Früh rein, spät raus, dazwischen keine Luft. Für viele Führungskräfte ist das kein Ausnahmezustand, sondern Alltag. Pausen gelten nicht als Bestandteil von Führung, sondern als Störfaktor. Doch das Schweigen über diese Erschöpfung wird zunehmend zum Risiko – für Organisationen, für Teams und für die Menschen an der Spitze selbst.

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Die Erschöpfung ist real – und bleibt oft unsichtbar

Führungskräfte sollen belastbar sein, lösungsorientiert, jederzeit einsatzbereit. So lautet das unausgesprochene Anforderungsprofil in vielen Unternehmen. Doch wie es hinter dieser Fassade aussieht, wird kaum thematisiert. Eine AUCTORITY-Studie zeigt nun erstmals in größerem Umfang: Die Erschöpfung auf Führungsebene ist weit verbreitet – und sie trifft vor allem jene, die zugleich am meisten leisten und am wenigsten klagen.

Über 61 Prozent der Befragten gaben an, sich in den letzten Monaten erschöpft zu fühlen. Besonders stark betroffen sind Frauen in Führungsrollen und Personen zwischen 30 und 39 Jahren – also Menschen, die häufig gleichzeitig in der beruflichen Verantwortung und in der familiären Hauptbelastung stehen.

Die Gründe sind bekannt, doch noch immer werden sie nicht ausreichend diskutiert: Die Rolle der Führungskraft ist in vielen Unternehmen nicht mitgedacht worden für ein Leben, das mehrere Anforderungen gleichzeitig integriert. Wer führt, soll verfügbar sein – oft rund um die Uhr. Wer Verantwortung trägt, soll sie nicht abgeben – zumindest nicht sichtbar. Und wer müde wird, zieht sich zurück. Still. Diskret. Und meistens zu spät.

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Was nach Kontrolle aussieht, ist schlicht Überforderung

Was viele als Führungsstärke deuten, ist in Wahrheit oft ein hochfunktionales Kompensationssystem. Entscheidungen werden unter Zeitdruck getroffen, Prioritäten nach Kalenderlage sortiert, Gespräche kurz und knapp gehalten, Reflexion verschoben. Führung verkommt zum Prozessmanagement. Doch wer sich dauerhaft im Reaktionsmodus befindet, verliert zwangsläufig das Gespür für Richtung. Die Studie zeigt auch: Ausgerechnet diejenigen, die besonders erschöpft sind, tun sich am schwersten damit, Verantwortung zu teilen. Ein Paradoxon – und ein ernstzunehmendes.

Dahinter steckt ein kulturelles Führungsverständnis, das kaum Raum lässt für Zweifel, Distanz oder Unterbrechung. In vielen Organisationen gilt bis heute: Wer führt, muss sichtbar führen. Wer pausiert, signalisiert Schwäche. Wer delegiert, verliert Kontrolle. Das macht es schwer, Alternativen zu leben – selbst wenn die Bereitschaft dazu da wäre. Denn auch das zeigt die Studie: Zwei Drittel der befragten Führungskräfte können sich vorstellen, Führungsaufgaben zu teilen. Doch es fehlt an Vorbildern, an Systemen – und an Vertrauen.

Das alte Führungsbild passt nicht mehr zur Realität

Die Arbeitswelt hat sich verändert. Lebensentwürfe sind vielfältiger geworden, klassische Rollenbilder bröckeln – zumindest theoretisch. Praktisch aber wird in vielen Organisationen immer noch so geführt, als sei „Verfügbarkeit“ gleichzusetzen mit „Engagement“. Wer an Sitzungen nicht teilnimmt, der zeigt nicht genug Einsatz für die Sache. Wer Aufgaben teilt, muss sie dennoch vollständig verantworten. Und wer seine Arbeitszeit lebensphasenorientiert anpasst, muss erklären, warum.

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Besonders spürbar wird dieser Konflikt bei Führungskräften mit Familienverantwortung. Viele von ihnen wünschen sich flexible Modelle, reduzierte Stunden oder zumindest zeitlich versetzte Verantwortung – nicht, weil sie weniger leisten wollen, sondern weil sie Leistung mit anderen Anforderungen im Leben in Einklang bringen müssen. Doch vielerorts fehlt die strukturelle Erfahrung damit. Es fehlt der Mut, Führung neu zu denken – als geteilte, bewegliche, menschlichere Funktion. Nicht als Abschwächung von Autorität, sondern als Stärkung von Verantwortung.

Selbstoptimierung ist keine Lösung für strukturelle Erschöpfung

Während sich die Systeme kaum ändern, wird die Verantwortung für Resilienz an den Einzelnen delegiert. Wer gestresst ist, möge meditieren, schlafen, digital detoxen. Doch so hilfreich einzelne Methoden sein mögen: Sie lösen das Problem nicht. Denn die Belastung vieler Führungskräfte ist kein persönliches Versagen, sondern das Ergebnis eines Arbeitsmodells, das auf Dauerverfügbarkeit basiert – und nicht auf realistischen Grenzen.

Auch deshalb ist es ein Irrtum, zu glauben, man müsse nur „besser mit Stress umgehen“. Nein, Führung braucht strukturelle Pausenräume – und eine Kultur, die diese nicht als Defizit betrachtet. Denn solange Erholung Privatsache bleibt, wird sie nicht greifen. Es braucht eine Pausenkultur, die systemisch gedacht ist: eingebettet, legitimiert, geschützt. Nur dann können Führungskräfte sie leben, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

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Wenn niemand stoppt, verliert das Ganze an Richtung

Die Folgen sind längst spürbar: Entscheidungen werden fahriger, Kommunikation angespannter, der Ton ungeduldiger – ruppiger. In vielen Teams ist die psychologische Sicherheit brüchig geworden – nicht, weil die Führung es will, sondern weil sie selbst kaum noch zur Ruhe kommt. Was dann fehlt, ist nicht Produktivität. Sondern Präsenz. Und Orientierung.

Eine Führung, die nie innehält, läuft irgendwann im Kreis. Genau deshalb braucht es den bewussten Moment der Unterbrechung – nicht als Rückzug, sondern als Verantwortung. Denn gute Führung entsteht nicht im Dauertempo. Sondern im Wechsel aus Präsenz und Abstand, aus Haltung und Pause. Und genau dort beginnt sie: mit einem klaren, mutigen Stopp.

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