Perfektionismus gilt als ein Charaktermerkmal, das häufig in Verbindung mit beruflichem Erfolg und Motivation gebracht wird. Schließlich stellen Perfektionisten hohe Anforderungen an sich selbst, was sich positiv auf ihre Leistungen im Beruf auswirkt. Perfektionismus hat aber auch einige Schattenseiten, nicht nur für die Betroffenen selbst. Ist Perfektionismus nun also gut oder schlecht? Und wie gehst du am besten damit um?

Perfektionismus – Tugend oder Makel?

Kommt dir das bekannt vor: Von der Produktlösung sind alle begeistert, auch der Chef ist überzeugt – nur du selbst nicht? Womöglich bist du ein Perfektionist, der nie mit sich selbst und seinen Leistungen zufrieden ist. Es handelt sich um einen klassischen Teufelskreis: Egal, was dir gelingt, es ist niemals gut genug. Die Suche nach Perfektion lässt sich mit einer endlosen Jagd vergleichen, die auf Dauer zu einem reduzierten Selbstvertrauen oder dazu führt, dass du dich an erreichten Zielen nicht erfreuen kannst. Deshalb ist es eigentlich ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen.

Im Joballtag werden Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus aber als Mitarbeiter oft sehr geachtet. Sie stechen nämlich mit Eigenschaften hervor, die sich im Berufsleben bewähren: Disziplin, Organisationsvermögen, Zuverlässigkeit, Zielstrebigkeit und harte Arbeit. Sie arbeiten präzise, planen Arbeits- und Geschäftsprozesse effizient bis ins letzte Detail und achten darauf, dass nichts verloren geht oder vergessen wird. Dadurch versuchen sie, (bösen) Überraschungen entgegenzuwirken. Das ist nur mit einem hohen Maß an Selbstdisziplin möglich. Perfektionistisch veranlagte Menschen gelten in ihrem Beruf deshalb häufig als

  • ordnungsliebend,
  • verantwortungsbewusst,
  • ehrgeizig und
  • kompetent.

Deshalb erhalten sie häufig einen großen Verantwortungsbereich und die Beförderung lässt meist nicht lange auf sich warten.

Streben nach Erfolg vs. Angst vor dem Versagen

Für den Perfektionisten hat das alles aber auch negative Folgen: Ein Gefühl von Zufriedenheit ist ihm nicht bekannt. Alle Dinge zu 100 Prozent und perfekt zu machen – das führt außerdem nicht nur zum Prokrastinieren, sondern überdies zu einem Tunnelblick und ist mitunter auch wenig effektiv.

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In das Streben nach Exzellenz stecken Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus viel Kraft und Zeit. Das persönliche Optimum erreichen die Betroffenen aber nur selten. Dies führt zu einer permanenten Unzufriedenheit und kann sich in einem niedrigen Selbstwertgefühl äußern. Außerdem wird die eigene Selbstachtung lediglich von Erfolgserlebnissen abhängig gemacht. Gelingt es nicht, ein (perfektes) Ziel zu erreichen, kommt es zu Enttäuschung, Frust und Wut. Ein Perfektionist befindet sich folglich oft in einem Dilemma: Dem Bedürfnis nach Erfolg auf der einen und der Furcht vor dem Versagen auf der anderen Seite.

Gute und schlechte Perfektion – Die „Perfektionismus-Falle“

Nun solltest du deinen Wunsch nach hoher Qualität und Perfektion aber nicht generell als etwas Negatives abtun – es gibt natürlich gute Perfektion, aber eben auch schlechte:

