Die Reform trifft vor allem jene, die in der Arbeitswelt als Leistungsträger gelten – gut ausgebildet, beruflich erfolgreich, finanziell unabhängig. Und sie zeigt: In einem System, das Leistung fordert, ist kaum Platz für Fürsorge. Elternschaft wird zur Hypothek.
Ein Kind ist keine Investition – kein Projekt – und doch zählt plötzlich jeder Cent. Was bleibt zum Leben, wenn ein Gehalt wegfällt? Wie soll man Versorgung und Zukunft sichern, wenn die finanzielle Unterstützung plötzlich ausbleibt – nur weil das gemeinsame Einkommen ein paar Tausend Euro zu hoch liegt?
Entscheidend ist das Geburtsdatum. Kommt ein Kind ab dem 1. April 2025 zur Welt, greift die neue Grenze: 175.000 Euro Bruttojahreseinkommen bei Paaren, 150.000 Euro bei Alleinerziehenden. Wer vorher entbindet, fällt noch unter die alte Regelung. (BMFSFJ)
Betroffen sind längst nicht nur Spitzenverdiener, sondern Fachkräfte, Ärzte, Ingenieure, IT-Spezialisten, Juristen, Projektleiter, Berater, Angestellte im Bank- und Versicherungswesen, Führungskräfte im Vertrieb.
Was das in der Realität bedeutet – ein Rechenbeispiel
Ein Paar, beide gut ausgebildet, beide beruflich engagiert. Sie ist Projektleiterin, er IT-Consultant. Jeder verdient 90.000 Euro brutto im Jahr, gemeinsam also 180.000 Euro. Ab dem 1. April 2025 bedeutet das kein Anspruch mehr auf Elterngeld.
Vorher lag ihr gemeinsames Nettoeinkommen bei rund 12.000 Euro monatlich. Fiel ein Gehalt weg, sprang das Elterngeld ein max. 1.800 Euro monatlich. Jetzt fällt diese Sicherheitsnetz weg. Ein Gehalt fehlt, der Ausgleich ebenso. Was bleibt, sind 6.000 Euro netto. Klingt viel, kann aber vor allem in Ballungsräumen knapp werden, gerade wenn Kredite für Haus, Auto und Versicherungen in vollem Umfang weiterlaufen.
Und dabei zahlen beide längst den Spitzensteuersatz: 42 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 68.481 Euro.
Und was heißt das konkret für die finanzielle Planung?
Wer heute über der Elterngeldgrenze liegt, muss privat vorsorgen. Manche sagen: „Na, die verdienen ja genug.“ Aber schauen wir mal genau hin: Vor der Reform hätte eine Mutter mit wegfallendem Einkommen maximal 1.800 Euro Elterngeld im Monat erhalten – also 21.600 Euro im Jahr.
Um dieselbe Lücke zu füllen, müsste sie ab sofort dieses Geld selbst vorher zusammensparen – nur um sich ein Jahr Elternzeit leisten zu können, ohne Abstriche. Im Vergleich dazu war das „alte Modell“ mit Elterngeld schon eine Herausforderung – aber irgendwie machbar. Jetzt wird Elternzeit zu einem Luxusprojekt. Auch zunehmend für Menschen mit gutem Einkommen.
Wer ist betroffen? Längst nicht nur Spitzenverdiener
Die Grenze liegt bei 175.000 Euro brutto im Jahr – das heißt: Wenn zwei Menschen jeweils mehr als 87.500 Euro verdienen, verlieren sie gemeinsam den Anspruch auf Elterngeld. Und das trifft immer mehr Berufsgruppen, die bislang zur Mittelschicht zählten.
Beispiele für Berufe, bei denen diese Einkommenshöhe realistisch zu erreichen ist:
- Fachärztinnen und Fachärzte
- Ingenieurinnen und Ingenieure (z.?B. Maschinenbau, Bau, Elektrotechnik)
- IT-Consultants, Softwareentwickler/innen
- Juristinnen und Juristen
- Projektleiter/innen in Industrie und Wirtschaft
- Selbstständige mit stabilen Aufträgen (z.?B. Designer, Coaches, Beraterinnen)
- Bank- und Versicherungsangestellte in gehobener Position
- Vertriebsleitung im Pharma-, Industrie- oder Technologiebereich
- Lehrkräfte an Privatschulen mit Sonderverträgen
- Apotheker/innen oder Zahnärzte mit eigener Praxis
Diese Liste zeigt: Es geht längst nicht mehr um die sogenannten „oberen Zehntausend“. Sondern um ganz normale Fachkräfte, Akademikerinnen, Selbstständige, Menschen, die Verantwortung übernehmen – für sich, für andere, für ihre Jobs.
