Ein Bachelorabschluss gilt noch immer als Karriere-Boost – zumindest in der Theorie. Doch eine Umfrage der Hult International Business School unter 800 Personalern und 800 Mitarbeitern in US-Unternehmen zeigt: Genau dort, wo die Studiengänge eigentlich glänzen sollten – bei der praktischen Vorbereitung auf den Job –, fühlen sich viele Absolventen im Stich gelassen. Nur 24 Prozent meinen, alle nötigen Fähigkeiten für ihre Position zu besitzen. 77 Prozent sagen, sie hätten in sechs Monaten im Job mehr gelernt als im gesamten Studium. Diese Kluft zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt ist ein Weckruf für praxisnähere Programme.
Enttäuschte Erwartungen der Absolventen
Die Erwartungen an ein Studium sind hoch: Es soll Wissen vermitteln, Karrieremöglichkeiten eröffnen und den Einstieg ins Berufsleben erleichtern. Doch die Realität sieht dann doch anders aus. Laut der Umfrage wünschen sich 85 Prozent der Befragten, ihre Hochschule hätte sie besser auf die Praxis vorbereitet. Die theoretische Ausrichtung des Studiums würde ihnen in der realen Arbeitswelt kaum weiterhelfen.
Ein häufig genannter Kritikpunkt: Hochschulen priorisieren akademische Fachwissen, während praktische Fähigkeiten und Soft Skills zu kurz kommen. Kommunikation, Teamarbeit, unternehmerisches Denken – all das sind Kompetenzen, die in vielen Studiengängen kaum systematisch vermittelt werden, im Arbeitsalltag jedoch unverzichtbar sind.
Hochschulen müssen aus Sicht der Unternehmen umdenken
Die Kritik kommt auch von Unternehmensseite. Ganze 96 Prozent der befragten Personalverantwortlichen sind der Meinung, dass Hochschulen mehr Verantwortung übernehmen sollten, um Studierende besser auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Besonders problematisch: 75 Prozent der Unternehmen geben an, dass die meisten Bachelor-Abschlüsse Menschen nicht ausreichend auf ihre Jobs vorbereiten.
Ein zentrales Problem sei der hohe Aufwand, den Unternehmen betreiben müssen, um Berufsanfänger fit für ihre Aufgaben zu machen. 91 Prozent der HR-Manager berichten, dass die Einarbeitung und Schulung von Absolventen teurer ist als bei erfahreneren Mitarbeitern. 69 Prozent geben an, dass diese Kosten mindestens doppelt so hoch sind.
Warum Unternehmen auf Absolventen lieber verzichten
Obwohl der Arbeitsmarkt vom Fachkräftemangel geprägt ist, setzen Unternehmen kaum auf junge Absolventen. 89 Prozent der befragten Firmen vermeiden es, Hochschulabsolventen einzustellen.
Die Gründe:
- Mangelnde Praxiserfahrung (60 Prozent)
- Fehlende globale Denkweise (57 Prozent)
- Defizite in der Teamfähigkeit (55 Prozent)
- Kostenintensive Einarbeitung (53 Prozent)
- Unzureichende fachliche Kompetenzen (51 Prozent)
Einige Unternehmen gehen so weit, lieber Freelancer einzustellen oder Stellen einfach unbesetzt zu lassen, anstatt Absolventen ohne Berufserfahrung zu beschäftigen.
Welche Rolle spielt die Studienwahl
Hinzu kommt, dass viele Absolventen die Wahl ihres Studienfachs bereuen. Laut der Umfrage fühlen sich 43 Prozent der Befragten „zum Scheitern verurteilt“, weil sie sich für das falsche Fach entschieden haben. Zwei Drittel wünschen sich, sie hätten ein anderes Studium gewählt, das ihnen bessere berufliche Perspektiven eröffnet hätte.
Die Folgen – gravierend: 84 Prozent derjenigen, die ihr Studium bereuen, sagen, dass diese Entscheidung ihre finanzielle Zukunft negativ beeinflusst habe. 82 Prozent berichten sogar von Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit.
Besonders kritisch: Viele Absolventen geben an, dass sie bei der Wahl ihres Studienfachs nicht ausreichend beraten wurden. Hier sehen 79 Prozent der Befragten eine Mitverantwortung der Hochschulen, während 72 Prozent bereits in der Schule fehlende Unterstützung bemängeln.
Wirtschaftswissenschaften im Vorteil
Ein interessantes Ergebnis der Umfrage ist die Bevorzugung bestimmter Studiengänge. Absolventen mit wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüssen gelten bei Arbeitgebern als besonders qualifiziert. 95 Prozent der Unternehmen ziehen es vor, Absolventen aus diesem Bereich einzustellen, und 82 Prozent zahlen ihnen sogar höhere Einstiegsgehälter.
Doch auch wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge stehen vor der Herausforderung, auf technologische Entwicklungen zu reagieren. Themen wie Künstliche Intelligenz (KI), Datenanalyse und IT gewinnen rapide an Bedeutung. Ganze 97 Prozent der befragten HR-Manager betonen, wie wichtig ein grundlegendes Verständnis dieser Technologien ist. Dennoch fühlen sich nur 23 Prozent der Absolventen darauf vorbereitet.
Ein Weckruf für die Hochschullandschaft?
Die Ergebnisse der Umfrage können als Weckruf für Universitäten verstanden werden. Es reicht einfach nicht, Studierende nur mit theoretischem Wissen auszustatten. Stattdessen müssen Studiengänge stärker an den Anforderungen der modernen Arbeitswelt ausgerichtet werden. Dazu gehört:
- Praktische Erfahrungen: Pflichtpraktika, praxisnahe Projekte und Kooperationen mit Unternehmen sollten integraler Bestandteil jedes Studiengangs sein.
- Soft Skills: Kommunikation, Teamarbeit, Problemlösung und kritisches Denken müssen gezielt geschult werden.
- Technologie: Grundlagen in KI, IT und Datenanalyse sollten verpflichtend in alle Studiengänge integriert werden.
Die Kritik an traditionellen Bachelor-Programmen ist laut – und auch ein Stück weit berechtigt. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert, doch viele Hochschulen halten an überholten Lehrplänen fest. Die Umfrage zeigt, dass dieser Stillstand nicht nur die Karrierechancen von Absolventen gefährdet, sondern auch Unternehmen belastet.
Nachgefragt: Fühlst du dich durch dein Studium gut auf den Job vorbereitet – oder sollten Hochschulen mehr Praxis und Soft Skills vermitteln, um den Berufseinstieg zu erleichtern?