Es ist Freitagabend, gegen halb sieben. Der Laptop ist zu, das Büro leer, die Woche vorbei. Eigentlich ein Moment, auf den man sich freuen sollte. Aufatmen, Zeit mit der Familie verbringen, sich mit Freunden treffen, runterkommen. Doch stattdessen sitzt du da – vielleicht auf dem Sofa, vielleicht in der Küche – und fühlst: nichts. Oder eher etwas, das sich nach zu viel anfühlt. Überlagernd, schwer. Und dann kommt dieser Gedanke:

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„Ich kann das so nicht mehr.“

Er ist kein emotionaler Ausrutscher, kein schlechter Tag, keine Laune aus dem dem Bauch heraus. Es ist ein Gedanke, der sich Woche für Woche wiederholt – leise, aber unnachgiebig. Und wenn er regelmäßig kommt, vor allem freitagabends, dann ist er mehr als ein Stimmungstief. Dann ist er ein Signal.

Der Körper spricht oft zuerst

Er zeigt an, wenn etwas nicht mehr stimmt. Schlafstörungen. Gereiztheit. Das Gefühl, nicht mehr richtig durchatmen zu können. Und doch überhören wir ihn – aus Pflichtgefühl, aus Angst oder weil wir glauben, es sei normal, dass Arbeit sich so anfühlt.

Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2023 ist genau dieses chronische Aushalten längst keine Randerscheinung mehr. Psychische Erkrankungen – Erschöpfungsdepressionen, Burnout, Angstzustände – sind heute nach Muskel-Skelett-Erkrankungen am zweihäufigsten. Im Durchschnitt fehlen Betroffene über 30 Tage pro 100 Versichertentage – länger als bei jeder anderen Diagnosegruppe.

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Das bedeutet: Menschen halten durch, bis sie gar nicht mehr können. Und selbst dann zweifeln viele eher an sich selbst als am System, das sie krank gemacht hat.

Der Körper sendet Signale. Aber es braucht Selbstreflexion, um sie auch zu deuten.

Das neue Tabu: Aufgeben, bevor man kaputt ist

In einer Gesellschaft, die Arbeit seit Jahrzehnten mit Identität und Erfolg gleichsetzt, gleicht der Wunsch nach einem Ausstieg einem stillen Tabu. Wer kündigt, obwohl er keine objektive Not hat – keine Kündigung, keine Unternehmensinsolvenz, keine Kündigungswelle – wird oft nicht verstanden – manchmal gar für verrückt erklärt. Noch immer gilt: Durchhalten ist tugendhaft, Aufhören verdächtig.

Doch diese Perspektive beginnt zu bröckeln – nicht zuletzt durch einen tiefgreifenden Wertewandel in der Arbeitswelt. Laut der EY Jobstudie 2023 hält nur noch jeder Dritte Jobsicherheit für den wichtigsten Faktor im Berufsleben. Stattdessen gewinnen immaterielle Werte an Bedeutung: Sinn, Selbstbestimmung, mentale Gesundheit. Über 26 % der Befragten denken regelmäßig darüber nach, ihren Job zu kündigen.

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Es ist nicht Faulheit, die dahintersteht. Es ist eine Neubewertung von Lebensqualität – und eine wachsende Erkenntnis: Dass man auch in einem „guten Job“ innerlich zugrunde gehen kann.

Wenn man innerlich längst gegangen ist

Es gibt einen Punkt, an dem Menschen zwar äußerlich weiterarbeiten – aber innerlich längst gegangen sind. Man spricht hier von innerer Kündigung: eine psychische Schutzreaktion, bei der emotionale Beteiligung und Engagement langsam verschwinden. Was bleibt, ist Funktionieren. Und ein wachsendes Gefühl der inneren Leere.

Psychologisch betrachtet handelt es sich dabei oft um einen Zustand der kognitiven Dissonanz: Das, was man tut, stimmt nicht mehr mit dem überein, was man empfindet. Man lebt gegen das eigene Empfinden, gegen die eigenen Werte – Tag für Tag. Und je länger dieser Zustand andauert, desto höher ist die emotionale Belastung.

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Menschen, die sich in diesem Zustand befinden, zweifeln häufig an sich selbst, nicht aber am Arbeits- oder Leistungssystem. Sie versuchen durchzuhalten, statt die Reißleine zu ziehen. Doch gerade das kann auf Dauer krank machen, weil wir auszublenden – um weiter zu funktionieren.

Doch dieser Mechanismus hat einen Preis: Er frisst Energie. Und er trennt uns Stück für Stück von uns selbst.

Kündigen als Selbstachtung – nicht als Flucht

Natürlich ist die Kündigung kein Allheilmittel. Sie ersetzt keine Therapie, keine Aufarbeitung. Aber sie kann ein erster, kraftvoller Akt der Selbstachtung sein. Ein Stoppzeichen, das sagt: Bis hierhin, nicht weiter.

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Es geht dabei nicht um Aufgeben. Es geht um Aufrichtigkeit. Darum, sich selbst nicht weiter zu verbiegen, nur weil der Lebenslauf es verlangt oder der Chef es erwartet. Es geht darum, sich als Mensch zu schützen – nicht nur als Arbeitskraft.

Der Wandel, den wir in der Arbeitswelt gerade erleben, ist auch ein kultureller. Die Vorstellung, dass Leistung nur dann etwas zählt, wenn sie wehtut, hat ausgedient. Immer mehr Menschen fragen sich: Was gibt mir dieser Job – und was nimmt er mir?

Wenn die Bilanz über Wochen, Monate, vielleicht Jahre negativ ausfällt, dann ist es Zeit zu gehen. Nicht ins Leere, sondern in die Möglichkeit. In eine neue Lebensphase, die sich nicht sofort definieren muss, aber eines nicht mehr verlangt: Selbstverrat.

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Und wenn du dich heute Abend so fühlst?

Wenn du am Freitagabend dasitzt und nicht vorfreudig bist, sondern leer. Wenn du nicht müde bist vom Tun, sondern vom Aushalten. Wenn der Gedanke Ich kann das so nicht mehr nicht mehr erschreckt, sondern sich anfühlt wie Alltag – dann nimm ihn ernst. Er ist kein Zeichen deiner Schwäche. Er ist der Anfang deiner Rückkehr zu dir selbst.

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