten sind oft eine emotionale Angelegenheit. Versuche deshalb, diese so konstruktiv wie möglich auszutragen. Das bedeutet:

  • Bleibe auf der Sachebene.
  • Greife dein Gegenüber nicht mit Vorwürfen an.
  • Versuche, Wünsche und Bedürfnisse deutlich zu formulieren.
  • Bleibe so konkret wie möglich und vermeide Pauschalisierungen („immer“, „niemals“).
  • Suche eine ruhige Minute und einen ruhigen Ort, um dich mitzuteilen.
  • Höre deinem Gegenüber zu und vermeide es, Antworten bereits vorzuformulieren, ohne deinem Gesprächspartner wirklich zuzuhören.
  • Habe keine Scheu davor, auch unangenehme Situationen, die mit Scham und Schuldgefühlen verbunden sind, offen anzusprechen.

Tipp #2: Erkenne, dass Meinungsverschiedenheiten gesund sind

Was assoziierst du persönlich mit Streit und Diskussionen? Die meisten von uns lernen, dass es bedrohlich sein kann, sich in einen Konflikt zu begeben. Er könnte schließlich das Ende einer Beziehung bedeuten.

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Wichtig ist, Meinungsverschiedenheiten als das anzuerkennen, was sie sind: normal und gesund. Sie sind ein Ausdruck dafür, dass Bedürfnisse und Ansichten offen mitgeteilt werden. Ohne sie funktioniert keine gesunde Beziehung – ob Liebesbeziehung, Freundschaft oder Geschäftsbeziehung. Es gilt also, eine andere Perspektive als bisher anzunehmen und Meinungsverschiedenheiten neu zu bewerten.

Tipp #3: Sprich Konflikte oder Gedanken frühzeitig an

Bringe den Mut auf, innere Widerstände so früh wie möglich anzusprechen – sei es in der Partnerschaft oder etwa in der Beziehung zu Kollegen oder Kunden. Wenn du anderer Meinung bist, Potenzial für andere Wege siehst oder etwas in dir sich regt, solltest du deine Gedanken nicht wegdrücken. Je länger du etwas aufschiebst, desto größer wird die Last, das Thema überhaupt auf den Tisch zu bringen. Nutze die Möglichkeit, Konflikte noch in der Frühphase zu lösen, um größere Probleme und Missverständnisse zu verhindern.

Tipp #4: Unterscheide zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt

Aufgrund von negativen Konflikterfahrungen gehen wir auch in unserer Gegenwart davon aus, dass Streit schlecht ausgeht. Eine bewusste Auseinandersetzung mit vergangenen Erfahrungen hilft dabei, einen besseren Umgang mit der eigenen Konfliktbewältigungsstrategie zu finden. Mache dir deshalb klar, dass die Gegenwart in vielerlei Hinsicht stets ein Neubeginn bedeuten kann.

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Tipp #5: Sei dir bewusst, dass Beziehungen immer etwa Risiko verlangen

Es ist nicht zu leugnen, dass Meinungsverschiedenheiten auch das Ende einer Beziehung bedeuten können. Aber: Wer zur eigenen Meinung steht und den Mut hat, seine Andersartigkeit zu zeigen und Gedanken offen mitzuteilen, lebt zumindest authentisch – und nicht in einer Beziehung, die oberflächlich zwar harmonisch ist, aber eigentlich voll von unterschwelligen, unterdrückten Konflikten. Das gilt nicht nur für geschäftliche Beziehungen, sondern auch für unser Privatleben.

Bildnachweis: FangXiaNuo/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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