Die Nachfrage nach Fachkräften im Bereich Künstliche Intelligenz wächst – doch Deutschland tut sich schwer, die benötigten Talente zu gewinnen. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die Zahl der Stellenanzeigen für KI-Entwickler zwischen 2019 und 2024 von 23.000 auf 37.000 pro Quartal gestiegen ist. Trotz dieser wachsenden Nachfrage bleibt der Fachkräftemangel bestehen, insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern, die aggressiver um Talente werben.
Das Talentproblem: Deutschland verliert im internationalen Vergleich
Ein entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb um KI-Fachkräfte ist das Gehaltsniveau. In Deutschland verdienen KI-Spezialisten laut thestepstonegroup im Median 67.000 Euro brutto pro Jahr – ein gutes Gehalt, aber weit entfernt von den Summen, die in den USA gezahlt werden. Dort können laut Qubit Labs erfahrene KI-Experten über 200.000 US-Dollar pro Jahr verdienen.
Diese drastischen Unterschiede machen es für Deutschland schwer, international mitzuhalten. Während Unternehmen hierzulande oft mit flexiblen Arbeitsmodellen oder langfristigen Karriereperspektiven werben, können Konzerne im Silicon Valley oder an der US-Ostküste einfach die besseren Gehälter bieten.
Die Folge: Hochqualifizierte Talente, die international arbeiten können, entscheiden sich gegen Deutschland.
Auch die Nachfrage nach KI-Fachkräften ist in Deutschland geringer als in anderen Ländern. Während in den USA 1,6 Prozent aller Stellenanzeigen auf KI-Entwickler entfallen, sind es in Spanien 1,4 Prozent, in den Niederlanden 1,1 Prozent – und in Deutschland nur 0,9 Prozent. Das deutet darauf hin, dass hierzulande nicht nur weniger KI-Fachkräfte gesucht, sondern möglicherweise auch weniger Innovationen im Bereich Künstliche Intelligenz vorangetrieben werden.
Ein weiteres Problem ist die geringe Attraktivität für internationale Talente. Laut der Studie sind 31 Prozent der KI-Stellenanzeigen auf Englisch verfasst – dreimal so viele wie in anderen IT-Bereichen. Dennoch fordern viele Unternehmen weiterhin Deutschkenntnisse, was potenzielle Bewerber aus dem Ausland abschrecken könnte. Zudem bieten nur 1,1 Prozent der KI-Stellenanzeigen explizite Unterstützung bei Visa-Anträgen, was den Zugang für internationale Fachkräfte weiter erschwert.
Flexibilität als Strategie zur Talentgewinnung – reicht das aus?
Um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten, setzen deutsche Unternehmen zunehmend auf mobiles Arbeiten. 48 Prozent der KI-Stellenanzeigen bieten diese Möglichkeit an – mehr als in anderen Berufsfeldern mit vergleichbarem Anforderungsniveau. Auch vollständige Fernarbeit ist in KI-Stellen mit 1,3 Prozent etwas häufiger möglich als in anderen IT-Berufen (0,7 Prozent). Allerdings bleibt Deutschland hinter Ländern zurück, die Remote-Work-Modelle bereits flächendeckend umsetzen und damit Talente unabhängig vom Standort – global – anziehen können.
Ein weiteres Problem: Die ungleiche Verteilung der KI-Stellen. Drei Viertel der ausgeschriebenen KI-Jobs befinden sich in Städten. In ländlichen Regionen werden KI-Entwickler seltener gesucht, und wenn doch, bieten die Unternehmen dort weniger Möglichkeiten für mobiles Arbeiten – ein entscheidender Faktor für viele Fachkräfte.
Kann KI den Fachkräftemangel lösen?
Interessanterweise setzen einige Unternehmen Künstliche Intelligenz selbst als Lösung für den IT-Fachkräftemangel ein. Laut einer Bitkom-Befragung von 852 Unternehmen in Deutschland nutzen 5 Prozent der Unternehmen KI, um Personalengpässe zu überbrücken – sei es in der Softwareentwicklung oder der IT-Administration.
Vor allem große Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten greifen auf diese Strategie zurück: Dort setzt jedes fünfte Unternehmen (21 Prozent) KI ein, um fehlende Fachkräfte zu kompensieren. Kleinere Unternehmen hingegen tun sich schwerer mit dieser Maßnahme – bei Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten sind es 12 Prozent, bei jenen mit 10 bis 49 Beschäftigten nur 7 Prozent.
Doch kann KI wirklich den Fachkräftemangel abfedern? Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder betont: „Künstliche Intelligenz kann eine IT-Abteilung nicht ersetzen. KI kann aber IT-Fachkräfte bei den unterschiedlichsten Aufgaben unterstützen und zum Beispiel bei Problemen und Fragen aus dem Team oft ebenso gute Unterstützung bieten wie ein menschlicher Support. KI kann zudem bei eher langweiligen Aufgaben oder solchen, die eine langanhaltend hohe Konzentration erfordern, helfen.“
Was muss sich ändern?
Die Studie macht deutlich, dass Deutschland gezielt gegensteuern muss, um im Rennen um KI-Talente nicht den Anschluss zu verlieren. Dazu gehören:
Englisch als Standardsprache in Tech-Berufen etablieren: Viele internationale Talente meiden Deutschland, weil Deutschkenntnisse oft Voraussetzung sind. Eine stärkere Öffnung für Englisch könnte den Bewerberkreis erweitern.
Visa-Prozesse vereinfachen: Der Anteil der Unternehmen, die Visa-Unterstützung anbieten, ist mit 1,1 Prozent noch sehr gering. Hier gibt es erhebliches Verbesserungspotenzial.
Mehr Flexibilität bei Arbeitsmodellen: Während mobiles Arbeiten in KI-Berufen bereits häufiger angeboten wird, könnte eine konsequentere Umsetzung von Remote-Arbeit Deutschland international wettbewerbsfähiger machen.
Gezielte Förderung von KI-Fachkräften: Neben der internationalen Anwerbung muss auch die Ausbildung im Inland gestärkt werden, um langfristig genügend Talente bereitzustellen.
KI als Unterstützung, nicht als Ersatz sehen: Unternehmen sollten Künstliche Intelligenz gezielt zur Entlastung ihrer IT-Abteilungen nutzen, aber gleichzeitig weiterhin in menschliche Fachkräfte investieren.
Der Bedarf an KI-Fachkräften wächst, doch Deutschland hat es bislang nicht geschafft, sich als bevorzugtes Ziel für diese Talente zu positionieren. Ohne gezielte Maßnahmen droht das Land im internationalen Vergleich weiter zurückzufallen – mit potenziell gravierenden Folgen für die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Nachgefragt: Würdet ihr als KI-Fachkraft in Deutschland arbeiten oder sind die Gehälter und Bedingungen im Ausland einfach attraktiver?