9:00 Uhr, letzter Arbeitstag der Woche. Der Kalender ist voll. Slack summt. In der Kaffeeküche murmelt jemand etwas von einer „krassen Woche“. Die Kollegin wirkt gehetzt, der Chef hat angeblich keine Zeit für Smalltalk. Alle wirken, als sei der Tag gerade so zu stemmen. Beim Team-Review am Nachmittag stellt sich dann heraus: Kein einziges Projekt hat nennenswerten Fortschritt gemacht.

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Willkommen in der Ära der Fauxductivity – einem Begriff, der sich klug und ironisch zugleich aus dem französischen faux („falsch“) und productivity („Produktivität“) zusammensetzt. Was dabei herauskommt, ist eine Arbeitsrealität, in der Geschäftigkeit wichtiger geworden ist als harte Ergebnisse. Und: Wo man sich mit To-do-Listen und Notifications so lange im Kreis dreht, bis man glaubt, zehn Kilometer gerannt zu sein – obwohl man die ganze Zeit im eigenen Postfach festgesteckt hat.

Warum wir so tun, als würden wir arbeiten

Fauxductivity ist keine Schwäche einzelner Mitarbeiter oder gar Faulheit. Es ist Ausdruck eines Systems, das Aktivität belohnt und Wirkung zumindest teilweise ignoriert. Die Frage, die über allem steht, lautet längst nicht mehr: Was bringt es? Sondern: Wie sieht es aus, während ich es tue?

Studien zeigen: Viele Beschäftigte arbeiten mehr denn je – zumindest subjektiv. Gleichzeitig wächst das Gefühl, dass kaum etwas vorangeht – das berühmte Stelle treten. Und vielleicht stimmt genau das.

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Wenn niemand weiß, welcher Schritt als nächstes zählt, zählt plötzlich alles – auch das, was nichts bringt. In Organisationen, in denen Sichtbarkeit mit Leistung verwechselt wird, ersetzt so Präsenz Wirkung. Wer ständig zeigen muss, dass er arbeitet, hat kaum Zeit, wirklich zu arbeiten. Sich dann lieber mit Kalenderpflege zu beschäftigen, fühlt sich sicherer an, als einen mutigen Vorschlag zu machen – denn auf den könnte man später festgenagelt werden. Umsetzung, du weißt schon.

Gleichzeitig fluten uns Tools, E-Mails, allerlei Kanäle. Die Deadline war gestern. WhatsApp will auch noch Aufmerksamkeit. Konzentration? Gibt’s nur noch im Coworking-Space mit Noise-Cancelling-Kopfhörern oder im Home-Office.

Die Tarnkappe der Geschäftigkeit

Dabei tarnt sich Fauxductivity sich gut. Sie sieht aus wie Leistung – und wird oberflächlich auch so wahrgenommen. Wer viel spricht, viel Präsenz zeigt, viele Meetings auf der Agenda abhakt, gilt schnell als High Performer. Der Trick dabei: Es geht nicht um Wirksamkeit, sondern um deren Darstellung. Sichtbarkeit wird so zur neuen Erfolgswährung im Job. Beispiele:

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  • Da ist die Führungskraft, die täglich fünf Statusmeldungen anfordert, aber selbst nie ins Handeln kommt.
  • Die Kollegin, die stundenlang Farbverläufe in PowerPoint justiert, statt Feedback von Kollegen einzuholen oder es einfach simple zu halten.
  • Und das Marketing-Team, das mehr Zeit mit dem Vergleich von Trello und Asana verbringt, als mit dem Website-Launch, für den es eigentlich zuständig ist.

Diese Szenarien sind bei weitem keine Ausnahmen. Sie sind das logische Ergebnis einer Arbeitswelt, in der Lautstärke, Sichtbarkeit und Aktionismus oft über Inhalt siegt. Wer leise abliefert, wird übersehen.

Wenn Arbeit zur Show wird

Fauxductivity ist nicht einfach ineffizient – sie ist destruktiv. In einem Unternehmenskonstruckt, das Show-Arbeit auch noch belohnt, wird echte Leistung zur Nebensache. Vertrauen im Team bröckelt, wenn Blender brillieren. Kreative Ideen verkümmern, weil zwischen Stand-ups und Check-ins niemand mehr Zeit für echten Fokus findet. Leistung wird zur Frage der Inszenierung, nicht des konkreten Beitrags. Und wer wirklich etwas bewirken will, fragt sich irgendwann, ob er einfach zu unsichtbar arbeitet – und damit zu leise für die ohnehin schon brüchige Karriereleiter.

Wie kommen wir da raus?

Die Antwort liegt nicht in noch mehr Präsenzarbeit, Tools, Prozessen, sondern in einer anderen Haltung. Echte Produktivität braucht weniger Aktionismus und mehr Klarheit, vielleicht auch mehr Einfachheit. Wer auf Ergebnisse statt auf Aufwand schaut, verändert automatisch die Prioritäten. Und: Führung muss ermöglichen, nicht überwachen.

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Wichtig ist hierbei auch die Sprache im Miteinander. Solange „Ich war komplett durchgetaktet und fokused“ als Statussymbol gilt, bleibt Fauxductivity Teil des Systems. Ein Satz wie „Ich habe mich heute intensiv um Projekt XYZ gekümmert und kann es morgen abschließen“ wirkt weniger heroisch, schon weil er ohne Buzzwords auskommt – aber er zeigt, dass etwas fertig geworden ist. Und das ist, am Ende, das, was zählt.

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