  1. Negativer (maladaptiver) Perfektionismus: Häufig steckt hinter der Perfektionssucht das unerfüllte Bedürfnis nach Beachtung oder Zuspruch, mehr Kontrolle oder auch ein Selbstschutz. Bei dieser Art von Perfektionisten handelt es sich um sehr willensstarke Personen, auf die der Spruch „harte Schale, weicher Kern“ zutrifft. Solche Menschen geben immer ihr Bestes – jedoch in erster Linie aufgrund einer nach außen fokussierten Motivation. Daraus entwickelt sich schnell eine Abwärtsspirale aus Streben, Stressempfinden und Scheitern. Ein maladaptiver Perfektionismus ist dafür verantwortlich, dass sich betroffene Menschen extrem unsicher fühlen – sie weisen eine tief verankerte Versagensangst auf.
  2. Positiver (adaptiver) Perfektionismus: Guter Perfektionismus richtet sich tendenziell nach innen und hat hier seinen Ursprung. Solche Perfektionisten verfügen über hohe Werte und Ansprüche an sich selbst und legen die Messlatte deshalb immer ein wenig höher – aber: nicht für andere, sondern um sich selbst herauszufordern, einen Lernfortschritt zu machen, sich weiterzuentwickeln und täglich erneut das selbst gesteckte Idealbild von sich zu verkörpern. Der adaptive Perfektionismus erlaubt es einem Menschen, sich völlig auf eine Aufgabe zu fokussieren – dabei bleibt dieser offen für Feedback und erkennt, dass Detailversessenheit nicht immer das Nonplusultra ist. Allerdings kann auch diese Art von Perfektion schnell krampfhaft werden und großen Frust nach sich ziehen. Etwa, wenn Sie Ihren eigenen Anforderungen nicht entsprechen – so tappen Sie geradewegs in die „Perfektionismus-Falle“.

„Teamwork? Nein danke“, sagte der Perfektionist!

Zwar stellt ein Teammitglied, das stets auf der Suche nach ausgezeichneten Lösungen ist, einen Gewinn für jedes Projekt dar. Doch die Zusammenarbeit mit einem perfektionistisch veranlagten Menschen kann sich als problematisch erweisen: Die Betroffenen haben nämlich häufig Schwierigkeiten damit, Fristen einzuhalten – schließlich sind sie mit einem Ergebnis niemals zufrieden und überarbeiten es fortlaufend. Dadurch halten sie aber nicht nur sich sowie eigene Aufgabenbereiche, sondern auch den Abschluss von Kunden- und Teamprojekten auf. Zudem können sie nur selten akzeptieren, dass ihre Teamkolleginnen und Teamkollegen nicht perfektionistisch veranlagt und ihre Leistungen daher eben auch nicht immer „perfekt“ sind. Das birgt großes Konfliktpotenzial.

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Bist du ein Perfektionist? 5 untrügliche Anzeichen

Hand aufs Herz: Was ist mit dir? bist du vielleicht selbst Perfektionist? Oder sogar stolz darauf? Hier kommt unser kurzer Selbsttest:

  1. Perfektion ist deine Motivation: Dein Erfolgsstreben bringt dich dazu, mehr Arbeit als andere in eine Aufgabe zu stecken. Gewöhnlicher Standard genügt für dich nicht, es muss das Beste vom Besten sein. Hohe Ansprüche stellst du allerdings nicht nur an dich selbst, sondern ebenso an andere. Dabei bewirkt aber nicht nur das Streben nach Perfektion oder Erfolg eine höhere Arbeitsleistung, auch die Angst, einen Fehler zu machen, ist der Grund. Perfektionisten vermeiden aus Furcht vor dem Versagen Risikosituationen, die das Potenzial für eine Blamage bergen. Dies beeinträchtigt leider Innovation sowie spontanes und kreatives Handeln.
  2. Ein angemessener Umgang mit Kritik fällt dir schwer: Der größte Kritiker eines perfektionistisch veranlagten Menschen ist dieser selbst – alles Tun wird hinterfragt und dabei sehr genau vorgegangen. Rufen selbst kleine Fehler große Selbstzweifel bei dir hervor? Mit ihrer eigenen Leistung gehen Perfektionisten sehr streng ins Gericht, die Kritik von anderen zu akzeptieren, das fällt allerdings schwer – ein Perfektionist kann sich nicht vorstellen, dass jemand einen Fehler gefunden hat, der ihm selbst nicht aufgefallen ist. Betroffene nehmen jede Kritik persönlich. Gleichzeitig treten sie anderen gegenüber kritisch und häufig auch wertend auf.
  3. Du hältst dich für faul und beutest dich gleichzeitig selbst aus: Viele Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus sind richtige Arbeitstiere – dementsprechend haben sie stets etwas zu tun. Das Wort „Pause“ ist ihnen fremd. Dennoch empfinden sie sich selbst als faul. Das hat häufig den Hintergrund, dass Arbeitsaufgaben eine längere Zeit in Anspruch nehmen als ursprünglich geplant und sich deshalb die Erledigung anderer Aufgaben verzögert. Einerseits unterstellen sich Perfektionisten deshalb Faulheit, andererseits gehen sie immer wieder bis an ihre Belastungsgrenzen, um weit nach offiziellem Feierabend oder zuhause noch nicht abgeschlossene Aufgaben zu beenden oder vermeintliche Fehler zu optimieren.
  4. Teamarbeit ist nichts für dich: Bei der Arbeit im Team müssen alle Mitglieder am selben Strang ziehen und kooperieren – das ist nichts für einen Perfektionisten: Er betrachtet sich selbst als das Maß aller Dinge. An den Leistungen der anderen findet er immer einen Fehler. Er fordert die gleiche Detailversessenheit, die er selbst übt, von den anderen ein und würde bevorzugt das gesamte Projekt alleine umsetzen.
  5. Du bist innerlich nicht offen: Anderen gegenüber persönliche Schwächen, Enttäuschungen oder Ängste einzugestehen ist Perfektionisten meist nicht möglich. Eine innige Verbindung und das „Sich-Öffnen“ vor anderen stellt einen langwierigen Prozess dar. Verletzlich und ohne Schutz möchten sich perfektionistisch veranlagte Menschen fast nie zeigen – sie haben viel mehr das Verlangen, sich nach außen als stark zu präsentieren und auch ihre Gefühle, wie alle Bereiche des Lebens, „perfekt“ kontrollieren zu können.

