Super im Job, erfolgreich im Leben, aber „eigentlich kann ich ja nichts!“ Wer sich bei solchen Gedanken ertappt, leidet womöglich unter dem Impostor-Syndrom.

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Albert Einstein soll sich 1955, kurz bevor er verstarb, mit den Worten „involuntary swindler“ (unfreiwilliger Schwindler) beschrieben haben. Mit seiner Relativitätstheorie wurde das physikalische Genie der ganzen Welt bekannt. Er ist Nobelpreisträger. Keiner würde auf die Idee kommen, sein Können anzuzweifeln. Er selbst schon: Sofern die Worte stimmen, schreibt er seine Errungenschaften eher dem Zufall zu. Ein Fall, der nach dem sogenannten „Impostor-Syndrom“ schreit.

Definition: Impostor-Syndrom

Das Impostor-Syndrom, auch „Hochstapler-Syndrom“, beschreibt ein psychologisches Verhaltensmuster, welches vor allem erfolgreiche Menschen anwenden, um ihre eigenen Leistungen und ihr Können nicht auf sich selbst, sondern auf Glück und Zufall zurückzuführen. Sie unterschätzen sich systematisch. Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen und Psychologinnen Suzanne Imes sowie Pauline Clance stellten 1978 fest, dass Frauen mit akademischen Laufbahnen und guter Qualifizierung unter dem Gefühl litten, anderen nur etwas vorzumachen und nicht wirklich erfolgreich zu sein.

Der Begriff „Hochstapler“ sorgt oft für Missverständnisse: Das Phänomen meint nicht echte Hochstapler, sondern solche, die sich als Betrüger fühlen. Menschen, die unter dem Impostor-Syndrom leiden, leben in der ständigen Angst, plötzlich als Hochstapler aufzufliegen und dass andere sehen könnten, wie (vermeintlich) unfähig sie im Grunde sind, obwohl es nicht stimmt – weil sie davon überzeugt sind, sich Erfolge nur erschlichen zu haben.

Folgende typische Aussagen treffen Menschen mit Impostor-Syndrom häufig:

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„Die Stelle habe ich nicht verdient.“
„Ich bin in die Positionen einfach so hineingerutscht.“
„Was für ein Glück, dass die mich nehmen. Eigentlich bin ich ja nicht so gut geeignet.“

Ursachen: Was steckt hinter dem Verhalten?

Das Impostor-Syndrom ist im global anerkannten Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD) nicht als solche gelistet. Dennoch ist das Phänomen auch Psychologen bekannt und der Leidensdruck Betroffener kann groß sein. Es wird vermutet, dass die Ursachen, wie bei vielen anderen psychologischen Auffälligkeiten auch, auf die Kindheit zurückzuführen sind.

Versagensängste, Selbstzweifel und Selbstwertprobleme beginnen zumeist im zarten Alter, wenn wir wenig Anerkennung bekommen, gedemütigt werden, emotionale Verletzungen erfahren und keine Möglichkeiten haben, unsere Erfahrungen ausreichend zu kompensieren. Im Schulleben und später im Berufsleben zeigen sich die Spuren aus der Vergangenheit in Form von ausgeprägten Zweifeln an uns selbst.

Auch der umgekehrte Fall kann zum Hochstapler-Syndrom beitragen: Wer übermäßig viel Anerkennung bekommen hat und nie auf Fehler hingewiesen wurde, muss später in der realen Welt lernen, wie Scheitern sich anfühlt. Das kann dazu führen, sich als „Betrüger“ zu fühlen.

Wer ist vom Impostor-Syndrom betroffen?

Ob Ärzte, Bauarbeiter, Lehrer, Unternehmer oder Schauspieler: Das Impostor-Syndrom nimmt keine Personen aus. Auch und vor allem Menschen, die Großes im Leben erreicht haben, leiden an riesigen Selbstzweifeln. Es gibt in der Regel offensichtliche Beweise für ihr Können. Dennoch leben sie im Glauben, dass sie im falschen Film sind und ihren Erfolg im Grunde nicht verdient haben, weil sie – zumindest ihrer Überzeugung nach – nichts dazu beigetragen haben.

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In Extremfällen kann übermäßiger Erfolg deshalb manchmal nicht zu Glücksgefühlen, sondern Niedergeschlagenheit führen. Personen der Öffentlichkeit haben es besonders schwer: Leiden sie unter dem Hochstapler-Syndrom und dem Gefühl, jede Minute aufzufliegen, weil sie im Rampenlicht stehen, kann das Leben zur Qual werden.

Berufsalltag mit Impostor-Syndrom: Was sind die Folgen?

