Samstag, 10 Uhr. Du hetzt durch den Supermarkt, denkst gleichzeitig an die Wäsche, das Geschenk für den Kindergeburtstag, den Essensplan für nächste Woche. Vielleicht bringst du später noch jemand zum Sport, räumst schnell auf, koordinierst Arzttermine, beantwortest ein paar Nachrichten für die Schule – und wunderst dich abends, warum du eigentlich so erschöpft bist. Willkommen im Mental Load. Und willkommen in der Realität von Care-Arbeit.
Was ist Care-Arbeit – und warum betrifft sie dich (ja, dich!)?
Care-Arbeit bedeutet: für andere da sein. Kochen, putzen, organisieren, zuhören, pflegen, planen – sichtbar und unsichtbar. Es sind die Aufgaben, die den Alltag zusammenhalten. Die das Zusammenleben möglich machen und die Gesellschaft am Laufen halten. Und doch werden sie viel zu oft übersehen oder still erwartet. Vor allem von Frauen.
Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis, 2024) leisten Frauen im Schnitt 44,3?% mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Nicht, weil sie mehr Zeit oder Lust dazu hätten – sondern weil tradierte Rollenbilder es nach wie vor nahelegen.
Die Zeitverwendungserhebung 2022 zeigt: Frauen verbringen im Durchschnitt knapp 30 Stunden pro Woche mit unbezahlter Arbeit, Männer rund 21 Stunden. Fast die Hälfte dieser Zeit entfällt bei Frauen auf klassische Hausarbeit – also Kochen, Putzen, Wäsche waschen.
Der Alltag wird zur Dauerbelastung – nicht nur organisatorisch, sondern auch emotional. Jede vierte erwerbstätige Mutter empfindet ihre Zeit für Erwerbsarbeit als zu knapp. Jeder vierte Vater hingegen sagt, er verbringe zu viel Zeit im Job.
Unsichtbar, aber spürbar: Was Care-Arbeit mit dir macht
Care-Arbeit ist Arbeit. Punkt. Aber eben eine, die selten bezahlt, selten anerkannt und oft nicht mal bewusst wahrgenommen wird. Dabei hat sie enorme Auswirkungen: auf deine Zeit, deine Energie, deine finanzielle Unabhängigkeit – und auf dein Selbstwertgefühl.
Denn wer Tag für Tag für andere mitdenkt, organisiert, versorgt und schlichtweg funktioniert, verliert irgendwann das Gefühl für die eigene Grenze. Die To-do-Liste im Kopf wird einfach nicht kleiner, der Tag ist nie lang genug – und die eigenen Bedürfnisse rutschen immer weiter in den Hintergrund.
Diese permanente Alarmbereitschaft im Kopf, das Gefühl, immer noch etwas erledigen zu müssen, erzeugt einen Druck, der nicht sichtbar ist, aber wirkt. Innen. Und genau das ist, was auf Dauer krank machen kann.
Wenn „helfen im Haushalt“ zur Heldentat wird
Wer hilft, übernimmt nicht. Wer hilft, macht die Aufgabe zur Ausnahme. Und das zeigt, wie tief das alte Rollenbild noch sitzt – in Sprache, in Verhalten, in unserer Vorstellung von Normalität.
Diese Sprache entlarvt mehr als sie beschreibt. Sie offenbart ein Rollenbild, das Care-Arbeit nicht als gemeinsame Verantwortung begreift, sondern als weibliche Zuständigkeit, bei der männliche Beteiligung als Bonus erscheint.
Der Soziologe Pierre Bourdieu nennt das den „geschlechtlichen Habitus“ – ein kulturell verankertes, oft unbewusst verinnerlichtes Skript, das vorgibt, was als „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ gilt. Und das bis heute beeinflusst, wer sich für was zuständig fühlt – und wem dafür Anerkennung zuteilwird.
Care-Arbeit ist auch eine Machtfrage
Denn wer mehr Care-Arbeit übernimmt, kann weniger Erwerbsarbeit leisten. Und das hat Folgen: weniger Einkommen, weniger Karrierechancen, weniger Rente. Wer den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit trägt, hat weniger Spielraum – und gerät schneller in finanzielle Abhängigkeit. Auch das ist ein Gleichstellungsthema.
Und nein, Männer sind nicht automatisch „schuld“. Aber sie profitieren oft – ohne es zu merken. Zum Beispiel, weil sie mehr Zeit haben für Überstunden, fürs Networking oder für persönliche Weiterentwicklung. Während die einen Listen im Kopf abhaken, können die anderen Karriere machen. Genau das ist das eigentliche Ungleichgewicht: Es geht nicht nur um Aufgaben – es geht um Zeit, Spielräume und Möglichkeiten.
Wie du Care-Arbeit sichtbar machst – und fair verteilst
Der erste Schritt ist radikal einfach: hinschauen. Was machst du alles am Tag? Und was macht dein:e Partner:in? Wer plant, wer denkt voraus, wer führt aus? Wo regelmäßig offen über Erwartungen, Zuständigkeiten und mentale Last gesprochen wird, verschieben sich nicht nur Abläufe – sondern auch die Wahrnehmung von Fairness.
Wichtig ist: Es geht nicht ums Abrechnen, sondern ums Bewusstwerden. Und darum, neue Vereinbarungen zu treffen – partnerschaftlich, konkret, ehrlich.
Was sich strukturell ändern muss
Individuelle Lösungen brauchen politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Modelle wie „Elternzeit für alle“, flexible Arbeitszeitgestaltung, steuerliche Vorteile für gleichberechtigte Aufteilung – all das hilft, echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. Solange das System jedoch Teilzeit „bestraft“, Care-Arbeit abwertet und Altersarmut normalisiert, bleibt Gleichstellung eine leere Hülle.
Care-Arbeit ist kein Nebenjob – Sie ist systemrelevant
Solange Sorgearbeit im Stillen passiert, bleibt Gleichstellung ein leeres Versprechen. Wenn Frauen deutlich mehr im Haushalt leisten, aber später deutlich weniger Rente erhalten, läuft etwas grundlegend falsch. Es reicht nicht, Care-Arbeit zu würdigen – sie muss endlich als das behandelt werden, was sie ist: echte Arbeit. Arbeit, die gesehen, bezahlt und politisch mitgedacht werden muss.
Wer von Gleichberechtigung spricht, muss hier anfangen. Denn ohne diejenigen, die Tag für Tag für andere sorgen, funktioniert kein System – weder Familie noch Wirtschaft, weder Pflege noch Gesellschaft. Es braucht keine netten Worte mehr. Es braucht Strukturen, die Verantwortung wirklich teilen. Care-Arbeit ist keine Privatsache. Sie ist eine Frage der Gerechtigkeit – und der Zukunft. Wer es ernst meint, muss den Mut haben, das zu ändern. Jetzt.