Knapp die Hälfte der deutschen Unicorn-Gründer würde heute nicht mehr in Deutschland gründen, sondern in den USA oder anderen EU-Ländern. Was zunächst wie ein Stimmungsbild erscheint, entpuppt sich als Trend: Deutschlands Attraktivität als Standort für Tech-Startups bröckelt.

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Deutschland verliert an Strahlkraft

Unicorns – Startups, die mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet werden – gelten als Aushängeschild der Innovationskraft eines Landes. Während es in den USA beeindruckende 378 solcher Vorzeigefirmen gibt, kann Deutschland aktuell nur 27 Unicorns vorweisen. Doch selbst diese Erfolgsgeschichten scheinen ins Wanken zu geraten: Eine Umfrage der Startup-Initiative „Get Started“ des Bitkom unter 17 aktiven Gründerinnen und Gründern dieser Unicorns zeigt: Der Glaube an den deutschen Standort schwindet.

Nur 47 Prozent der befragten Gründerinnen und Gründer würden erneut in Deutschland gründen. Fast ein Viertel (24 Prozent) würde den Schritt in die USA wagen, 12 Prozent in ein anderes EU-Land und ebenfalls 12 Prozent in Länder außerhalb der EU. Die Bewertung Deutschlands als Standort für Tech-Unternehmen fällt dabei besonders ernüchternd aus: 71 Prozent der Befragten gehen nicht davon aus, dass Deutschland in den nächsten zwölf Monaten attraktiver wird – 59 Prozent schätzen dies als „eher unwahrscheinlich“ ein, 12 Prozent schließen es kategorisch aus.

Bürokratie als Innovationsbremse

Der Wunsch der Unicorn-Gründer an die Politik ist dabei eindeutig: Es braucht bessere Rahmenbedingungen, um Unternehmen zu gründen und wachsen zu lassen. 76 Prozent der Befragten nennen den Abbau von Bürokratie als dringendste Forderung. Hinzu kommen weitere Kernforderungen:

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  • Harmonisierung des EU-Binnenmarkts (41 Prozent): Startups wünschen sich einen reibungsloseren Zugang zu Märkten innerhalb der EU. Die oft unübersichtlichen regulatorischen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten erschweren die Expansion.
  • Digitalisierte Visaverfahren (35 Prozent): Der Fachkräftemangel ist ein bekanntes Problem – nicht nur in der Tech-Branche, sondern auch in der Pflege. Eine vollständig digitale Abwicklung von Visa könnte den Zuzug von hochqualifizierten Talenten aus Nicht-EU-Ländern erheblich erleichtern.
  • Zugang zu Wachstumskapital (35 Prozent): Obwohl Deutschland bei der Gründung und Frühfinanzierung von Startups mittlerweile aufgeholt hat, fehlt es weiterhin an institutionellem Kapital für größere Wachstumsschritte. Viele Unternehmen müssen deshalb auf ausländische Investoren setzen. Wintergerst fasst es treffend zusammen:

Alles eine Frage der Wertschätzung?

Neben den strukturellen Hindernissen gibt es jedoch einen weiteren, oft übersehenen Faktor: das gesellschaftliche Klima. Nur 41 Prozent der befragten Gründerinnen und Gründer fühlen sich in Deutschland als Unternehmer wertgeschätzt. 35 Prozent nehmen keine Wertschätzung wahr.

Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick überraschen, sind jedoch nicht neu. Gründerinnen und Gründer werden in Deutschland meist nicht als inspirierende Erfolgsgeschichten gefeiert, sondern stehen mehr oder weniger unter dem Verdacht, entweder Glück gehabt oder „es leicht gehabt“ zu haben. Hinzu kommt eine generelle Skepsis gegenüber unternehmerischem Risiko. In Ländern wie den USA hingegen wird Scheitern als Erfahrung und Erfolg als Ansporn gesehen – eine Kultur, die in Deutschland noch immer fehlt, obwohl auch hierzulande nicht alles im ersten Anlauf klappt.

Ein Paradigmenwechsel ist überfällig

Die Konsequenzen dieses Trends? Gravierend! Wenn die erfolgreichsten Gründerinnen und Gründer – also diejenigen, die bereits bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, visionär zu denken und so Milliardenunternehmen aufzubauen – dem Standort Deutschland den Rücken kehren, entzieht das der gesamten Wirtschaft wichtige Impulse.

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Deutschland hat zwar in den letzten Jahren auch Fortschritte gemacht: Förderprogramme, Startup-Hubs und erste Deregulierungsansätze haben das Ökosystem belebt. Doch es bleibt der Eindruck, dass viele Maßnahmen halbherzig oder zu langsam umgesetzt werden.

Die Zeit drängt. Startups sind nicht nur ein Treiber für Innovation, sondern auch für Beschäftigung und Wohlstand. Sie schaffen Arbeitsplätze, treiben Technologien voran und stärken die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Der globale Wettbewerb um die klügsten Köpfe und die besten Ideen ist härter denn je – und Deutschland droht den Anschluss zu verlieren.

Was getan jetzt werden muss

Ein echter Paradigmenwechsel ist nötig. Gründerinnen und Gründer brauchen ein Umfeld, das sie in ihrem Tun und Handeln unterstützt, statt sie auszubremsen. Folgende drei Maßnahmen wären ein erster Ansatz:

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  1. Deutlicher Bürokratieabbau: Unternehmensgründungen müssen einfacher und schneller möglich sein. Jede Hürde, die abgebaut wird, bedeutet mehr Zeit und Energie für Innovationen und wandert sozusagen ins Unternehmen.
  2. Wertschätzung fördern: Eine neue Gründerkultur muss in Deutschland etabliert werden. Erfolgsgeschichten sollten gefeiert, unternehmerisches Scheitern als Lernprozess akzeptiert werden. Mut zum Risiko gehört zwangsläufig dazu.
  3. Fachkräftezuwanderung erleichtern: Deutschland sollte gezielt auf ausländische Talente setzen und den Zugang durch digitalisierte und schnelle Verfahren vereinfachen.

Die Ergebnisse der Bitkom-Umfrage können als Weckruf verstanden werden. Die Frage ist, ob Politik und Gesellschaft darauf reagieren – oder ob Deutschland zulässt, dass seine klügsten Köpfe woanders ihre Visionen verwirklichen.

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