Mit kaum einer Eigenschaft verbinden Arbeitgeber so viel Positives wie mit Loyalität. Sie steht für Verlässlichkeit, Identifikation, Durchhaltevermögen – und gilt als Fundament funktionierender Arbeitsbeziehungen. Wer loyal ist, macht sich unentbehrlich. So lautet zumindest das Ideal.

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Doch was passiert, wenn Loyalität zur Voraussetzung für Mehrarbeit wird? Wenn sie nicht belohnt, sondern vorausgesetzt oder schlimmer: ausgenutzt wird? Eine Studie zeigt, dass gerade die Loyalen häufiger zusätzliche Aufgaben übernehmen, öfter eingespannt werden – und seltener widersprechen. Warum? Weil man es mit ihnen machen kann und von ihnen erwartet.

Die Ökonomie der Opferbereitschaft

In vier Experimenten untersuchten die Psychologen Matthew Stanley und Kollegen, wie Führungskräfte auf unterschiedliche Mitarbeiterprofile reagieren. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Wird eine Person als besonders loyal beschrieben, wächst die Bereitschaft, ihr unangenehme und sogar unbezahlte Zusatzaufgaben zu übertragen.

Warum? Weil Loyalität offenbar als Bereitschaft zur Selbstaufgabe interpretiert wird. Wer loyal ist, wird für „belastbar“ gehalten, für pflichtbewusst und vor allem: verlässlich darin, nicht zu widersprechen. Genau das macht loyale Mitarbeitende anfällig. Ihre moralische Haltung wird nicht belohnt, sondern als funktionale Ressource genutzt.

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Die Ironie dahinter

Die Studie zeigt auch: Wer Aufgaben übernimmt, die Kollegen ablehnen, wird im Rückblick als besonders loyal wahrgenommen und kommt deshalb beim nächsten Mal erneut in Frage. So entsteht ein Kreislauf, in dem sich Treue und Ausnutzung gegenseitig verstärken.

Die Loyalen opfern Zeit, Energie, oft ihre psychische Gesundheit – und erhalten dafür ein Etikett, das sie noch stärker in die Pflicht nimmt. Ein System, das auf Selbstaufgabe basiert und sich gleichzeitig mit moralischen Werten schmückt.

Verlässlich, verfügbar, verheizt

Loyalität hat in moralphilosophischen und unternehmensethischen Diskursen einen hohen Stellenwert. Doch gerade weil sie mit Tugendhaftigkeit und Selbstlosigkeit assoziiert wird, fällt es schwer, ihre Kehrseite zu erkennen: die strukturelle Ausbeutung derer, die nicht „nein“ sagen wollen oder können.

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Diese Dynamik erklärt auch, warum nicht alle Mitarbeitenden gleich stark betroffen sind. Besonders gefährdet sind demnach Personen, die nach Harmonie streben, Konflikte möglichst meiden oder an ein starkes Pflichtgefühl glauben. Häufig sind es Berufseinsteiger oder Frauen, die sich selbst weniger Raum zur Abgrenzung geben und dadurch häufiger zum Ziel unfairer Anforderungen werden.

Was dagegen hilft – und was nicht

Unternehmen könnten viel tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken: klare Abgrenzung von Aufgabenbereichen, faire Arbeitsverteilung, Anerkennung von Zusatzleistung. In der Praxis geschieht das natürlich viel zu selten. Zu bequem ist das System, das sich auf das stille Funktionieren der Loyalen verlässt.

Auch auf individueller Ebene ist der Ausweg nicht gerade einfach. Denn wer sich loyal verhält, tut das meist nicht aus Naivität, sondern aus innerer Überzeugung. Doch gerade deshalb braucht es einen bewussten Umgang mit der eigenen Rolle:

  • Loyalität ist keine Einbahnstraße. Wer gibt, darf auch Rückhalt erwarten.

  • Selbstfürsorge ist kein Egoismus. Sie ist Voraussetzung für langfristige Leistungsfähigkeit.

  • Ein „Nein“ schützt nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die Integrität des Teams.

Loyalität darf nicht hinterrücks ausgenutzt werden

Dass Loyalität in Unternehmen hochgehalten wird, heißt nicht, dass sie dort tatsächlich auch wertgeschätzt wird. Die Bereitschaft, für andere einzuspringen, wird zum ungeschriebenen Maßstab für künftige Aufgaben. Mitarbeitende, die heute Zusatzarbeit übernehmen, werden morgen wieder gefragt. Und übermorgen noch einmal. So verfestigt sich ein Muster, das nicht nur Mehrarbeit bedeutet, sondern auch die unsichtbare Verschiebung von Verantwortung.

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Führungskräfte agieren aber nicht per se ausbeuterisch. Dieses Verhalten ist in vielen Betrieben schlicht zur Gewohnheit geworden.

Das Ergebnis: Eine Eigenschaft, die als moralisch erstrebenswert gilt, wird genau dort besonders stark beansprucht, wo es um Leistung und Belastung geht. Das legt die Frage nahe, ob Loyalität im Arbeitskontext noch als reine Tugend gedacht werden kann oder längst Teil einer Performance-Logik ist, in der Verfügbarkeit mit Verlässlichkeit gleichgesetzt wird.

Die Studie von Stanley et al. macht jedenfalls deutlich, dass diese Dynamik nicht vereinzelt auftritt, sondern ein wiederkehrendes Muster beschreibt – und Fragen danach aufwirft, wie wir Arbeit, Engagement und Fürsorge miteinander verknüpfen.

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