In erster Linie belastet das Minderwertigkeitsgefühl diejenigen, die mit dem Hochstapler-Syndrom zu tun haben. Auch die Sorge, sich beim Erwischen plötzlich nackig machen zu müssen und sich somit mit der vermeintlichen Unfähigkeit zu blamieren, kann auf die Psyche gehen. Vor allem folgende zwei Folgen des Impostor-Syndroms werden für Betroffene zur echten Herausforderung im Job: Prokrastination auf der einen und Perfektionismus auf der anderen Seite.

#1: Prokrastination

Menschen mit Impostor-Syndrom schieben Aufgaben gerne auf und neigen im Berufsalltag dazu, alles in letzter Minute zu erledigen. Die Angst vor dem Scheitern ist groß. Dennoch sind sie häufig erfolgreich: Prokrastination bedeutet nicht zwangsläufig, nichts zu können. Sondern manchmal auch, den eigenen Erfolg einfach nicht sehen oder anerkennen zu können. Es ist eine Form der Selbstsabotage, um die sich stapelnden Aufgaben herumzuschleichen, sie aber nicht anzurühren.

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#2: Perfektionismus

Wer ständig akribisch genau arbeitet, kein Detail außer Acht lässt und keine Kontrolle abgeben kann, ist wahrscheinlich Perfektionist als Resultat der inneren Versagensängste. Führt Spontanität zu Leidensdruck und wird alles vorgeplant, weil sonst etwas schieflaufen könnte, kann das ebenfalls eine Folge der „guten Vorbereitung“ zur Vorbeugung sein, um nicht als Hochstapler aufzufliegen.

Übrigens: Menschen mit Impostor-Syndrom neigen auch dazu, sich viel Arbeit aufzuhalsen und beruflich andere übertrumpfen zu wollen, um von ihrer vermeintlichen Unfähigkeit abzulenken. Die Überzeugung, nichts zu können, kann deshalb auch zu Burnout führen.

Was kann ich tun, wenn ich unter dem Hochstapler-Syndrom leide?

Betroffene müssen und sollten den Schuh des Betrügers nicht anziehen, wenn sie im Grunde keine sind. Dennoch ist es nicht leicht, das eigene Verhalten zu verändern und die Einsicht zu gewinnen, dass wir für unseren Erfolg gearbeitet haben und er uns nicht zufliegt. Folgende Tipps können helfen:

Tipp #1: Richte deinen Fokus auf das, was du alles erreicht hast

Erfolge, ob große oder kleine, haben wir uns oft hart erarbeitet. Es liegt nicht einfach nur an einer Glückssträhne. Die „gute“ Nachricht: Auch Menschen ohne Impostor-Syndrom haben manchmal Schwierigkeiten damit, sich das selbst einzugestehen, was darauf hindeutet, dass wir mit solchen Problemen nicht allein sind. Vor allem für Menschen mit Hochstapler-Syndrom ist es deshalb wichtig, sich Erfolge immer wieder vor Augen zu führen – anstatt sich die der anderen anzuschauen oder sich daran zu messen. Der Fokus auf eigene Erfolge hilft dabei, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken

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Tipp #2: Habe keine unrealistische Erwartungshaltung dir selbst gegenüber

Realistische Ziele und Erwartungen sollten wir alle haben. Dennoch tendieren wir dazu, uns eine überhöhte Erwartungshaltung anzutrainieren und dann enttäuscht zu sein, wenn wir scheitern. Das Resultat ist ein „Knick“ im Selbstwertgefühl: Je häufiger wir scheitern, desto eher glauben wir, unfähig zu sein. Erleben wir dann doch einen Erfolg, schreiben wir diese dem Zufall zu.

Deshalb: Erwarte nichts von dir, was über deine persönlichen Grenzen geht. An großen Zielen kannst du auch arbeiten, wenn du nur kleine Schritte machst.

Tipp #3: Sprich mit anderen, um Gedankenkreisen vorzubeugen

Bleiben wir mit unseren Selbstzweifeln und Versagensängsten allein, kann das unsere Überzeugung, nichts geleistet zu haben, verstärken. Umso wichtiger ist es, sich anderen anzuvertrauen und über die eigenen Zweifel, Sorgen und Gedanken zu sprechen. Häufig lösen sich auch rastlos erscheinende Gedankenschleifen auf, wenn wir im Gespräch mit anderen einen Aha-Moment erleben. Denn ein anderer Blickwinkel kann erfrischend sein und uns Perspektiven aufzeigen, die wir leicht übersehen, wenn wir nur mit unseren Selbstzweifeln beschäftigt sind.

Tipp #4: Höre auf, dich abzuwerten

Bescheidenheit ist kein Problem – wenn sie zu groß wird oder in Abwertung endet, aber schon. Höre deshalb auf, dich und deine Erfolge permanent kleinzureden. Ob im Job oder privat: Wir sollten niemals zu hart mit uns ins Gericht gehen.

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Bildnachweis: AOosthuizen/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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