Kennst Du das: Eine Minute, eine halbe Stunde oder eine Woche können sich je nach Lebenssituation verblüffend unterschiedlich anfühlen. Und tendenziell vergeht die Zeit im Laufe des Lebens gefühlt immer schneller. Also wo ist sie wirklich geblieben, die Zeit? Und wie entsteht dieser Effekt?

Zeitempfinden ist subjektiv

„Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Realität.“
(Albert Einstein)

Früher haben sich die Menschen an Himmelskörpern oder dem Sonnen Auf- und Sonnenuntergang orientiert. Heutzutage besitzt wohl jeder eine Armbanduhr oder – neumodischer – ein Smartphone, das uns stets die aktuelle Uhrzeit wissen lässt. Dennoch: Auch, wenn die Zeit theoretisch für alle Menschen gleich schnell vergehen müsste, so tut sie das in der Regel nicht. Denn Zeitempfinden ist subjektiv und kann daher von Mensch zu Mensch stark schwanken. Tendenziell vergeht die Zeit für ältere Menschen schneller als für jüngere. Besonders extrem kann das Empfinden der „rasenden“ Zeit zudem werden, wenn sich die Lebenszeit dem Ende neigt, zum Beispiel aufgrund einer schweren Erkrankung. Vielleicht kennst Du das aus einem weniger drastischen Zusammenhang: Wenn Du im Urlaub nur noch einen Tag übrig hast, vergeht er dann nicht gefühlt viel schneller als der erste Urlaubstag zu Beginn?

Jeder kennt es: Das Urlaubs-Zeit-Phänomen

Es handelt sich natürlich nicht um einen wissenschaftlich anerkannten Fachausdruck. Doch lasse es uns einmal das „Urlaubs-Zeit-Phänomen“ nennen. Nehmen wir an, Du hast zwei Wochen Urlaub und verreist in ein fernes – und für Dich neues – Land. Voller Euphorie und neuer Eindrücke hast Du in der ersten Woche das luftig leichte Gefühl, Dein Urlaub ginge noch ewig. Das Ende ist noch lange nicht in Sicht und Du schmiedest Plan um Plan. Doch dann bricht die zweite Woche an. Plötzlich rast die Zeit, prompt ist der Urlaub vorbei und Du findest Dich auf Deinem Schreibtischstuhl im Großraumbüro wieder. Die zweite Woche fühlte sich nur wie ein Bruchteil der ersten an. Gewiss kennst Du dieses „Urlaubs-Zeit-Phänomen“. Doch wie entsteht es?

Neues bleibt in Erinnerung – und Erinnerungen beeinflussen das Zeitempfinden

„Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme.“ (Charlie Chaplin)

Das „Urlaubs-Zeit-Phänomen“ lässt sich eins zu eins auf das gesamte Leben übertragen. Dieses „Lebens-Zeit-Phänomen“ hängt stark mit unserem Erinnerungsvermögen zusammen. Tendenziell bleiben nämlich jene Erlebnisse besonders in Erinnerung, welche neu sind. Schließlich fordern sie einerseits das Gehirn, lassen es aus der täglichen Routine ausbrechen und spornen es zu Höchstleistungen an. Andererseits wecken neue Erlebnisse in der Regel stärkere Emotionen in uns. Seien es die Schmetterlinge im Bauch bei einer neuen Liebe, die Aufregung beim Antreten eines neuen Jobs oder das Adrenalin, wenn Du das erste Mal im Geschwindigkeitsrausch eine Achterbahn hinunterrast.

Hand aufs Herz: Wie viele solcher neuer, aufregenden oder tief emotionalen Erlebnisse hattest Du in der laufenden Woche? Im letzten Monat? Oder im vergangenen Jahr? Im Erwachsenenalter werden diese in der Regel immer seltener. Du hängst im Alltagstrott fest, wohnst seit zehn Jahren in derselben Wohnung oder dem abbezahlten Eigenheim, genießt das Privileg eines unbefristeten Arbeitsvertrages und befindest Dich in einer stabilen Beziehung. Für Dich gibt es nichts Schöneres als sich am Abend auf das Sofa zu kuscheln und den stressigen Arbeitstag ruhig ausklingen zu lassen. Und am Wochenende will die Hausarbeit erledigt werden oder Du verbringst Quality Time mit Deinen Kindern auf dem Spielplatz.

Wann hast Du zuletzt etwas „Neues“ erlebt?