Raus aus der Perfektionismus-Falle – So gelingt es dir!

In kleineren Dosen erweist sich Perfektionismus im Job als förderlich, schließlich motiviert er dazu, das Beste zu geben. Wenn du allerdings zu den extremen Perfektionisten zählst, kann sich das nicht nur für dich, sondern auch für deine Karriere und dein Arbeitsumfeld zum Problem entwickeln – vor allem, wenn du wiederholt Schwierigkeiten mit Deadlines, deinem Zeitmanagement, der Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern sowie damit hast, deinen Kollegen zu vertrauen. Die folgenden Tipps bieten Wege aus der Perfektionismus-Falle und führen dich in Richtung positive Imperfektion:

  • Räume ein, dass deine Erwartungen zu groß sind, und verzeihe dir Fehler: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung – erkenne, dass du stets nach dem Idealen streben und Mittelmaß deinen Selbstansprüchen (noch) nicht genügst? Mache dir bewusst, dass deine Arbeitskollegen vermutlich nicht so hohe Anforderungen an dich stellen, wie du es tust. Höre auf, dir überzogene Selbstvorwürfe zu machen, wenn etwas nicht funktioniert hat, wie geplant. Chronische Selbstzweifel erhöhen deine Unsicherheit. Das ist der Beginn von Minderwertigkeitskomplexen. „Stärke besser deine Stärken“! Rechne außerdem damit, dass du Fehler machst. Daraus kannst du nämlich oft einen größeren Lerneffekt als aus Erfolgen erzielen. Fehler sind nicht dein Feind, sondern betrachte diese als Chance.

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  • Stecke deine Ziele nicht zu hoch: Bestimme klare Zielvorgaben und beachte deine Grenzen. Gibt es Bereiche, in welchen präzises Arbeiten oder Qualität nicht unbedingt erforderlich sind? Wo ist es möglich, Energie zu sparen? Versuche, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen: Sollte die Kostenseite überwiegen, ist es notwendig, dein Ziel oder den Sinn der Aufgabe zu überdenken.

