Zwischen 2021 und 2023 haben rund 1.300  Unternehmen in Deutschland mit 50 oder mehr Beschäftigten Teile ihrer Geschäftsaktivitäten ins Ausland verlagert – mit spürbaren Folgen für den hiesigen Arbeitsmarkt. Wie aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, wurden im Zuge dieser Verlagerungen insgesamt 71.100 Stellen in Deutschland abgebaut, während gleichzeitig 20.300 neue Stellen entstanden, etwa durch interne Umstrukturierungen oder infolge von Effizienzsteigerungen. In der Bilanz ergibt sich ein Nettoverlust von 50.800 Arbeitsplätzen.

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Besonders betroffen: industrielle Kernfunktionen

Der größte Teil des Stellenabbaus entfiel auf den Bereich Warenproduktion, der mit Abstand am stärksten von der Verlagerung betroffen war. 26.100 Stellen gingen hier verloren, während nur 5.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Daraus ergibt sich ein Nettoverlust von 21.100 Jobs in einem Bereich, der traditionell das Rückgrat vieler regionaler Standorte bildet.

Auch andere Funktionen wurden verlagert, etwa IT, Logistik oder Kundenservice, jedoch in geringerem Umfang. In der Tendenz zeigt sich: Vor allem arbeitsintensive und standardisierbare Tätigkeiten sind von der Verlagerung betroffen – mit teils erheblichen sozialen Auswirkungen in strukturschwachen Regionen.

Kosten als Hauptmotiv – aber nicht das einzige

Für die überwiegende Mehrheit der Unternehmen standen finanzielle Erwägungen im Mittelpunkt der Entscheidung. Laut Destatis gaben 74 Prozent der befragten Firmen an, durch die Verlagerung vor allem Lohnkosten senken zu wollen. Weitere 59 Prozent nannten sonstige Kostenvorteile, etwa geringere Bürokratie oder niedrigere Fixkosten.

Strategische Entscheidungen auf Konzernebene spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle: 62 Prozent der Unternehmen gaben an, ihre Auslandsverlagerung folge Vorgaben der Unternehmensführung. Der deutsche Standort wird dabei zunehmend Teil globaler Optimierungsketten, nicht mehr zwingend als autonomer Entscheidungsraum betrachtet.

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Der Fachkräftemangel verschärft die Entwicklung

Bemerkenswert: 38 Prozent der Unternehmen führten als weiteren Verlagerungsgrund den Mangel an qualifizierten Fachkräften im Inland an. In Zeiten, in denen nahezu alle Branchen vom Arbeitskräftemangel betroffen sind, wirkt sich dieser Engpass zunehmend auch auf Standortentscheidungen aus.

Gerade im technisch-gewerblichen Bereich finden viele Unternehmen keine geeigneten Arbeitskräfte mehr oder nicht in ausreichender Zahl.

Die Folge: Unternehmen weichen auf Länder aus, in denen sie besser ausgebildetes oder günstigeres Personal rekrutieren können. Die demografische Schwäche des deutschen Arbeitsmarkts wird damit zu einem verdeckten Standortnachteil.

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Verlagerung oft innerhalb der EU

Anders als oft vermutet, erfolgt die Verlagerung nicht primär in Niedriglohnländer außerhalb Europas. Von den 1.300 verlagernden Unternehmen wählten 900 einen Standort innerhalb der EU, etwa in Mittel- und Osteuropa. Nur 700 Firmen verlagerten Tätigkeiten in Drittstaaten außerhalb der Union.

Diese Verlagerungen erfolgen häufig im Rahmen sogenannter Nearshoring-Strategien: Unternehmen bleiben geografisch und regulatorisch nah am deutschen Markt, profitieren aber dennoch von deutlich niedrigeren Lohnniveaus und flexibleren Rahmenbedingungen. Besonders attraktiv sind dabei Länder wie Polen, Tschechien oder Rumänien.

Globalisierung als Normalzustand – mit Nebenwirkungen

Die Zahlen zur Verlagerung zeigen auch, wie stark deutsche Unternehmen längst in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Im Jahr 2023 waren 34.600 von 59.100 Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten Teil grenzüberschreitender Liefer- und Leistungssysteme, das entspricht 59 Prozent aller betrachteten Betriebe.

Die internationale Vernetzung ist für viele Unternehmen heute Grundvoraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit. Sie erlaubt Effizienzgewinne, Zugang zu neuen Märkten und optimierte Produktionsprozesse. Doch sie führt auch dazu, dass Standortentscheidungen nicht mehr lokal, sondern international getroffen werden – mit entsprechend geringerer Bindung an nationale Arbeitsmärkte.

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Verlagerung bleibt eine komplexe Abwägung

Trotz der klaren ökonomischen Logik ist eine Auslandsverlagerung für Unternehmen kein Selbstläufer. Laut Destatis nannten viele Firmen rechtliche oder administrative Hürden, steuerliche Unsicherheiten oder hohe Einmalkosten als zentrale Hindernisse. In vielen Fällen rechnet sich die Verlagerung nur unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei ausreichend großem Kostenvorteil oder gut etablierter Infrastruktur am Zielstandort.

Gleichzeitig zeigt sich aber auch: Wenn die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht attraktiv bleiben, fällt die Entscheidung zur Verlagerung schneller, besonders in Konzernstrukturen, wo mehrere Länderstandorte im Wettbewerb stehen. Die Frage ist also nicht, ob Unternehmen ins Ausland gehen, sondern unter welchen Umständen sie lieber bleiben würden.

Ein Signal für den Standort Deutschland

Der Nettoabbau von 50.800 Stellen mag angesichts von über 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland gering erscheinen. Doch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland steht unter massivem Druck, nicht nur wegen hoher Energiepreise und überbordende Bürokratie, sondern auch durch strukturelle Schwächen wie Fachkräftemangel, schleppende Digitalisierung und starre Regulierung.

Wenn selbst etablierte, profitable Unternehmen beginnen, zentrale Funktionen ins Ausland zu verlagern, ist das ein strategisches Signal. Der deutsche Arbeitsmarkt verliert somit nicht nur Stellen, er verliert vor allem Einfluss. Und damit Gestaltungsmacht. Wer den Wirtschaftsstandort zukunftsfähig halten will, darf die Debatte über Verlagerungen nicht allein auf die Globalisierung abschieben. Es sind konkrete Standortbedingungen, die für Unternehmen zählen.

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