Apropos Kinder: Erinnern Du Dich, als Du noch freudestrahlend durch die Welt getanzt bist und an jeder Ecke etwas Neues erkundet hast? Als Kind ist natürlich noch vieles neu. Ständig erlebst Du „erste Male“: Eine neue Eis Sorte, ein aufregender Spielplatz, Bekanntschaften im Sandkasten, das Austesten von Spielsachen, der erste Urlaub, Schlittenfahren… Und auch im Jugendalter setzt sich dieses abwechslungsreiche Leben in der Regel noch fort: Eine neue Schule, die erste Liebe, der Schulabschluss und dann endlich die erste eigene Wohnung. Du lässt es im Studium mit Deinen neuen Freunden richtig krachen, schleppst Dich nervös zur gefürchteten Prüfung und absolvierst erste spannende Praktika.

Und dann folgt irgendwann der Berufseinstieg, das Leben beruhigt sich, sowohl privat als auch beruflich gelangst Du in ruhigere Fahrwasser. Genau jetzt nehmen viele Menschen erstmalig das subjektive Empfinden wahr: Irgendwie vergeht die Zeit viel schneller! Aber wieso? Die Antwort lautet also: Weil Du weniger Neues erlebst und daher weniger Erlebnisse und Emotionen abspeicherst, an welche Du Dich nach einer Woche, einem Monat oder einem Jahr zurückerinnerst. Es ist also gefühlt „nichts“ passiert. Die Zeit ist einfach so vorbeigerast und hat Dich mit nicht mehr als ein paar neuen Fältchen zurückgelassen. Mal ehrlich: Wann hast Du das letzte Mal diese kindlich überschwängliche Lebensfreude empfunden?

Der Code zu mehr Lebenszeit lautet: Mehr leben!

Wenn Du also Dein Leben entschleunigen möchtest, musst Du Dich wieder in Deine Kindheits- und Jugendtage zurückversetzen. Nein, Du sollst nicht in Erinnerungen versinken. Sondern werde aktiv und gehe wieder mit offenen und interessierten Augen durch die Welt. Erlebe Abenteuer, probiere Neues aus und nehme einmalige Chancen wahr. Werde wieder zum Entdecker, denn gewiss hast auch Du noch lange nicht alles gesehen oder gar „ausgelernt“. Beschreite beruflich wie privat neue Pfade.

„Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“
(Lucius Annaeus Seneca)

Wie wäre es zum Beispiel mit einem Abenteuer-Tagebuch? Dein neues Motto sollte lauten: Ab sofort erlebst Du jede Woche, jeden Monat oder auch alle zwei Monate mindestens eine neue Sache. Ob es der Bungeesprung ist, der Ausflug in das atemberaubend schöne Thermalbad oder ein neues Hobby: Die Wahl liegt ganz bei Dir. Du hast den Schlüssel zu (gefühlt) mehr Lebenszeit selbst in der Hand. Es wird für Dich wieder Zeit zu leben, für neue „erste Male“ – sowohl im Job als auch in Deinerer Freizeit.

Dankbarkeit: Zeit ist das höchste Gut eines jeden Menschen

Doch es gibt noch einen weiteren Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Zeit im Zuge des Älterwerdens gefühlt immer schneller vergeht. Dabei handelt es sich um reine Mathematik:

  • Als Zehnjähriger sind zehn Jahre 100 Prozent Ihres Lebens.
  • Als 20-Jähriger sind zehn Jahre 50 Prozent Ihres Lebens.
  • Als 100-Jähriger sind zehn Jahre zehn Prozent Ihres Lebens.

Das steigende Alter verschiebt also schlichtweg die Relation unserer Lebenszeit. Und dann ist ein Jahr eben im großen Ganzen plötzlich nicht mehr so viel wie damals in unserer Kindheit. Dir bleibt also eigentlich nichts Anderes übrig, als wieder ein Bewusstsein für Deine Lebenszeit zu kreieren, Deine Zeit „sinnvoll“ einzusetzen – sei es für eine große Karriere oder ein erfülltes Familienleben – und dankbar zu sein. Lebe wieder mehr in der Gegenwart und weniger in der Zukunft oder Vergangenheit. Und vor allem: Lebe wieder!

Empfindest auch Du die Zeit mittlerweile schneller als noch vor wenigen Jahren oder in Deiner Kindheit? Wann kommen Dir die Minuten und Stunden ewig vor – zum Beispiel in einem Meeting – und wann verfliegen sie stattdessen – im Urlaub? Bei einem Hobby? Oder einem Date? Welche persönlichen Tipps hast Du, um Dir das subjektive Zeitempfinden zunutze zu machen oder es eben gezielt zu verändern? Wir freuen uns über Deinen Beitrag zum Thema in den Kommentaren.

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