Die Laufschuhe stehen im Flur. Der Lebenslauf liegt halb fertig auf dem Desktop. Die Sehnsucht nach Meer in deinem Kopf. Aber du hast ja keine Zeit. Eine einfache Erklärung – und eine bequeme Ausrede. Das bestätigt auch die renommierte Wissenschaftlerin Dorie Clark. In ihrem TEDxTalk „The Real Reason We’re All So Busy (and What to Do About It)“ beschreibt sie, warum wir permanent das Gefühl haben, keine Zeit zu haben – und was wirklich dahinter steckt.

Anzeige

Warum sagen wir dauernd, dass wir nie Zeit haben?

Weil es bequem ist. Der Satz „Ich habe keine Zeit“ zieht immer. Er klingt sachlich, wirkt vernünftig und schützt uns vor Rechtfertigungen. Wer viel zu tun hat, muss nichts erklären. Busy sein ist zum gesellschaftlich akzeptierten Selbstschutz geworden. Denn wer ständig beschäftigt ist, wirkt wichtig. Und wer wichtig erscheint, muss sich nicht fragen, ob das, was er tut, überhaupt sinnvoll ist.

Interessant dabei: In vielen europäischen Ländern, vor allem im Norden, hat freie Zeit einen anderen Stellenwert. Sie steht nicht im Widerspruch zu Leistung, sondern gehört selbstverständlich dazu. Wer sich Zeit nimmt, setzt Prioritäten. Der ständige Zeitmangel, der bei uns oft als Normalität gilt, ist keine globale Erscheinung, sondern ein kulturelles Konzept – und längst nicht das beste.

Was bedeutet „Ich hab keine Zeit“ wirklich?

  • „Ich habe keine Lust.“
  • „Ich traue mich nicht.“
  • „Es ist mir nicht wichtig genug.“

Der Satz „Ich hab keine Zeit“ ist ein Tarnmantel. Für Angst, Faulheit, Bequemlichkeit. Und genau deshalb ist er so gefährlich. Denn er verhindert Veränderung.

Anzeige

Was hinter unserem ständigen Zeitmangel steckt

Clark identifiziert mehrere Gründe für unser Dauerbeschäftigtsein: Da ist zum einen die Sucht nach Wichtigkeit. Dauerbeschäftigung ist zum Ego-Booster geworden. Zum anderen die Angst vor dem Unbekannten. Lieber E-Mails abarbeiten als sich existenziellen Fragen stellen wie: Will ich diesen Job überhaupt noch? Und schließlich die emotionale Verdrängung. Wer pausenlos busy ist, muss sich nicht mit Gefühlen wie Leere, Angst oder Frust auseinandersetzen.

Ein besonders persönliches Beispiel bringt Clark selbst: Nach dem Tod ihres geliebten Hundes Gideon stürzte sie sich für zwei Jahre komplett in ihre Arbeit. Kaum zuhause, kaum Pausen. Nur Flughäfen, Meetings, Termine. Nicht, weil sie so „gefragt“ war, sondern weil sie schlicht nicht aushalten wollte, dass ihr bester Freund nicht mehr da war. Arbeit als Betäubung. „Work is better than crack„, sagt sie halb ironisch, halb ernst. Und bringt damit auf den Punkt, was viele Menschen im Hamsterrad unbewusst spüren: Lieber überfordert als emotional konfrontiert.

Wie zeigt sich das im Berufsalltag?

Im Alltag sehen wir dieses Muster überall. Da ist der Kollege, der seit Monaten von einer Fortbildung spricht, aber nie den passenden Termin findet. Oder die Teamleiterin, die dringend die Prozesse überarbeiten möchte, aber stets „Wichtigeres“ zu tun hat. Oder der IT-Mitarbeiter, der sich nach kreativen Projekten sehnt, aber seine Woche mit Tickets und Meetings zuballert. Sie alle wollen angeblich etwas verändern, aber die Zeit fehlt. Wirklich?

Anzeige

Was passiert, wenn wir immer sagen, wir hätten nie Zeit?

Wir blockieren uns selbst. Denn wer nie Zeit hat, überlässt sein Leben dem Zufall. Er reagiert, statt zu agieren. Chancen ziehen vorbei, Ideen verstauben – und statt in unsere ach so herbeigesehnten Vorhaben einzutauchen, bleiben wir an der Oberfläche. Der vermeintliche Dauerstress wird zur Normalität. Und irgendwann fragen wir uns: Wo ist eigentlich all die Zeit geblieben?

Beschreiben könnte man das Dilemma so: In unserer Vorstellung verbinden wir Busy-Sein mit Erfolg und Triumph. Die Realität sieht jedoch oft anders aus – geprägt von Einsamkeit und dem Gefühl, das eigene Leben nicht vollständig unter Kontrolle zu haben.

Was kannst du konkret tun?

Hör auf, dich über zu wenig Zeit zu beklagen. Zeit ist keine Ressource, die man irgendwo findet. Sie ist etwas, das man sich nimmt. Sei ehrlich – vor allem zu dir selbst. Wenn dich etwas nicht interessiert, steh dazu. Wenn du Angst hast, benenne sie. Nur dann kannst du etwas ändern. Und vor allem: Triff Entscheidungen. Klar. Mutig. Und bewusst. Dein Kalender zeigt nicht nur, wie viel du zu tun hast, sondern vor allem, was dir wichtig ist. Clark nennt das „Raum zum Denken“. Ultimative Freiheit sei es, selbst zu wählen, womit und mit wem man seine Zeit verbringt.

Anzeige

Wer nie Zeit hat, braucht mehr Mut, nicht mehr Minuten

„Ich hab keine Zeit“ ist ein schleichender Selbstbetrug, der uns klein hält. Die Wahrheit ist: Wir haben Angst. Vor Veränderung. Vor Unsicherheit. Vor uns selbst. Und genau deshalb halten wir uns beschäftigt. Wenn du etwas ändern willst, fang nicht bei der Uhr an. Fang bei deinen Entscheidungen an. Denn Zeit fehlt uns nicht. Wir vermeiden nur, sie für das Richtige zu nutzen.

Anzeige

Anzeige