Ostdeutsche stellen knapp 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland dar. In den Führungspositionen von Wirtschaft, Justiz, Medien, Militär oder Wissenschaft sind sie aber kaum sichtbar. Laut Elitenmonitor beträgt ihr Anteil an den Spitzenpositionen in Deutschland nur 12,1 Prozent. Die deutsche Einheit ist also noch nicht in allen Führungsetagen angekommen – trotz aller Fortschritte.

Anzeige

Fortschritt in der Politik – Rückschritte andernorts

Der aktuelle Elitensurvey 2023, erstellt von Forschernder Universitäten Leipzig, Jena und der Hochschule Zittau/Görlitz, untersucht rund 685 Spitzenpositionen in zwölf gesellschaftlich relevanten Bereichen. Im Ergebnis zeigt sich ein gemischtes Bild: Der Gesamtanteil ostdeutscher Eliten beträgt 12,1 Prozent.

In den Sektoren zeigen sich große Unterschiede. Einen großen Anteil ostdeutscher Führungskräfte gibt es in der Bundespolitik und in der Verwaltung – deutlich über 10 Prozent. In der Kultur liegt der tatsächliche Anteil dagegen nur bei bei 7,4 Prozent. Die geringsten Werte finden sich in den Sektoren Wissenschaft, Justiz und Militär. Im Militär beträgt der Anteil ostdeutscher Eliten 0,0 Prozent. Diese Zahlen ändern wenig am Gesamtbild einer weiterhin westdeutsch dominierten Elite.

Schon gewusst? 2022 waren laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend rund 28 Prozent der Top-Führungspositionen in der deutschen Privatwirtschaft mit Frauen besetzt. Auffällig ist das Ost-West-Gefälle: In allen fünf ostdeutschen Bundesländern liegt der Anteil über 30 Prozent, mit Spitzenwerten in Sachsen (35 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (34 Prozent). Im Westen erreicht nur das Saarland die 30 Prozent Marke. (Quelle: Statista)

Anzeige

Unterrepräsentiert? Ost und West urteilen unterschiedlich

Die Studie offenbart nicht nur strukturelle Ungleichgewichte, sondern auch große Unterschiede in der Wahrnehmung. Während 22 Prozent der ostdeutschen Eliten ihre Gruppe als unterrepräsentiert empfinden, sind es unter westdeutschen Befragten nur 8 Prozent. Das Urteil über die Gerechtigkeit dieser Verhältnisse fällt entsprechend unterschiedlich aus: 85 Prozent der Ostdeutschen halten die Unterrepräsentanz für ungerecht – unter den Westdeutschen teilen 68 Prozent diese Einschätzung.

Interessanterweise bewerten ostdeutsche Eliten ihre Herkunft ambivalent. 39,5 Prozent sehen sie als Vorteil für den eigenen Karriereweg. Gleichzeitig empfinden 17,7 Prozent sie eher als Nachteil. Lediglich 26,7 Prozent der Ostdeutschen geben an, keine Benachteiligung erlebt zu haben – im Westen sagen das fast doppelt so viele (49,4 Prozent).

Elitentransfer, Netzwerke, fehlende Maßnahmen

Als zentrale Ursache für das anhaltende Ungleichgewicht nennen sowohl ost- als auch westdeutsche Eliten den sogenannten Elitentransfer: Die gezielte Besetzung ostdeutscher Führungspositionen durch westdeutsche Akteure nach der Wiedervereinigung. 88 Prozent der ostdeutschen und 86 Prozent der westdeutschen Befragten nennen diesen Mechanismus als Erklärung für die Unterrepräsentanz. Auch das Nachrücken westdeutscher Führungskräfte in ostdeutsche Institutionen wird häufig erwähnt: 81 Prozent der Ostdeutschen und 66 Prozent der Westdeutschen sehen darin eine Ursache.

Anzeige

Die kulturellen Unterschiede in der Selbsterzählung ost- und westdeutscher Eliten sind ebenso markant. Westdeutsche nennen als häufigste Aufstiegsfaktoren: fachliches Wissen (68 Prozent), Auftreten, Eloquenz und Charisma. Ostdeutsche hingegen betonen den Aufbau persönlicher Netzwerke (36 Prozent) und die Fähigkeit zum Verzicht (38 Prozent). Fachliches Wissen nennen nur 50 Prozent der ostdeutschen Eliten als entscheidend. Gerade die regionale Verankerung wird von 66 Prozent der ostdeutschen, aber nur von 42 Prozent der westdeutschen Eliten als wichtig empfunden.

Quote? Mehrheit lehnt sie ab

Auf die Frage, wie die Repräsentationslücke geschlossen werden könnte, bleiben die Antworten vage. Eine gesetzliche Quote für Ostdeutsche findet nur wenig Zustimmung: 12 Prozent der ostdeutschen und 3 Prozent der westdeutschen Eliten sprechen sich dafür aus.

55 Prozent der westdeutschen Befragten gehen davon aus, dass sich die Ungleichverteilung mit der Zeit „von selbst“ auflösen wird. Unter Ostdeutschen glauben das nur 28 Prozent – ein weiteres Indiz für die unterschiedlichen Erwartungshaltungen.

Anzeige

Zugleich wünschen sich 84 Prozent der ostdeutschen Eliten, dass ihre Perspektiven in der gesellschaftlichen Debatte stärker gehört werden. 67 Prozent der westdeutschen Eliten unterstützen diese Forderung. Eine symbolische Beteiligung reiche nicht – es gehe um strukturelle Sichtbarkeit.

Die Einheit – politisch vollzogen, gesellschaftlich unvollendet?

Der Elitensurvey zeigt, wie stabil und widerständig bestehende Machtverhältnisse auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung geblieben sind. Ostdeutsche Herkunft ist nach wie vor ein implizites Kriterium für Zugang oder Ausschluss. Der geringe Anteil ostdeutscher Eliten in zentralen Bereichen ist keine Frage individueller Leistung, sondern struktureller Verzerrung. Fortschritte sind erkennbar – doch der Wandel bleibt selektiv.

Die deutsche Einheit ist formal längst vollzogen, gesellschaftlich aber in den Chefetagen noch immer nicht angekommen.

Anzeige
Anzeige
Anzeige