Laut dem index Recruiting-Report 2024, für den 638 Personalverantwortliche in Deutschland befragt wurden, haben 53 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter fürs mittlere Management zu finden. Was bedeutet das für dich? Ganz einfach: Wer im Job mehr Verantwortung übernehmen will, hat gerade ziemlich gute Karten.
Die Lücke in der Mitte: Will denn niemand mehr führen?
Das mittlere Management galt lange als solide, aber eher unscheinbare Karrierestufe. Selbst der Begriff bleibt für viele vage und wenig greifbar. Was in Gesprächen jedoch immer wieder deutlich wird, sind typische Vorurteile: viel Verantwortung, aber wenig Gestaltungsspielraum. Und genau hier entsteht aktuell und vielleicht auch dadurch ein massives Vakuum.
Die Babyboomer verabschieden sich in den wohlverdienten Ruhestand, und mit ihnen geht ein immenser Erfahrungsschatz verloren. Was nachrückt, ist oft entweder fachlich gut qualifiziert, aber ohne Führungsambitionen – oder noch nicht bereit, den Sprung zu wagen.
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Gleichzeitig verändert sich die Rolle des mittleren Managements selbst. Wer heute ein Team führt, ist nicht nur operativer Taktgeber, sondern oft Change-Begleiter, Konfliktlöser und Brückenbauer zwischen Strategie und Praxis. Führung wird weniger durch Autorität legitimiert als durch Kommunikationsfähigkeit, Empathie und digitale Souveränität. Für viele wirkt das eher abschreckend als erstrebenswert.
Dazu kommt: Führung wird nicht aktiv gefördert. In vielen Organisationen ist sie noch immer eine Art „Belohnung“ für lange Betriebszugehörigkeit oder Fachexpertise. Eine gezielte Entwicklung von Führungspersönlichkeiten – zum Beispiel durch Coaching, Mentoring oder gezielte Führungsprogramme – findet selten statt. Die Folge: Aufsteigen will nur, wer ohnehin schon oben steht.
Zwischen Strategie und Umsetzung: Die Aufgaben im mittleren Management
Das mittlere Management versteht sich als zentrale Schnittstelle zwischen Unternehmensstrategie und operativem Geschäft, mit einem breiten Aufgabenspektrum und hoher Verantwortung. Typische Aufgaben sind zum Beispiel:
die operative Umsetzung von strategischen Vorgaben in die Arbeitsrealität der Abteilungen,
die Führung, Motivation und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden, inklusive Konfliktlösung und Teamaufbau,
die Ressourcen- und Budgetverantwortung sowie die Steuerung von Ergebnissen auf Bereichsebene,
die Koordination zwischen verschiedenen Schnittstellen – oft unter hohem Erwartungsdruck von oben und unten,
die aktive Begleitung von Veränderungsprozessen wie Reorganisationen oder der Einführung neuer Systeme,
und nicht zuletzt: Mentoring, Feedback und die gezielte Förderung künftiger Führungskräfte.
Wer im mittleren Management arbeitet, hält das Unternehmen also im laufenden Betrieb nicht nur zusammen – sondern prägt maßgeblich seine Zukunft.
Viel Bedarf, wenig Plan: Das mittlere Management als Schwachstelle
Dass 53 Prozent der befragten Unternehmen angeben, kaum passende Kandidaten fürs mittlere Management zu finden, ist also kein Wunder. Aber es ist ein Alarmsignal. Denn während die Nachfrage steigt, scheint das Angebot zu stagnieren.
Noch gravierender ist: Die meisten Unternehmen scheinen sich auf diesen Mangel nicht systematisch vorzubereiten. Maßnahmen zur Optimierung des Führungsverhaltens, zur Überarbeitung der Unternehmenskultur oder gar zur Entwicklung eines modernen Talentmanagements – all das hat laut Umfrage nur bei wenigen Firmen Priorität.
