Noch vor wenigen Jahren galt der Schreibtischjob als Verheißung. Flexibel, sicher, intellektuell stimulierend – so zumindest das Idealbild der Wissensarbeit. Heute bröckelt diese Fassade. Daten aus dem dritten Quartal 2025 zeichnen ein anderes Bild: Weniger Jobangebote, weniger Homeoffice, weniger Perspektive. Die Wissensarbeit verliert an Strahlkraft.
Die jüngste Analyse der Arbeitsmarktökonomin Dr. Virginia Sondergeld von Indeed macht deutlich, wie stark die Verschiebung ist: Marketing, Personalwesen, Projektmanagement und Softwareentwicklung – Bereiche, die traditionell mit Wissensarbeit verbunden sind – verzeichnen deutlich rückläufige Stellenangebote. Gleichzeitig zieht es den Arbeitsmarkt in Richtung präsenzgebundener Berufe.
Stellenrückgang trifft Wissensarbeit – Präsenzberufe legen weiter zu
Der deutsche Stellenmarkt zeigt sich auf den ersten Blick stabil. Im Vergleich zum Vorquartal sank die Zahl der Ausschreibungen lediglich um 0,8 Prozent. Doch dieser Durchschnitt verschleiert sektorale Unterschiede. Besonders stark betroffen sind:
- Marketing: -7,7 %
- Buchhaltung: -6,0 %
- Projektmanagement: -4,6 %
- Softwareentwicklung: -4,4 %
Im Gegensatz dazu legten Berufsgruppen zu, die auf physische Präsenz setzen:
- Transportwesen: +5,8 %
- Medizintechnik: +5,0 %
- Baugewerbe: +2,6 %
- Vertrieb: +3,9 %
Die Beobachtung ist nicht neu. Bereits seit dem Frühjahr 2022 ist diese Divergenz zu erkennen. Doch sie verstärkt sich – auch durch eine zweite Entwicklung: Der Rückgang der Flexibilität in der Arbeitsgestaltung.
Folgt die Abkehr vom Homeoffice?
Der Anteil von Stellenanzeigen mit Remote- oder Hybrid-Option fiel im dritten Quartal 2025 um 4,8 Prozentpunkte auf nur noch 13,9 Prozent. Das ist kein zufälliger Ausreißer. Selbst in klassischen Büroberufen werden Homeoffice-Möglichkeiten zunehmend eingeschränkt:
- Personalwesen: -16,3 %
- Marketing: -8,6 %
- Verwaltung: -6,0 %
Was während der Pandemie zum neuen Standard und Vorteil für viele Beschäftigte wurde, scheint nun wieder zur Ausnahme zu werden. Arbeitgeber nutzen offenbar ihre wiedererstarkte Verhandlungsmacht, um Mitarbeitende zurück ins Büro zu holen.
Ursachen: Konjunktur und Kontrolle
Die naheliegende Erklärung wäre technologische Disruption, insbesondere durch KI. Doch Dr. Sondergeld widerspricht: Der Rückgang setzte lange vor dem Durchbruch generativer KI ein. Vielmehr sei die konjunkturelle Lage entscheidend. Unternehmen reagieren vorsichtig, investieren defensiv, stellen seltener neu ein. Und wenn doch, dann bevorzugt in Bereichen, in denen unmittelbare physische Präsenz gefragt ist.
Zudem lässt sich ein kultureller Wandel beobachten. Nach Jahren, in denen Arbeitnehmern die Bedingungen mehr oder weniger für Arbeitgeber diktierten, kippt das Machtgefüge zurück in Richtung Arbeitgeber. Und diese setzen wieder stärker auf Kontrolle durch Anwesenheit.
Was der Stellenwandel für Beschäftigte bedeutet
- Geringere Wechselmöglichkeiten, vor allem in der mittleren Karrierestufe.
- Einschränkungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
- Unsicherheit über die Zukunft bisher etablierter Berufsmodelle.
Für Berufseinsteiger verschärft sich die Lage auch noch zusätzlich. Viele klassische Einstiegsstellen fallen weg oder werden gar nicht erst ausgeschrieben. Die Schwelle zum Berufsleben wird höher.
Was Beschäftigte und Arbeitgeber jetzt tun können
Die Reaktion auf den Strukturwandel am Arbeitsmarkt verlangt differenzierte Strategien – sowohl von Beschäftigten als auch von Arbeitgebern. Für viele Arbeitnehmer bedeutet das, sich technologisch neu zu orientieren. Wer sich in datenbasierten oder KI-nahen Bereichen weiterbildet, erhöht seine Chancen auf Anschlussfähigkeit. Ebenso entscheidend ist die Pflege beruflicher Netzwerke: Nicht selten eröffnen sich neue Wege über persönliche Kontakte, nicht über öffentliche Ausschreibungen. Und schließlich: Wer sich bewusst in Richtung wachstumsstarker Branchen bewegt, etwa in die Medizintechnik oder Logistik, kann die aktuelle Entwicklung auch als Chance begreifen.
Arbeitgeber wiederum stehen vor der Aufgabe, Vertrauen zu erhalten oder zurückzugewinnen. Wer jetzt mit starrem Präsenzdenken reagiert, läuft Gefahr, genau jene Talente zu verlieren, die in den kommenden Jahren dringend gebraucht werden. Flexible Arbeitsmodelle sind kein Entgegenkommen mehr, sondern ein strategischer Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte. Ebenso sollten Unternehmen stärker auf interne Entwicklung setzen. Statt Positionen extern neu zu besetzen, lohnt sich der Blick auf das eigene Potenzial: Fachkräftebindung beginnt mit Perspektiven.
Was aber bleibt, ist ein gespaltener Arbeitsmarkt: Robust im Bau, fragil im Büro.