Diese Lösung – früh wieder arbeiten?
Wer jetzt meint, Eltern könnten doch „schnell wieder zurück“, verkennt die Realität. Viele Kitas nehmen Kinder frühestens mit zwölf Monaten. Manche sogar erst später. Und wenn, dann oft nach monatelanger Wartezeit.
Laut Bertelsmann Stiftung fehlen derzeit über 380.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Die Betreuungskosten variieren stark – zwischen 200 und über 800 Euro monatlich. Das trifft besonders jene, die eigentlich schnell wieder arbeiten möchten. Oder müssen.
Und wer betreut die Kinder, wenn kein Platz frei ist? Wer springt ein? Oft sind es Mütter – auch, wenn sie eigentlich zurück in den Beruf wollten – oder mussten.
Und wenn das Leben mal nicht nach Plan läuft?
Trennung, Unterhalt, neue Verantwortung: Auch das ist Realität. Wer in einer neuen Beziehung lebt und für Kinder aus einer früheren Partnerschaft Unterhalt zahlt, trägt oft doppelt – finanziell wie emotional.
Nach der Düsseldorfer Tabelle liegt der Kindesunterhalt zwischen 400 und 700 Euro monatlich. Fällt dann ein Einkommen weg – ohne Elterngeld – wird es schnell eng – sehr eng. Die Grenze berücksichtigt das freilich nicht.
Selbstständige Frauen trifft es besonders hart
Sie zahlen alles: Krankentagegeld, Altersvorsorge, Pflegeversicherung. Häufig freiwillig. Sie bauen auf Absicherung – weil sie wissen, dass sonst niemand einspringt, wenn es mal notwendig wird. Und trotzdem stehen sie bei der Geburt eines Kindes plötzlich ohne Netz da.
Kein Mutterschutz. Kein Arbeitgeberzuschuss. Kein Elterngeld. Aber weiterlaufende Beiträge. In der privaten Krankenversicherung bedeutet das oft 400 bis 600 Euro monatlich. Eine Beitragsfreistellung gibt es – wenn überhaupt – nur bei Elterngeldbezug. Wer keinen Anspruch mehr hat, zahlt voll weiter. Und zwar allein.
Krankenversicherung in der Elternzeit
Wer gesetzlich pflichtversichert ist, bleibt beitragsfrei versichert – sofern kein Einkommen vorliegt. Freiwillig gesetzlich Versicherte müssen selbst zahlen, es sei denn, sie können über den Partner familienversichert werden. Privatversicherte zahlen die volle Summe – ohne Arbeitgeberzuschuss, ohne Pause. (Quelle: Finanztip)
Fällt das Elterngeld dann weg, kommen also zusätzliche finanzielle Lasten hinzu. Monat für Monat.
Was bedeutet das langfristig – für unser Land?
Bereits 2021 wurde die Elterngeldgrenze von 300.000 auf 250.000 Euro abgesenkt. Dann auf 200.000. Ab April 2025 nun auf 175.000 Euro. Zwar liegen noch keine finalen Studien zu den Auswirkungen auf die Geburtenrate vor – doch schon jetzt verzeichnet das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Geburtenzahlen.
Je stärer der finanzielle Druck, desto größer der Verzicht. Gerade in jenen Haushalten, die gleichzeitig das Rückgrat der Gesellschaft bilden: bei Fachkräften, Selbstständigen, Führungskräften. Sie zahlen hohe Steuern, hohe Beiträge – und bekommen nichts zurück.
Dabei ruft die Politik nach Nachwuchs, nach Fachkräften, nach Entlastung im Rentensystem. Doch anstatt zu fördern, wird ausgebremst. Und ausgerechnet jene, die beitragen, werden durch diese Reform zögerlicher – oder sagen leise: „Nicht unter diesen Bedingungen.“
Eine Reform, die Leistung bestraft – und Generationen demotiviert
Diese Maßnahme spart dem Staat Millionen. Aber sie kostet Vertrauen. Und langfristig: Kinder.
Denn es geht längst nicht mehr darum, ob man sich ein Kind leisten kann. Es geht um die Frage, ob unsere Gesellschaft es sich leisten kann, dass ausgerechnet die, die sie tragen – keine mehr bekommen.