Der Mindestlohn könnte schon im kommenden Jahr – von aktuell 12,83 Euro auf 15 Euro pro Stunde steigen. Für Millionen von Beschäftigten klingt das nach einer guten Nachricht. Mehr Geld, mehr Sicherheit, mehr Gerechtigkeit. Doch wer genau hinsieht, merkt schnell: Auf dem Konto kommt weniger an, als viele erwarten.

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Die Regierung verkauft die Erhöhung als Meilenstein für faire Bezahlung. Doch in der Praxis wird ein erheblicher Teil der Lohnerhöhung direkt wieder abgeschöpft – durch Steuern, Sozialabgaben und versteckte Effekte wie die sogenannte kalte Progression. Wer jetzt 17 Prozent mehr brutto verdient, hat am Ende nicht automatisch 17 Prozent mehr in der Tasche.

Mehr Lohn, aber wo bleibt das Geld?

Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der bisher 40 Stunden pro Woche zum Mindestlohn gearbeitet hat, verdiente bislang 2.205 Euro brutto im Monat. Nach der Erhöhung steigt sein Gehalt auf 2.580 Euro brutto – ein Plus von 375 Euro.

Doch was davon bleibt tatsächlich übrig?

Mit dem höheren Bruttogehalt steigen natürlich auch die Abzüge. Mehr Steuern, höhere Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Das Plus auf dem Papier wird in der Realität stark reduziert.

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Wer besonders stark betroffen ist, zeigt ein Blick auf drei typische Fälle:

  • Fred, 42, ledig, Steuerklasse 1, arbeitet 35 Stunden pro Woche. Sein Bruttogehalt steigt von 1.796 auf 2.100 Euro. Doch von den zusätzlichen 304 Euro bleiben ihm netto nur 198 Euro. Ein Drittel seiner Lohnerhöhung verschwindet in Steuern und Abgaben.
  • Lisa, 39, verheiratet, Steuerklasse 5, arbeitet 40 Stunden pro Woche. Ihr Gehalt steigt von 2.205 auf 2.580 Euro. Netto bleiben ihr davon nur 212 Euro mehr. Fast die Hälfte ihrer Lohnerhöhung geht an den Staat.
  • Markus, 45, verheiratet, zwei Kinder, Steuerklasse 3, arbeitet 45 Stunden pro Woche. Sein Einkommen steigt von 2.872 auf 3.366 Euro. Netto bekommt er davon 413 Euro mehr. Sein Abzug ist mit nur 16 Prozent deutlich niedriger als bei Lisa.

Das Problem ist klar: Je nach Steuerklasse und Familienstand bleibt von der Lohnerhöhung unterschiedlich viel auf dem Gehaltszettel übrig. Besonders hart trifft es Beschäftigte in Steuerklasse 5 – also meist Zweitverdiener in Ehen. Sie geben fast die Hälfte ihres Lohnzuwachses direkt wieder ab.

Warum bleibt so wenig übrig?

Das deutsche Steuersystem ist progressiv – das bedeutet: Wer mehr verdient, zahlt nicht nur absolut mehr Steuern, sondern auch prozentual mehr. Zusätzlich steigen mit jedem zusätzlichen Euro brutto auch die Sozialabgaben. Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung werden prozentual vom Gehalt berechnet – wer mehr verdient, zahlt automatisch höhere Beiträge.

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Ein weiterer Effekt ist die kalte Progression. Sie sorgt dafür, dass Lohnerhöhungen nicht eins zu eins bei den Beschäftigten ankommen, sondern in höheren Steuersätzen regelrecht „aufgefressen“ werden. Das bedeutet: Das Einkommen steigt, aber die Kaufkraft bleibt fast gleich.

Besonders für Beschäftigte im Mindestlohnbereich ist das bitter. Die Erhöhung sollte ihnen helfen, steigende Preise für Miete, Energie und Lebensmittel besser abzufedern. Doch in vielen Fällen reicht das zusätzliche Nettoeinkommen kaum aus, um die Inflation auszugleichen.

Wie viele Menschen würden von 15 Euro Mindestlohn profitieren?

Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde würde Millionen Beschäftigte in Deutschland direkt betreffen. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts befanden sich im April 2024 rund 6,3 Millionen Beschäftigte – also knapp jeder sechste Job (16 %) – im Niedriglohnsektor und verdienten weniger als 13,79 Euro pro Stunde. Vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 waren es noch 7,6 Millionen (21 %).

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Besonders betroffen von niedrigen Löhnen sind Beschäftigte in Branchen mit hohem Mindestlohnanteil, wie das Bauhauptgewerbe, die Gebäudereinigung und die Pflegebranche. Während der gesetzliche Mindestlohn für alle gilt, existieren in diesen Bereichen teilweise höhere branchenspezifische Mindestlöhne.

Die Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro würde also für viele eine deutliche Gehaltssteigerung bedeuten. Doch wie viel davon tatsächlich netto ankommt, hängt stark von Steuern, Abgaben und individuellen Faktoren wie der Steuerklasse ab.

Wie profitiert der Staat vom steigenden Mindestlohn auf 15 Euro?

Während viele Arbeitnehmer netto nur einen Bruchteil der Erhöhung behalten, gewinnt der Staat doppelt:

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  1. Höhere Steuereinnahmen: Die Lohnerhöhung bedeutet mehr Einkommensteuer für den Staat.
  2. Höhere Sozialversicherungsbeiträge: Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen mehr in die Kassen von Krankenkassen und Rentenversicherung.
  3. Weniger Sozialleistungen: Wer mehr verdient, hat unter Umständen keinen Anspruch mehr auf Wohngeld oder andere Unterstützungsleistungen.

Auch für Arbeitgeber bedeutet die Erhöhung eine deutliche Mehrbelastung. Ein Arbeitnehmer mit Mindestlohn kostet nach der Erhöhung rund 457 Euro mehr pro Monat. Doch nur 218 Euro davon landen tatsächlich netto beim Beschäftigten.

Die Folge: Viele Unternehmen müssen an anderer Stelle sparen – durch weniger Neueinstellungen, mehr Automatisierung oder durch höhere Preise für Kunden.

Was müsste sich ändern?

Wenn die Mindestlohnerhöhung tatsächlich etwas bewirken soll, braucht es Anpassungen im Steuersystem.

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  • Höherer steuerfreier Grundfreibetrag. Wenn Arbeitnehmer weniger Einkommensteuer zahlen, bleibt mehr von der Lohnerhöhung übrig.
  • Geringere Sozialabgaben für niedrige Einkommen. Wer am unteren Ende der Einkommensskala steht, sollte entlastet werden.
  • Reform der Steuerklasse 5. Zweitverdiener in Ehen sind derzeit besonders benachteiligt – hier wären neue Modelle notwendig.
  • Bekämpfung der kalten Progression. Regelmäßige Anpassungen der Steuersätze könnten verhindern, dass Lohnerhöhungen durch höhere Abzüge verpuffen.

Solange sich hier nichts ändert, bleibt die Mindestlohnerhöhung für viele eine Mogelpackung. Das Brutto steigt – aber netto bleibt oft nur wenig übrig.

Mehr Mindestlohn – aber nicht mehr Geld?

Die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde klingt nach einer guten Nachricht. Doch viele Beschäftigte stellen schnell fest, dass die Lohnerhöhung im Portemonnaie kaum spürbar ist. Damit Lohnerhöhungen wirklich bei den Beschäftigten ankommen, braucht es eine Reform des Steuer- und Sozialversicherungssystems. Bis dahin bleibt die Mindestlohnerhöhung für viele ein Versprechen, das auf dem Konto nicht ankommt.

 

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