Viele Bewerbungsgespräche laufen nach dem typischen Muster ab: Begrüßung, Smalltalk, Lebenslaufreferat. Doch einige Unternehmen haben sich längst von dieser Standardprozedur verabschiedet. Stattdessen fordern sie Kandidaten auf, einen Turm aus Spaghetti zu bauen, Tierbilder zu deuten oder in fünf Minuten den ultimativen Verkaufs-Pitch für eine Büroklammer zu liefern. Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Die Idee dahinter: Kreativität sichtbar machen, Stressresistenz testen, das „wahre Ich“ freilegen.
Doch was sagen diese skurrilen Tests wirklich über Bewerber aus? Und – noch wichtiger – über jene Unternehmen, die sie bei der Personalauswahl einsetzen?
Wenn aus dem Bewerbungsgespräch ein Zirkus wird
„Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Obst. Welches wären Sie – und warum?“
Wer sich häufiger bewirbt, kennt Fragen dieser Art. Sie sollen Spontaneität und Selbstbild offenlegen. Die Psychologie dahinter wirkt simpel: Wer sich als Ananas bezeichnet, hält sich für stachlig und exotisch. Die Banane ist flexibel, der Apfel bodenständig.
Solche Fragen können einen Moment der Irritation erzeugen, und genau das ist gewollt. Man versucht, den Kandidaten aus der eingeübten Bewerberrolle zu locken und etwas Authentizität herauszukitzeln. Doch eine Frage bleibt: Was hat Obst mit Kompetenz für den jeweiligen Job zu tun?
Studienlage: kaum Beweise, viel Show
Die Forschung zeichnet ein differenziertes Bild. Klar ist: Strukturierte Interviews gelten als eines der verlässlichsten Verfahren in der Personalauswahl. Wer allen Bewerbern dieselben Fragen stellt und die Antworten systematisch bewertet, kann berufliche Leistung recht gut vorhersagen. Arbeitsproben und strukturierte Tests liefern ähnlich solide Ergebnisse.
Ganz anders sieht es bei unstrukturierten Interviews oder kreativen Rätselaufgaben aus. Dort entscheidet oft der persönliche Eindruck oder der Unterhaltungswert der Antworten. Studien zeigen, dass diese Verfahren eine deutlich geringere Prognosekraft haben. Vor allem Brainteaser – also scheinbar raffinierte Denkaufgaben – liefern kaum Hinweise darauf, wie jemand später im Arbeitsalltag performt. Sie wirken eher wie ein Intelligenztest unter Zeitdruck, aber ohne Aussagekraft für die tatsächliche Berufspraxis.
Vor allem im Tech-Bereich hatten solche Rätsel lange Hochkonjunktur. Bewerber wurden mit Fragen konfrontiert wie: „Wie viele Tennisbälle passen in ein Flugzeug?“ oder „Wie viele Fenster gibt es in Manhattan?“
Der Gedanke dahinter: Wer in kürzester Zeit kreative Lösungen für absurde Probleme findet, bringt möglicherweise auch im Job den nötigen Erfindergeist mit. Doch mittlerweile mehren sich die Zweifel. Die Fähigkeit, solche Brainteaser spontan zu lösen, sagt wenig darüber aus, wie erfolgreich jemand später im Berufsalltag ist. Immer mehr Unternehmen verabschieden sich deshalb von diesen kuriosen Denksportaufgaben – zu willkürlich, zu weit entfernt von der Realität des Jobs.
Psychologischer Stress oder sinnvolle Prüfung?
Ein Bewerber erzählt, wie er beim Vorstellungsgespräch in einem Start-up spontan eine Minute lang in die Hände klatschen sollte – „um zu sehen, wie ich mit absurden Situationen umgehe“, so die Begründung des Personalers.
Solche Situationen können psychologisch heikel sein. Wird ein Bewerber unerwartet bloßgestellt oder überrumpelt, reagiert das Gehirn mit Stress: Die Amygdala schlägt Alarm, während der präfrontale Kortex – zuständig für kreatives Denken und Problemlösung – in den Hintergrund tritt. Genau in solchen Momenten sinken Spontaneität und Flexibilität spürbar (vgl. Arnsten, 2009).
Mit anderen Worten: Wer unter absurder Beobachtung versagt, ist vielleicht nicht weniger kompetent – nur eben gerade menschlich.
Was bleibt hängen – und was wäre besser?
Es gibt Alternativen. Realistische Arbeitsproben, sogenannte Job-Simulationen, gelten als Goldstandard in der Eignungsdiagnostik. Hier bearbeiten Bewerber typische Aufgaben aus dem Arbeitsalltag. Auch strukturierte Interviews mit vorher festgelegten Fragen und Bewertungsskalen schneiden in Studien gut ab.
Und doch kehren die verrückten Tests immer wieder zurück. Vielleicht, weil sie Geschichten produzieren. Wer aus dem Bewerbungsprozess geht und erzählt, er habe einen Turm aus Bleistiften gebaut oder den CEO im Armdrücken besiegt, trägt den Mythos der Firma weiter.
Skurrile Tests tragen auch ein wenig zur Markenbildung bei – positiv wie negativ. Sie machen das Unternehmen vielleicht interessant – aber nicht unbedingt die Personalauswahl besser. Man bleibt zumindest im Gespräch.
Zwischen Erkenntnis und Entertainment
Ob ein Bewerber sich als Apfel, Banane oder Ananas sieht, sagt wenig über die künftige Performance im Joballtag aus. Entscheidend bleibt, ob ein Unternehmen den Mut hat, sich selbst zu hinterfragen: Dient dieser Test wirklich der Auswahl – oder ist es nur Unterhaltung?
Und vielleicht ist das die eigentliche Erkenntnis dieser Absurditäten: Sie zeigen weniger über die Bewerber, sondern viel mehr über die Kultur des Unternehmens.
Wer sich also das nächste Mal in einem Vorstellungsgespräch wiederfindet und gefragt wird, ob er lieber gegen eine Pferdeente oder hundert Entenpferde kämpfen würde, darf sich ruhig fragen: Ist das noch ein Jobinterview – oder schon Kabarett?