Der Meetingraum ist voll. Die Luft ist raus. Die Köpfe sind müde. Auf dem Bildschirm: Buzzwords, Umsatzziele, Forecasts bis Q4. Jemand spricht, viele hören, aber keiner hört wirklich hin. Und du sitzt da und denkst: Warum fühlt sich das hier so gähn an?

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Am Abend liegst du auf dem Sofa. Netflix. Erste Szene, ein Blick, ein Schnitt – und du bist drin. Plötzlich ist alles klar, alles fühlbar. Du bleibst wach bis nachts um zwei.

Warum? Weil Geschichten etwas mit uns machen, was Zahlen nie schaffen: Sie berühren. Sie bewegen. Sie bleiben.

Gute Geschichten erzeugen Bilder, Spannung, Identifikation. Sie aktivieren das Gehirn auf eine Weise, wie es Fakten nie könnten. Genau deshalb ist Storytelling das unterschätzteste Führungsinstrument unserer Zeit.

Studien von Stephens, Silbert und Hasson zeigen: Beim Erzählen kommt es zu einer weitreichenden neuronalen Kopplung zwischen Sprecher und Zuhörer, die nicht nur sensorische Areale (u. a. frühe auditorische Kortexregionen) und prämotorische Bereiche, sondern vor allem frontale Regionen (Broca?Areal, dorsolateraler und medialer präfrontaler Kortex) aktiviert. Diese Areale koordinieren Denken, Fühlen und Handeln, indem sie Sprachproduktion und -verständnis miteinander verzahnen und antizipatorische Reaktionen fördern. Das bedeutet:

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Wer führen will, muss erzählen können. Und zwar so, dass Menschen sich mitgenommen, gemeint und bewegt fühlen.

Was gute Führungsgeschichten ausmacht

Storytelling ist kein „Weichspülprogramm“ für harte Fakten. Es geht nicht darum, die Realität zu verschönern, sondern sie erlebbar zu machen. Gute Führungsgeschichten folgen keiner Hollywood-Dramaturgie, sondern drei einfachen, aber entscheidenden Prinzipien:

1. Sie stiften Sinn

Mitarbeitende wollen verstehen, wofür sie etwas tun, nicht nur was sie tun. Eine gute Geschichte zeigt den größeren Zusammenhang. Statt: „Wir müssen 8 % Umsatzplus erreichen“, lieber: „Erinnert ihr euch an das Kundenfeedback aus Q2? Wir haben da etwas bewegt. Und genau das will ich mit euch ausbauen.“

2. Sie sind persönlich

Menschen folgen Menschen, nicht Rollen oder Positionen. Ein Chef, der über seine eigenen Zweifel, Herausforderungen oder Entscheidungen spricht, wirkt nahbar. Das schafft Vertrauen und zugleich emotionale Bindung.

3. Sie erzeugen Bilder

Fakten vergessen wir. Bilder bleiben hängen. Wer sagt: „Der Markt wird herausfordernd“, erntet vielleicht ein müdes Nicken. Wer aber sagt: „Wir steuern in ein Gewitter, aber wir wissen, wie man das Schiff auf Kurs hält“, bleibt im Kopf.

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Mitarbeitende folgen keiner Strategie – sie folgen einer Überzeugung. Und die entsteht durch Erleben, nicht durch Erklären.

Wo Storytelling in der Führung tatsächlich Wirkung entfaltet

Führung ist Kommunikation. Und Kommunikation heißt nicht: nur informieren, sondern erreichen.
Wer Mitarbeitende überzeugen will, kommt mit Argumenten allein nicht weit. Aber in gut erzählten Geschichten steckt oft genau das, was Zahlen nicht liefern: Relevanz, Sinn, Orientierung.

Storytelling in der Führung soll dabei keine Inszenierung sein, sondern eher als Angebot verstanden werden – zum Mitschweifen, Weiterdenken und Einordnen. Gute Führungskräfte erzählen keine Geschichten über sich, sondern solche, die für andere etwas bedeuten. Entscheidend ist also nicht, was gesagt wird, sondern was es beim Gegenüber auslöst.

1. Im Change-Prozess: Orientierung durch Erzählung

Beispiel: Ein Team soll zum xten Mal eine neue Software einführen und sträubt sich.
Die Stimmung: Frustriert. Zynisch. Nicht schon wieder.

