Wird die Menschheit immer klüger? Mit dieser Frage beschäftigt sich der neuseeländische Politologe James R. Flynn seit vielen Jahrzehnten. Seinen Messungen zufolge steigt der durchschnittliche IQ-Wert der Bevölkerung in Industrieländern nämlich von Generation zu Generation stetig. Wir sehen einmal genauer hin und prüfen, was es mit diesem „Flynn-Effekt“ wirklich auf sich hat.

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Der „Flynn-Effekt“: Gleicher IQ-Test, jüngere Generation, bessere Ergebnisse

Von wegen „Altersweisheit“? Der Flynn-Effekt beschreibt die Beobachtung des namensgebenden James R. Flynn, dass die jüngeren Generationen scheinbar immer klüger werden. Zumindest schneiden diese im Gegensatz zu ihren Eltern- und Großelterngenerationen in den gleichen IQ-Tests durchschnittlich besser ab. So liegt der heutige Durchschnitt des Intelligenzquotienten gemäß Definition bei 100 Punkten. Im Vergleich hierzu läge er vor 100 Jahren bei etwa 50 bis 70 Punkten.

James R. Flynn errechnete im Zuge seiner Untersuchungen einen Anstieg von etwa drei Punkten pro Jahrzehnt. Aber waren die Menschen vor 50 oder 100 Jahren wirklich so viel „dümmer“ als die heutigen Generationen? Zahlreiche Experten wagen dies zu bezweifeln und nennen stattdessen andere Erklärungen für den Flynn-Effekt – wie im Video bereits angedeutet.

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Mögliche Erklärung #1: Veränderte Weltsicht

Auch der Entdecker des Phänomens selbst geht nicht davon aus, dass die Menschheit alles in allem wirklich „intelligenter“ wird. Er liefert stattdessen eine andere mögliche Erklärung für den Flynn-Effekt: Unsere Urgroßeltern- und Großelterngenerationen hatten eine eher praktikable Weltsicht, während jüngere Generationen die moderne Welt auf intellektueller Ebene zu erfassen versuchen.

„Generationen reden verschieden und handeln gleich.“
(Carl Ludwig von Haller)

Dies resultiert unter anderem daraus, dass die Welt immer komplexer wird, zum Beispiel aufgrund der neuen Medien oder der Globalisierung. Im Video wird hierfür ein einfaches Beispiel genannt: Auf die Frage „Beschreiben Sie die Beziehung zwischen einem Hund und einem Hasen“ würden

  1. frühere Generationen vermutlich antworten, dass der Hund den Hasen jagt.
  2. heutige Generationen hingegen antworten, dass beide Säugetiere sind.

Heutzutage werden also komplexe Zusammenhänge hinterfragt. Die jungen Generationen wachsen mit der Gewohnheit auf, ihre Umwelt auf einer intellektuellen sowie abstrakten Ebene verstehen zu wollen. Ihre Großeltern und Urgroßeltern nahmen Dinge hingegen einfach als gegeben hin und dachten nicht weiter darüber nach. Wieso auch? In Zeiten des ersten oder zweiten Weltkriegs hatten sie ja schließlich andere, dringendere Sorgen. Dümmer waren sie deshalb keinesfalls!

Mögliche Erklärung #2: Mangelnde Aussagekraft der IQ-Tests

Stattdessen vermuten Experten, dass die „neue“ Art zu denken einfach genauer den in IQ-Tests abgefragten Fähigkeiten entspricht und deshalb bessere Ergebnisse erzielt. Die Erklärung, weshalb jüngere Generationen scheinbar immer intelligenter werden, könnte also in der Messmethode selbst begründet liegen. Wie der Intelligenztest sowie der zugehörige Intelligenzquotient entstanden sind, wird Dir in folgendem Video kurz erläutert.

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Die Aufgabenstellungen für den Intelligenztest wurden also willkürlich ausgewählt und sollen lediglich dem Vergleich mit einer gleichaltrigen Gruppierung von Personen dienen. Dein IQ sagt also aus, ob Du gleich intelligent (=100 Punkte), „dümmer“ (100 Punkte) bist als der gleichaltrige Bevölkerungsdurchschnitt. Was genau allerdings mit diesem Intelligenztest gemessen wird, also zum Beispiel die fluide oder die kristalline Intelligenz, das deduktive oder das induktive Denken usw., ist bis heute nicht eindeutig definiert.

Lese-Tipp:Kristalline Intelligenz: Altersweisheit ist trainierbar!

