Manchmal sieht man die größten Ungerechtigkeiten erst, wenn man selbst an ihnen vorbeikommt. Ich dachte lange, dass es heute irgendwie normal sei, Kinder und Beruf miteinander zu verbinden. Dass sich schon irgendwie Wege finden würden. Es dauerte nicht lange, bis ich verstand, dass sich die Wege oft nur dann öffnen, wenn jemand anderes dafür zurücktritt.
In Deutschland passiert es auch heute noch viel zu oft: Frauen, die Mütter werden, geraten beruflich ins Abseits. Der Begriff dafür, „Motherhood Penalty“, klingt akademisch, beinahe harmlos. Aber was dahintersteht, ist brutal. Studien zeigen: Mütter verlieren bis zu zwei Drittel ihres möglichen Einkommens. Zwei Drittel! Kein Schönheitsfehler des Systems – ein systemisches Versagen.
Arbeiten, als hätte man keine Kinder. Kümmern, als hätte man keinen Beruf
Besonders hart trifft es Frauen in Berufen, in denen es ohnehin wenig Spielraum gibt. Pflege, Einzelhandel, Friseurhandwerk – Bereiche, die lange, unregelmäßige Arbeitszeiten kennen, aber kaum Flexibilität bieten. Wer dort um 20 Uhr noch arbeitet, muss um 18 Uhr längst sein Kind aus der Kita abgeholt haben. Eine Gleichung, die nicht aufgeht – weder mit guter Planung noch mit gutem Willen.
Viele Frauen stehen dann vor einer Entscheidung, die gar keine ist: entweder die Kinder oder der Beruf. Und ganz gleich, wie sie sich entscheiden – es tut weh. Nicht, weil sie weniger belastbar wären. Sondern, weil die Strukturen ihnen keine Wahl lassen.
Systemrelevant, aber systematisch ausgebremst
Gerade die Berufe, die das gesellschaftliche Leben sichern – Pflege, Handel, soziale Arbeit – sind fest in Frauenhand. Es wäre nur logisch, diese Arbeit besonders wertzuschätzen. Stattdessen fehlt es an allem: an Flexibilität, an fairer Bezahlung, an Aufstiegschancen.
Wer in Schichtdiensten arbeitet, lernt schnell, dass Planbarkeit eine Illusion ist. Und wenn Kita und Schule als Partner ausfallen, wenn Notfallpläne fehlen, bleibt die Verantwortung fast immer bei den Müttern. Nicht aus bösem Willen. Sondern, weil die Arbeitsteilung in Krisensituationen alte Muster viel schneller reproduziert, als man denkt.
Ich weiß, wovon ich spreche. Zwei eigene Kinder, drei Bonuskinder. Flexibilität ist für mich kein Extra, sondern eine schlichte Notwendigkeit, damit Beruf und Familie überhaupt nebeneinander existieren – oder besser noch: wirklich miteinander vereinbar sein können. Aber viele Jobs bieten genau das nicht.
Karriereknick nach der Geburt
Ich wollte immer einen guten Job, mit Sicherheit, Verantwortung und Perspektive. Und ich habe viel dafür getan. Doch nach der Geburt war da plötzlich dieser feine Riss. Die Kollegen, die Projektleiter, die Personalabteilung – sie alle sahen mich plötzlich mit anderen Augen. Nicht offen feindlich, aber vorsichtig, skeptisch. Belastbar? Führungstauglich? Zweifel überall – oft unausgesprochen, aber spürbar.
Das Verrückte ist: Mütter sind oft die besseren Krisenmanagerinnen. Wer morgens schon drei Kinder aus dem Haus gebracht hat, verliert bei einem überfälligen Projekt nicht gleich die Nerven. Aber Organisationstalent, Übersicht und Effizienz zählen wenig, wenn die Erwartung lautet, dass Karriere nur in Vollzeit und ohne Abstriche funktioniert.