Stattdessen konzentriert sich die Mehrheit weiterhin auf klassische Recruiting-Instrumente: Stellenanzeigen auf Online-Jobbörsen, Mitarbeiterempfehlungen, Social-Media-Kampagnen. Doch so gut diese Methoden auch sein mögen – sie greifen zu kurz, wenn die grundlegende Attraktivität einer Führungsrolle im Unternehmen nicht stimmt.
Aufstieg mit Ansage: Wie du dich ins Spiel bringst
Für Menschen mit Ambitionen ist das eine selten gute Ausgangslage. Denn in dieser Lücke steckt eine enorme Karrierechance. Wer heute Verantwortung übernehmen will – mit klarem Werteverständnis, Führungswillen und der Bereitschaft, sich selbst zu entwickeln – der trifft auf offene Türen. Man muss nur hindurchgehen.
Das beginnt – neben der bereits bewiesenen fachlichen Leistung – mit der Selbstpositionierung. In einer Zeit, in der viele lieber beruflich im „sicheren Hafen“ verbleiben, wirkt es fast schon mutig, klarzumachen: Ich will führen. Dabei geht es nicht um Selbstdarstellung, sondern um ein reflektiertes Selbstverständnis von Führung. Was bedeutet es für dich, ein Team zu leiten? Wie gehst du mit Macht, Unsicherheit, Ambivalenz um? Solche Fragen sind der erste Schritt.
Ebenso entscheidend: Netzwerke. Nicht in Form von oberflächlichem Smalltalk oder Selbstbeweihräucherungen in Social Media, sondern durch gezielten Austausch mit Führungskräften, Mentoren und Gleichgesinnten. Wer bereit ist, Verantwortung zu tragen, sollte früh sichtbar machen, dass er oder sie es ernst meint – auch intern, bei der eigenen Führungskraft oder in strategisch relevanten Projekten.
Und schließlich: Weiterbildung. Wer den Aufstieg plant, sollte sich nicht darauf verlassen, irgendwann vom Management „vorgeschlagen“ zu werden. Vielmehr gilt es, proaktiv Lücken zu schließen – sei es in Sachen Teamführung, Konfliktmoderation oder strategischem Denken. Der Markt an Angeboten ist groß. Entscheidend ist, dass man nicht nur Konsument bleibt, sondern ins Handeln kommt.
Aber auch Unternehmen sind gefragt
Doch so sehr Einzelpersonen profitieren können: Die eigentliche Verantwortung liegt bei den Organisationen. Sie müssen die Attraktivität von Führungsrollen überdenken. Wer Talente im Unternehmen halten und entwickeln will, darf das mittlere Management nicht länger als Durchgangsstation oder Belastungszone behandeln. Stattdessen braucht es Wertschätzung, Autonomie, Struktur – und vor allem: eine Kultur, die Lust auf Führung macht.
Der Recruiting-Report zeigt, dass es an vielen Stellen noch hapert. Nur ein Bruchteil der Unternehmen misst systematisch die Qualität ihrer Besetzungen. Noch weniger richten strategische Initiativen auf Führungskräfteentwicklung oder Wertearbeit aus. Dabei wäre genau das der Hebel, um die Lücke nachhaltig zu schließen.
Führungskräfte sind nicht einfach da – sie werden gemacht – geformt. Und genau hier, im Aufbau einer tragfähigen, professionell begleiteten Führungskultur, entscheidet sich, ob Unternehmen in Zeiten von Transformation, KI und Arbeitskräftemangel zukunftsfähig bleiben.
Mittleres Management: Das unterschätzte Rückgrat der Arbeitswelt?
Vielleicht ist das mittlere Management nicht das glamouröseste Karriereziel. Es gibt weder Corner Office noch Boni in Startup-Größe. Aber es ist genau der Ort, an dem der Wandel greifbar wird. Hier wird entschieden, ob Strategie Realität wird. Ob Teams funktionieren. Ob Menschen bleiben. Für Gestalter ist das mittlere Management perfekt.