Die Führungskraft sagt nicht: „Wir müssen das jetzt machen, weil es von oben so beschlossen hat.“ Sondern: „Als ich vor zehn Jahren das erste Mal auf eine digitale Lösung umgestiegen bin, dachte ich auch: Das wird nix. Aber dann habe ich erlebt, wie viel einfacher mein Alltag wurde. Ich sehe viele Parallelen zu heute und ich verspreche euch: Wir gestalten das gemeinsam.“

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Wirkung: Die Führungskraft nimmt das Team mit in ihre Erfahrung, baut Empathie auf und erzeugt Vertrauen.

2. In Mitarbeitergesprächen: Entwicklung durch Identifikation

Beispiel: Ein junger Mitarbeiter zweifelt, ob er Führungsverantwortung übernehmen soll.
Statt: „Du schaffst das.“ Besser: „Ich weiß noch, wie es mir damals ging, als mir das erste Mal Verantwortung übertragen wurde. Ich hatte Respekt vor der neuen Aufgabe, aber auch den Drang, etwas zu gestalten. Du erinnerst mich an diese Phase. Und ich glaube, du bist genau an diesem Punkt.“

Wirkung: Der Mitarbeiter erkennt sich in der Geschichte wieder, fühlt sich verstanden und nicht alleingelassen.

3. Wie aus Visionen Bilder im Kopf werden

Beispiel: Ein Geschäftsführer möchte die neue Ausrichtung des Unternehmens erklären.
Statt: „Wir positionieren uns jetzt strategisch tiefer im Premiumsegment.“
Besser: „Wir haben uns immer als Manufaktur verstanden. Jetzt bauen wir nicht nur Möbel – wir bauen Räume, in denen sich Menschen zu Hause fühlen. Das ist unser nächstes Kapitel.“

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Die Vision wird emotional anschlussfähig. Sie bekommt ein Bild, ein Gefühl, eine Richtung.
Und? Hast du gemerkt, wie sich in deinem Kopf ganz automatisch ein Bild geformt hat?

„Geschichten sind einer der kürzesten Wege zwischen zwei Menschen. In der Führung sind sie das wirksamste Werkzeug, um Kultur, Werte und Richtung zu vermitteln.“
– Fred Eichwald

Wie Führungskräfte Storytelling lernen – ohne kitschig zu wirken

Viele Führungskräfte schrecken vor Storytelling zurück, weil sie es mit Show verwechseln. Mit künstlich erzeugten Anekdoten, übertriebenen Metaphern oder inszenierten Heldengeschichten. Aber das ist ein Missverständnis. Gute Geschichten brauchen keine Dramaturgie.

Drei Prinzipien helfen, damit Storytelling glaubwürdig bleibt und bei Mitarbeitenden ankommt:

1. Nur erzählen, was man selbst erlebt hat

Wer eine Geschichte erzählt, nur um zu überzeugen, aber nicht selbst überzeugt ist, verliert sofort an Glaubwürdigkeit. Gute Geschichten basieren auf echten Beobachtungen oder persönlichen Erfahrungen. Wenn du keinen Bezug zur Story hast – erzähle sie nicht.

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2. Konkreten Moment benennen

Nicht: „Damals hatten wir große Abstimmungsprobleme.“
Sondern: „Ich sehe uns noch da sitzen: Dienstagmorgen, 9 Uhr, Projektstatus. Alle mit Kaffeetasse, keiner mit einem konkreten Plan. Und dann dieser eine Satz: ‚Ich glaube, wir reden seit Wochen aneinander vorbei.‘“

3. Die Geschichte endet nicht bei dir

Gute Führungsgeschichten erzeugen Anschluss. Sie laden Mitarbeitende ein, sich selbst darin wiederzufinden. Nicht das Ergebnis zählt, sondern was andere daraus verstehen und lernen können. „Was ich damals gelernt habe: Vertrauen im Team entsteht, wenn man loslässt – nicht, wenn man kontrolliert.“

Wer führen will, muss erzählen können

Zahlen schaffen Orientierung, aber keine Verbindung. Viele Mitarbeitende kennen die Ziele. Was ihnen oft fehlt, ist das Warum dahinter. Eine Geschichte kann genau das liefern: Bedeutung. Nicht als Ersatz für Fakten, sondern als Brücke zwischen Information und Motivation.

Führung heißt heute: Klar sprechen. Etwas riskieren. Und etwas auslösen.
Nicht durch Argumente – sondern durch Momente, die bleiben.

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