Rückkehr in Teilzeit: Eine Karriere auf Abruf
Zurückzukehren in den Beruf fühlt sich für viele Mütter nicht wie ein Aufbruch an, sondern wie ein schmaler Grat. Einer, auf dem jeder Schritt Unsicherheit bedeutet. Arbeiten, ja – aber am besten so, dass niemand merkt, dass es ein Spagat ist. Dass das Kind krank sein könnte. Dass Termine manchmal nicht zu halten sind.
Viele Frauen wechseln in Teilzeit, nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Mangel an Optionen. Und mit jedem abgesagten Projekt, mit jeder verpassten Fortbildung schwindet nicht nur das Einkommen, sondern auch die Chance auf Unabhängigkeit. Wer einmal in wirtschaftliche Abhängigkeit gerät, findet nur schwer wieder heraus. Die Bertelsmann Stiftung hat das längst nachgewiesen. Aber die gesellschaftliche Aufmerksamkeit bleibt gering.
Leben zwischen zwei Polen
Muttersein heißt heute oft: sich selbst zwischen zwei Polen zu zerreißen. Da ist das Bedürfnis, für das eigene Kind da zu sein. Und da ist die Sehnsucht, als Mensch sichtbar zu bleiben – mit eigenen Träumen, eigener beruflicher Identität.
Der tägliche Spagat zehrt an vielen Frauen. Nicht, weil sie zu wenig tun würden. Sondern, weil sie immer spüren: Egal wie sie sich entscheiden, irgendwo bleibt etwas unvollständig. Aber das Scheitern liegt nicht bei ihnen. Es liegt in einem System, das diese Entscheidungen verlangt, aber keine Lösungen anbietet.
Fachkräftemangel: Das verschenkte Potenzial der Mütter
Gerade in den Branchen, die über Fachkräftemangel klagen, gibt es unzählige Frauen, die könnten, wollten, bereitstünden. Wenn die Arbeitswelt nicht immer noch an überholten Vorstellungen von Verfügbarkeit, Flexibilität und Karrierewegen festhielte.
Es fehlt nicht an Talent. Es fehlt an Strukturen, die es ermöglichen. Flexible Arbeitszeiten, echte Teilzeitkarrieren, verlässliche Kinderbetreuung – all das sind keine Sonderwünsche. Es sind Voraussetzungen, damit Arbeit und Familie koexistieren können, ohne dass immer einer von beiden verliert.
Was Unternehmen wirklich ändern müssten
Wer ernsthaft will, dass Mütter beruflich bleiben und wachsen können, muss über symbolische Maßnahmen hinausgehen. Es braucht verlässliche Betreuung, die den Arbeitsrealitäten gerecht wird – auch für diejenigen, die im Schichtdienst oder zu unregelmäßigen Zeiten arbeiten.
- Betriebliche Kitas oder enge Kooperationen mit Einrichtungen, die flexible Öffnungszeiten bieten, sind schlichtweg eine Notwendigkeit.
- Auch die Gestaltung der Arbeitszeit verlangt ein grundsätzliches Umdenken. Dienstpläne sollten nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg erstellt werden, sondern in konkreter Abstimmung mit ihnen.
- Homeoffice darf nicht länger als Benefit gelten, sondern als selbstverständliche Option, wo es die Tätigkeit zulässt. Der Mythos der Unproduktivität im Homeoffice ist eben genau das – ein Mythos.
- Modelle wie Jobsharing, gerade auch in Führungspositionen, bieten die Chance, die Erfahrung und Kompetenz von Eltern nicht zu verlieren, nur weil sie ihre Arbeitszeit reduzieren müssen.
Wer das als Arbeitgeber umsetzt, gewinnt Mitarbeiterinnen, die nicht trotz, sondern wegen ihrer Erfahrungen so wertvoll sind. Vielleicht wird eines Tages Mutterschaft nicht mehr als Karrierebremse gesehen, sondern als das, was sie sein kann: ein Erfahrungsweg, der Frauen stärker, klüger und resilienter macht – und der die Arbeitswelt nur bereichern kann, wenn man sie denn lässt.