Trauer gehört zum Leben. Und doch fehlt ihr im Berufsalltag häufig der Raum. Wenn ein Kollege, eine Kollegin oder ein Mitarbeitender einen nahen Menschen verliert, sind viele ratlos: Was sagt man? Was ist angebracht? Wie viel Nähe tut gut – und wann wirkt Distanz anteilnahmslos?
Was hilft, ist nicht Perfektion. Sondern aufrichtige Aufmerksamkeit, kleine Gesten und die Bereitschaft, einfach da zu sein – ohne Urteil, ohne Druck.
Die stille Kraft des Daseins
Trauer lässt sich nicht lösen. Sie ist individuell, nicht planbar und auch nicht linear. Menschen in Trauer brauchen keine aufmunternden Worte – sie brauchen Präsenz. Kein Mitleid, sondern echtes Mitgefühl. Kein Trost, der beschwichtigt – sondern ein ehrliches Zuhören.
Psychologisch gesehen erleben Trauernde einen inneren Rückzug. Worte erreichen sie nur schwer. Wer dann versucht, mit plumpen Floskeln zu trösten oder sie abzulenken, bewirkt eher das Gegenteil. Hilfreicher ist es, einfach zuzuhören – mit aufrichtigem Interesse, ohne Erwartung.
Aktives Zuhören zeigt sich nicht nur durch Sprache, sondern auch durch Körpersprache: ein Nicken, ein ruhiger Blick, das Aushalten von Stille. Es sind oft wenige Worte wie „Es tut mir leid für deinen Verlust“ oder „Ich bin hier, wenn du reden möchtest“, die viel bewirken können. Ebenso wichtig: das bewusste Schweigen. Denn manchmal ist es wichtiger, präsent zu sein, als die richtigen Worte zu finden.
„Wenn ich merke, dass jemand trauert oder emotional belastet ist, versuche ich bewusst Raum für ein persönliches Gespräch zu schaffen – abseits vom Alltagsstress. In einer ruhigen, vertraulichen Atmosphäre fällt es oft leichter, über das zu sprechen, was wirklich belastet.“ Anne Borrmann (Karriere Lady)
Wenn der Alltag zur Hürde wird
Trauer betrifft nicht nur die Gefühle, sondern auch die Konzentration, den Schlaf, die Motivation. Selbst einfache Aufgaben im Büro können plötzlich überfordern. Was gestern noch selbstverständlich und leicht zu bewältigen war, wird plötzlich zur Belastung.
Im privaten Umfeld kann eine warme Mahlzeit, die Übernahme von Erledigungen oder das Abholen der Kinder eine große Entlastung sein. Im Arbeitskontext dagegen helfen strukturelle Maßnahmen: Home-Office, angepasste Arbeitszeiten, temporäre Aufgabenverlagerung. Wichtig ist, nicht nur pauschal Hilfe anzubieten („Meld dich, wenn du was brauchst“), sondern konkret zu sagen: „Ich übernehme diese Woche deine Termine am Vormittag – sag Bescheid, wenn du mehr brauchst.“
Wer selbst schon einmal getrauert hat, weiß: Um Hilfe zu bitten, fällt in solchen Momenten oft besonders schwer.
Worte, die tragen – und solche, die verletzen
Jeder Mensch trauert anders. Manche möchten über das Geschehene reden, andere lieber schweigen. Manche arbeiten sich zurück in die Normalität, andere ziehen sich für längere Zeit zurück – nicht nur innerlich. Beides ist erlaubt. Was zählt, ist, dass wir mitfühlend reagieren.
Standardfloskeln wie „Das wird schon wieder“ oder „Er ist jetzt an einem besseren Ort“ sind vielleicht gut gemeint – aber in der Verfassung nicht wirklich hilfreich. Sie können gar als Abwertung des Schmerzes verstanden werden. Besser ist ein ehrliches: „Ich denke an dich“ oder „Wie geht es dir heute?“ – auch noch Monate nach dem Verlust.
Echte Anteilnahme bedeutet nicht, auf Krampf eine schnelle Lösung zu finden, sondern Raum zu geben. Zuhören ohne zu bewerten. Da sein, auch wenn man nichts sagen kann.
Verantwortung zeigen: Die Rolle der Führungskraft
Einfühlsames Verhalten von Vorgesetzten ist jetzt von Nöten – nicht nur für die betroffene Person, sondern für das gesamte Team. Es beginnt mit einem geschützten Raum für Gespräche – fernab vom Bürotrubel oder Meetingdruck. Ein Spaziergang, ein kurzer Austausch mit echtem Interesse kann viel bewirken.
Darüber hinaus zählt: Flexibilität ermöglichen, Aufgaben neu verteilen, den Druck rausnehmen. Verständnis zeigen, dass Trauer nicht nach ein paar Tagen verfliegt. Und: Den Menschen sehen – nicht nur die Leistung – die aktuell vielleicht schwächelt.
Psychologische Studien zeigen: Teams, in denen Führungskräfte empathisch agieren, sind langfristig resilienter und emotional stabiler. Sie entwickeln mehr Zusammenhalt – gerade in schwierigen Phasen.
Was das Gesetz sagt – und was darüber hinaus wichtig ist
Im Todesfall eines nahen Angehörigen sieht § 616 BGB häufig einen Anspruch auf bezahlte Freistellung vor. Doch was rechtlich geregelt ist, deckt nur einen Teil der Wirklichkeit ab.
Mitmenschlichkeit beginnt dort, wo Paragrafen enden. Ein zusätzlicher freier Tag, ein verständnisvolles Gespräch, Flexibilität in der Projektplanung oder eine dezent platzierte Blume am Schreibtisch – solche Gesten zeigen: Wir sind nicht nur Arbeitskräfte. Wir sind Menschen.
Kultur, Diversität, Persönlichkeit: Sensibilität im Umgang
In diversen Teams kann Trauer ganz unterschiedlich gelebt werden. Manche sprechen offen, andere ziehen sich zurück. In bestimmten Kulturen wird laut getrauert, in anderen still. Manche Menschen trauern sichtbar, andere ganz für sich.
Wichtig ist: Alles darf sein. Beobachte achtsam, bewerte nicht. Frag nicht aus Neugier, sondern mit echter Anteilnahme. Und akzeptiere, wenn jemand keine Antwort geben möchte.
Wann professionelle Hilfe notwendig ist
Manche Menschen finden nach einer gewissen Zeit wieder in den Alltag zurück – andere nicht oder nur schwer. Wenn Trauer über Wochen und Monate hinweg so stark wird, dass der Alltag nicht mehr funktioniert, ist Unterstützung von außen sinnvoll.
Das kann eine psychotherapeutische Begleitung sein, eine Trauergruppe, ein seelsorgerisches Gespräch. Manchmal reicht ein Satz wie: „Es gibt Menschen, mit denen du darüber sprechen kannst.“ Und genau dieser Satz kann einen Unterschied machen.
Präsenz statt Perfektion – Mitgefühl statt Musterlösung
Trauer lässt sich nicht beschleunigen oder lösen. Aber sie lässt sich begleiten. Mit ehrlichem Interesse, mit Respekt, mit kleinen Gesten. Und mit der Bereitschaft, auch nach Monaten noch nachzufragen, wie es jemandem geht.
Ob als Kollege, Freundin oder Führungskraft – du musst keine perfekten Worte finden. Du musst nur bereit sein, da zu sein. Denn das Gefühl, nicht allein zu sein, ist oft das Wertvollste, das du geben kannst.