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  • Definiere einen klaren Zeitplan und verliere dich nicht in Details: Berücksichtige deine vorhandenen Energien und bestimme vor (Projekt-) Beginn, wie viel Zeit und Kraft du in gewisse Aufgaben investierst. Halte  Fristen, bis zu denen du Aufgaben beendet und abgeliefert haben sollst, unbedingt ein. Diesbezüglich ist es wichtig, dass du dich nicht in Details verzettelst. Eine zu große Detailverliebtheit führt stets zu einem Tunnelblick. Hier gilt außerdem: Analysiere weniger! Auch Probleme kannst du über analysieren – und dabei handelt es sich ebenfalls um eine Art von Aufschiebetaktik.
  • Tu es einfach: Dieser Satz hat eine doppelte Bedeutung und diese solltest du ruhig wörtlich nehmen: Fange endlich an – und mache die Dinge nicht komplizierter als sie sind!
  • Gönne dir Pausen oder Auszeiten: Versuche, einem Überforderungsgefühl im Job entgegenzuwirken, und lehne ab, wenn du bereits mit Aufgaben voll ausgelastet bist. Plane einen Urlaub zum Erholen ein und erlaube dir immer öfters auch einfach das Mittelmaß.

Nicht nur für Perfektionisten hilfreich: Das Pareto-Prinzip!

Die 80:20-Regel, auch als Pareto-Prinzip bekannt, wurde von einem italienischen Ökonomen im 19. Jahrhundert erarbeitet. Vilfredo Pareto befasste sich mit der Verteilung des Reichtums in Italien und stellte fest, dass 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Reichtums besaßen. Mittlerweile weiß man, dass diese Regel auf viele Lebensbereiche anwendbar ist: So tragen wir zum Beispiel 20 Prozent unserer Kleidung in 80 Prozent unserer Zeit oder 20 Prozent der Kunden machen 80 Prozent des Unternehmensumsatzes aus.

Für uns bedeutet das, dass 20 Prozent der eigenen Bemühungen für 80 Prozent unseres persönlichen Erfolgs ausschlaggebend sind – oder: 80 Prozent der Ergebnisse lassen sich mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreichen.

Perfektion ist unwirtschaftlich

Wenn du das Pareto-Prinzip mit deinem Zeit- beziehungsweise Arbeitsmanagement verknüpfst, kannst du mithilfe der richtigen Verteilung der Prioritäten mit 20 Prozent des Aufwands oft 80 Prozent der gesamten Arbeit erledigen – mit sehr wenig Aufwand lässt sich also ein hervorragendes Ergebnis erzielen. Strebst du jedoch ständig nach Perfektion und willst dabei 100 Prozent erreichen, bedeutet das enormen Stress und einen großen Zeit- und Energieverlust. Laut Pareto-Regel ist Perfektion also schlichtweg unwirtschaftlich.

Anwendung des Pareto-Prinzips: Tipps für Perfektionisten

Halte dich nicht mit Arbeit auf, die keinen sinnvollen Mehrwert schafft!

Ein Beispiel: Denke an ein Projekt und stelle dir vor, du hättest dafür statt 30 nur mehr sechs Tage Zeit – kaum vorstellbar? Überlege dir, was du tun müsstest, damit das Projekt in sechs Tagen beendet ist. Was sind die kritischen Punkte? Schnell wirst du merken, dass es wider Erwarten gar nicht so viele absolut kritische Schritte gibt. Diverse kleinere Punkte lassen sich streichen, ohne das Gesamtprojekt zu gefährden. Es mag schon sein, dass das Endergebnis in 30 Tagen etwas besser gewesen wäre, aber denke an die Zeit, die du dir genau dadurch eingespart hast.

Die konsequente Anwendung der Pareto-Regel fällt Perfektionisten naturgemäß schwer, aber versuche es schrittweise:

  • Lese die E-Mail an deine Kollegen am Ende nicht noch auf Rechtschreibung durch, einfach auf Senden klicken!
  • Kürze die Online-Zeit, indem du nur nach den relevanten Informationen suchst!
  • Beginne jeden Tag mit der wichtigsten Aufgabe! Tipp: Es ist meistens jene, die du aufzuschieben versuchst.

Bist auch du perfektionistisch veranlagt? Oder welche positiven beziehungsweise negativen Erfahrungen hast du mit Perfektionisten im Job gemacht? Hast du deinen Perfektionismus vielleicht erfolgreich überwunden und kennst praktische Tipps für unsere betroffenen Leser? Wir freuen uns auf deinen Beitrag zum Thema in den Kommentaren!

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