Was diese steigenden IQ-Werte von Generation zu Generation auszusagen haben, ist ebenso unklar. Vermutlich – wie bereits in der ersten möglichen Erklärung erwähnt – schlichtweg, dass sich unsere Art zu denken wandelt, nicht aber die Intelligenz an sich. Überhaupt tut sich die Wissenschaft schwer mit einer eindeutigen Definition der „Intelligenz“:

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Mögliche Erklärung #3: Wissensgesellschaft

Eine weitere mögliche Erklärung für den Flynn-Effekt liegt in der Entwicklung einer modernen, nachindustriellen Wissensgesellschaft. Seit Ende des Kalten Krieges können Soziologen ein vermehrtes Streben nach Informationen wahrnehmen. Angetrieben durch schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, die auch mit einer zu geringen Bildung zusammenhingen, sowie den technologischen Fortschritt, hat die moderne Gesellschaft einen großen Wissenshunger entwickelt. Intelligenz gewinnt deshalb immer mehr an Bedeutung, sowohl im Berufs- als auch im Privatleben. Wer sozial aufsteigen und Karriere machen möchte, muss heutzutage „intelligent“ sein. Damit ist allerdings nicht unbedingt der Intelligenzquotient gemeint.

Mit zunehmender Bedeutung der Intelligenz in all ihren Ausprägungsformen gehen zugleich eine bessere Bildung und Förderung einher – bereits in jungen Jahren. Dadurch haben schon die Kinder optimalere Startvoraussetzungen als ihre Eltern oder Großeltern damals in demselben Alter. Hinzu kommen Veränderungen im Gehirn.

Mögliche Erklärung #4: Physische Veränderungen im Gehirn

So konnten Forscher herausfinden, dass sowohl die neuen Medien als auch der bessere Gesundheitszustand der jungen Generationen Veränderungen im Gehirn nach sich ziehen. Die Massenmedien lassen andere Gehirnareale wachsen, die vor einigen Jahrzehnten oder einem Jahrhundert noch völlig „unwichtig“ und daher eher verkümmert waren. Gleichzeitig „schrumpfen“ Bereiche, welche heutzutage nur noch wenig beansprucht werden. Kaum jemand arbeitet schließlich noch hart körperlich auf einem Weizenfeld.

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„Glaubt nicht, wir Alten würden schon alles wissen!
Von den Jungen lässt sich sehr viel lernen.“
(Dieter Gropp)

Die bessere physische Konstitution durch die aus gewogenere Ernährung und verbesserte Gesundheitsversorgung wirkt sich zudem direkt auf das Gehirn aus, indem sie den Abbau der synaptischen Plastizität verzögert. Was hinter diesem Begriff steckt, erfährst Du in unserem Artikel zur fluiden Intelligenz. Die Menschen bleiben heutzutage also nicht nur körperlich, sondern auch geistig bis ins hohe Alter deutlich fitter als noch vor 50 oder 100 Jahren.

Fazit: Die Gesellschaft wird nicht unbedingt klüger, nur „anders“

Der wahre Grund, weshalb der durchschnittliche IQ der heutigen Generationen deutlich höher liegt als jener vor 100 Jahren, steckt vermutlich irgendwo in der Mitte. Jede der genannten Entwicklungen bringt Veränderungen für die moderne Gesellschaft mit, welche sich auch auf den Intelligenzquotienten auswirken. Allerdings bedeutet das nicht unbedingt, dass junge Generationen „klüger“ sind als ältere – zumal es bislang immer noch keine einheitliche Definition für Intelligenz gibt.

Die Menschen scheinen stattdessen eine neue Denkweise zu adaptieren, welche schlichtweg „besser“ zum Intelligenztest passt. Aktuelle Studien ergeben zudem, dass der Flynn-Effekt derzeit stagnierend, eventuell sogar rückläufig ist. Abschließende Untersuchungsergebnisse gilt es diesbezüglich noch abzuwarten. Wer weiß – vielleicht ist dies bereits das Ende des Flynn-Effekts. Und auch dann steht wieder die Frage im Raum: Wieso?

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Was denkst Du? Sind jüngere Generationen wirklich „klüger“ als jene vor 50 oder 100 Jahren? Und wenn ja, woran könnte das liegen? Oder weshalb lehnst Du diese These ab? Welche möglichen Gründe fallen Dir dafür ein, dass der Flynn-Effekt derzeit zu enden scheint? Wir freuen uns über weitere spannende Denkansätze zum Thema und Deine ganz persönliche Meinung in den Kommentaren!

Bildnachweis: MillaF/Shutterstock.com

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Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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