Nicht 5, nicht 15 und auch nicht 30 Jahre: Ein über 100-jähriger Brasilianer arbeitet seit 85 Jahren für das gleiche Textilunternehmen. Heute steht er dafür im Guinness-Buch der Rekorde.

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Walter Orthmann ist seit 2022 offizieller Weltrekordhalter. Mittlerweile arbeitet der über 100-Jährige aus Brasilien knapp 85 Jahre für das gleiche Unternehmen und hat dafür einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde bekommen. Eine Vorstellung, die für viele Arbeitnehmer von heute kaum realistisch ist. Denn der Trend geht immer mehr in Richtung Jobhopping.

Im Januar 1938 soll die Karriere des damaligen Speditionsassistenten in einem Textilunternehmen begonnen haben, wie das Unternehmen Guinness World Records Limited mitteilt. Damals wurde von Kindern erwartet, so Orthmann selbst, dass der Nachwuchs früh beruflich tätig wird, um die Familie finanziell unterstützen zu können. Der Brasilianer soll erst 14 Jahre alt gewesen sein, als seine Mutter mit ihm auf Jobsuche ging. Der in Santa Catarina Geborene war als Schüler besonders fleißig, heißt es weiter. Trotz seiner guten Leistungen begann er jedoch früh, einem Job im heutigen Unternehmen Renauxview nachzugehen, anstatt weiter die Schule zu besuchen.

85 Jahre Arbeit: Das hält den über 100-Jährigen so vital

In Anbetracht seines Alters könnte man meinen, dass es Zeit wird, den Fuß vom Pedal zu nehmen und in den Ruhestand zu gehen. Doch der Brasilianer, heute Führungskraft, soll bei guter Gesundheit sein. Dehnübungen sowie Bewegung für den Körper und eine salz- und zuckerarme Ernährung – das alles gehöre zu seinem Alltag, so Orthmann. Noch heute soll er verhältnismäßig fit sein, um Tag für Tag seinen Arbeitsplatz aufzusuchen. Das können nicht viele von sich behaupten – denn üblich ist eher, sich auf den Ruhestand vorzubereiten, sobald wir die Grenze von 60 Jahren überschreiten.

Die Arbeit sei sein Lieblingsort, heißt es weiter. Seine persönliche Einstellung: im Hier und Jetzt leben. Man müsse sich mit der Gegenwart beschäftigten. Alles andere, so der vitale Brasilianer, kümmere ihn nicht sonderlich. Eine Weisheit, aus der viele lernen können – denn nicht alles ist planbar und eine realistische Erwartungshaltung kann dabei helfen, genügsamer zu sein. Morgen sei ein weiterer Tag, an dem er wach werde, sich bewege und schließlich das Unternehmen aufsuche.

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Jobzufriedenheit: Orthmann geht mit der Zeit und passt sich neuen Trends an

Eine weitere Besonderheit: Der Brasilianer zählt zur Generation der „Traditionalisten“ – Menschen, die den Jahrgängen 1922 bis 1945 angehören. Er hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt und wurde geboren, als noch die Spuren des Ersten Weltkrieges nachwirkten. Das bedeutet, dass Orthmann nicht nur wichtige bewegende Momente in seinem Leben hatte, sondern auch bedeutende Entwicklungen in der Arbeitswelt mitbekommen hat.

Seine Einstellung als Traditionalist ist überraschend frisch: Man müsse sich motiviert fühlen, um für ein Unternehmen arbeiten zu können – eine Haltung, die den Millennials und der Generation Z nachgesagt wird. Denn die meisten jungen Menschen suchen heute einen Arbeitgeber, der mehr bietet, als nur Geld. Wichtig ist beispielsweise eine gute Work-Life-Balance. Man könne nicht einfach einen beliebigen Job machen, sagt der über 100-Jährige, nur um nachweisen zu können, dass man arbeite. Denn das könne man langfristig nicht durchhalten. Mit seiner Einstellung widerspricht er der Arbeitsmoral vieler Arbeitnehmer, die zum Beispiel der Babyboomer-Generation angehören (50er und 60er Jahre). Ihnen wird nachgesagt, dass sie gelebt hätten, um zu arbeiten – und nicht arbeiteten, um zu leben.

