Die Debatte um die Arbeitszeiten in Deutschland erreicht einen neuen Höhepunkt. Während die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag die Abschaffung des Achtstundentags zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit ankündigt, stemmen sich drei Viertel der Beschäftigten gegen längere Arbeitstage. 

Anzeige

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache

Die aktuellen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zeichnen ein eindeutiges Bild der Arbeitnehmerstimmung: Nur 34 Prozent der Befragten wären bereit, an einzelnen Tagen mehr als zehn Stunden zu arbeiten. 84 Prozent sehen in einer klaren Begrenzung der Arbeitszeit einen wirksamen Schutz vor Überarbeitung.

Diese Haltung steht im krassen Gegensatz zu den politischen Plänen: Die schwarz-rote Koalition will im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie die tägliche Höchstgrenze von zehn Stunden kippen und stattdessen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einführen.

Noch genauer zeigen es die Detaildaten des IAB-Panels: 73 Prozent der Beschäftigten lehnen eine unbegrenzte tägliche Arbeitszeit klar ab. Und obwohl 84 Prozent die Schutzfunktion fester Grenzen betonen, hält eine Mehrheit starre Vorschriften für nicht mehr zeitgemäß – Flexibilität ja, Selbstausbeutung nein.

Anzeige

Deutschland im internationalen Vergleich: Weniger Stunden, höhere Produktivität

Deutschland liegt laut IW-Studie mit durchschnittlich 1.036 geleisteten Arbeitsstunden pro Erwerbsperson (15 bis 64 Jahre) im Jahr 2023 auf einem der letzten Plätze im OECD-Vergleich. Nur in Frankreich (1.027 Stunden) und Belgien (1.021 Stunden) wurde noch weniger gearbeitet. Spitzenreiter wie Griechenland (1.172 Stunden), Polen (1.304 Stunden) oder Neuseeland (mehr als 1.400 Stunden) kommen auf deutlich höhere Werte. Dennoch gehört Deutschland mit 68,1 PPP-Dollar pro Stunde zu den produktivsten Nationen der Welt.

Lese-Tipp: EU-Ranking zur Arbeitszeit: Deutschland weit abgeschlagen

Trotz gestiegener Erwerbstätigenzahlen stagniert das Arbeitsvolumen: Seit 2013 ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit in Deutschland nur um zwei Prozent gewachsen, während andere Länder deutlich aufholten (Griechenland: +21 %, Polen: +23 %). Das liegt auch an einer hohen Teilzeitquote und strukturellen Fehlanreizen wie der Rente mit 63. Dennoch zeigt sich: Weniger Arbeit muss nicht weniger Leistung bedeuten, wenn die Produktivität stimmt.

Anzeige

Teilzeitarbeit als Strukturmerkmal Deutschlands

Ein wesentlicher Faktor für Deutschlands niedrigere Arbeitszeiten ist laut Tagesschau die hohe Teilzeitquote von 29 Prozent – deutlich über dem EU-Durchschnitt von 18 Prozent. Nur in den Niederlanden (43 Prozent) und Österreich (31 Prozent) ist die Teilzeitquote noch höher.

Der Geschlechterunterschied ist dabei besonders ausgeprägt: 48 Prozent der Frauen arbeiten hierzulande in Teilzeit, aber nur 12 Prozent der Männer. EU-weit liegt das Verhältnis bei 28 Prozent (Frauen) zu 8 Prozent (Männer). Diese Struktur führt dazu, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Deutschland bei 34,8 Stunden liegt, während der EU-Durchschnitt 37,1 Stunden beträgt.

Bei den Vollzeitbeschäftigten relativiert sich der Unterschied jedoch erheblich: Deutsche Vollzeitbeschäftigte arbeiten 40,2 Stunden pro Woche, also nur minimal weniger als der EU-Durchschnitt von 40,3 Stunden.

Anzeige

Die hohe Teilzeitquote geht einher mit einer überdurchschnittlich hohen Erwerbstätigenquote – insbesondere bei Frauen. 2024 waren 77 Prozent der 15- bis 64-Jährigen in Deutschland erwerbstätig, bei Frauen lag die Quote sogar bei 74 Prozent – acht Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Das zeigt: Teilzeit ermöglicht in vielen Fällen erst die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Lese-Tipp: Work-Life-Balance ist OUT! Das neue Ziel heißt Work-Life-Integration

Zugleich gibt es strukturelle Hindernisse, die einer Ausweitung der Arbeitszeit im Wege stehen: flexiblere Kinderbetreuung, hohe Steuerlast bei Mehrarbeit, und mangelnde Flexibilität bei Arbeitgebern. Die Diskussion um längere Arbeitszeiten greift daher zu kurz, statt nur über mehr Stunden oder mehr Leistung zu sprechen, sollte über bessere Rahmenbedingungen für mehr Erwerbsbeteiligung nachgedacht werden.

Anzeige

Mehr Stunden sind nicht die Lösung

Die Ablehnung längerer täglicher Arbeitszeiten durch die Mehrheit der Beschäftigten zeigt: Mehr Arbeit ist keine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Der Erhalt von Gesundheit, Familie und Lebensqualität hat für viele Menschen Priorität – auch und gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Starre Arbeitszeitgrenzen können also nicht die Lösung sein. Es braucht frische, kluge Konzepte – und einen attraktiveren Arbeits- und Wirkungsstandort, der mehr Menschen für Leistung begeistert.

Anzeige
Anzeige