Was Arbeitgeber lernen können, um Talente anzuziehen

Eine zeitgemäße Arbeitsmoral sollte nicht zu kurz kommen, um Beschäftigte langfristig zu begeistert. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und Personaldefizits können Unternehmen eine Lehre aus der Haltung des älteren Brasilianers ziehen: Wenn wir etwas machen, was uns Freude bereitet, sagt Orthmann, merken wir nicht, wie die Zeit verfliegt. Zudem ist es für junge Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich, den Arbeitsplatz von Zeit zu Zeit zu wechseln. Deshalb können Unternehmen vor allem Folgendes berücksichtigen, um attraktiv für neue Talente zu sein:

Tipp #1: Mitarbeitermotivation ist heute das A und O

Ob Anerkennung in Form von Boni, Feedback oder Aufstiegschancen, immer mehr Arbeitnehmer wünschen sich Anreize, um für ein Unternehmen zu arbeiten. Mitarbeitermotivation ist deshalb ein Punkt, an dem Arbeitgeber von heute arbeiten müssen, um für potenzielle Arbeitnehmer attraktiv zu sein. Auch Orthmann ist aufgestiegen: Er begann als Assistenz, ging in den Vertrieb und nahm später eine Führungsposition ein.

Um Mitarbeiter zu motivieren, bedarf es einiger bedeutender Veränderungen in der Kultur und in den Werten eines Unternehmens. Dazu gehören allen voran eine positive Pausenkultur, moderne Führungsstrukturen, ein wertschätzendes Miteinander auf allen Ebenen und eine offene, authentische und klare Kommunikation. Denn auch Transparenz gegenüber der Belegschaft wird wichtiger, damit eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann.

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Tipp #2: Arbeitnehmer sehnen sich nach Sinnhaftigkeit

Eine Tätigkeit ausführen, ohne zu wissen, warum? Für junge Arbeitnehmer oft ein Problem. Denn diese möchten wissen, was sie warum und für wen tun. Arbeit und Sinnhaftigkeit gehen Hand in Hand – das ist ein wichtiger Wert für Beschäftigte von heute. Wie eine Randstad-Studie zeigt, suchen insgesamt 74 Prozent der Befragten einen Sinn in ihrem Beruf. Daraus lässt sich schließen, dass potenzielle Arbeitnehmer eher für ein Unternehmen tätig werden, wenn sie sich mit der Arbeitgebermarke identifizieren können.

Tipp #3: Spaß und Freude sollten nicht zu kurz kommen

Neben Sinn und Motivation sollten Unternehmen dafür sorgen, dass die Tätigkeit Freude bringt. Für Beschäftigte sollte es deshalb möglich sein, dass sie Verantwortung übernehmen dürfen und ihre persönlichen Stärken einbringen. Auch die Stärkung des „Wir-Gefühls“ im Team und entsprechende Maßnahmen, die helfen, können den Spaßfaktor erhöhen, sind nicht zu unterschätzen. Arbeitnehmer spüren auf diese Weise, dass sie Teil des großen Ganzen sind. Hilfreich ist es auch, kleine und große Erfolge gebührend zu feiern, um für eine positive Stimmung im Job zu sorgen und so die Arbeitszufriedenheit der Belegschaft zu erhöhen.

Zudem ist es wichtig, dass negativer Stress durch positiven ersetzt wird – denn auch das kann den Spaß an der Arbeit erhöhen. Anstatt Fehler zu tadeln, sollte konstruktives Feedback erfolgen, welches stärkend ist und motiviert, aus Misserfolgen zu lernen. Alles andere sorgt eher dafür, dass der Leistungsdruck steigt und das löst oft negativen Stress, Ängste und Frust aus.

Tipp #4: Mentale und körperliche Gesundheit sind wichtig, um arbeitsfähig zu bleiben

Dass es wichtig ist, körperlich und mental fit zu sein, um lange im Arbeitsleben zu bleiben, ist keine Neuigkeit. Und doch beschweren sich viele Arbeitnehmer über prekäre Arbeitsverhältnisse und toxische Vorgesetzte, die dazu beitragen, dass die Gesundheit von Beschäftigten leidet. Deshalb sind Stressmanagement, Gesundheitsangebote sowie Work-Life-Balance wichtige Begriffe, die in die Tat umgesetzt werden wollen.

Zudem sollten Vorgesetzte realistisch einschätzen können, wie viel Arbeit genug ist für ihr Team – und wann die Erwartungshaltung in unrealistische Höhen steigt. Überstunden und Mehrarbeit sind heute zwar keine Seltenheit, aber auch eine Forderung an Arbeitnehmer, die für Arbeitsüberlastung sorgt.

Führungskräfte sind gefragt. Sie gehören zu den Entscheidungsträgern, die etwas beeinflussen und dafür sorgen können, dass Mitarbeiter mit Freude zur Arbeit kommen. Um es noch einmal mit den Worten von Orthmann zu sagen: Man muss seine Arbeit mögen – denn es gelinge nicht, einfach irgendeinen Job zu machen.

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Bildnachweis: Flavio Tin/EPA-EFE/Shutterstock

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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