Mentale Krisen, körperliches Leid, Perspektivlosigkeit – alles Folgen von fehlender Wertschätzung im Job. Erfahre, was die Forschung dazu sagt, warum gelebte Wertschätzung für Beschäftigte so wichtig ist und wie Unternehmen diese als Teil ihrer Arbeitskultur realisieren.

„Gratifikationskrise“ durch fehlende Wertschätzung

Das vom US-Psychologen Abraham Maslow stammende Modell der „Bedürfnispyramide“ zeigt, dass Wertschätzung ein Grundbedürfnis für uns Menschen darstellt. Wird unser Wert nicht anerkannt, kann das Folgen für Psyche und Gesundheit haben.

Im Job führt eine wertschätzende Haltung den Beschäftigten gegenüber oft dazu, dass sie sich langfristig an Unternehmen binden. Wertschätzung kann stattfinden, wenn Arbeitgeber:innen zum Beispiel

  • Anerkennung aussprechen,
  • Respekt zeigen und sich bedanken,
  • Empathie beweisen,
  • Beförderung realisieren und Löhne erhöhen,
  • ihr Wort halten,
  • sich nach dem Befinden der Beschäftigten erkundigen,
  • die Meinung der Angestellten in Entscheidungen miteinbeziehen.

Was aber passiert, wenn die Wertschätzung von Arbeitgeber:innen und dem Team, etwa in Form von lobenden Worten, monetärer Anerkennung oder dem Ausdruck von Dankbarkeit fehlt?

Der aus der Schweiz stammende Professor und Medizinsoziologe Prof. Dr. Johannes Siegrist zeigt mit seinem sogenannten Gratifikationsmodell (lat. „gratificare“ = Gefälligkeit zeigen; sich gefällig erweisen), wie es zu einem gesundheitlichen Ungleichgewicht kommen kann, wenn wir uns beruflich verausgaben, aber – in Relation dazu – wenig Wertschätzung erhalten. Stimmt das Verhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung nicht, soll es demnach zu einer Krise, einer „Gratifikationskrise“ kommen.

Kurz erklärt: Eine Gratifikationskrise gilt heute als gesundheitlicher Risikofaktor für mentales und psychosomatisches Leid. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten zum Zusammenhang zwischen Arbeitsstress, fehlender Anerkennung und der Auswirkung auf die Gesundheit macht Siegrist deutlich, dass es eine Verbindung zum Körper, sogenannten Biomarkern (biologisches Merkmal) geben soll; in der medizinischen Forschung steht es heute außer Frage, dass Stress und Erkrankungen Hand in Hand gehen.

Anders erklärt: Wer viele Kilometer läuft (Leistung; erhöhter Stresspegel; hoher Energieverlust), ohne Wasser zu bekommen oder eine Pause machen zu dürfen (Lohn; Anerkennung; Wertschätzung), wird ausbrennen, verdursten oder umfallen. Im Job werden Beschäftigte vielleicht Hoffnung, Motivation und Perspektiven verlieren und innerlich kündigen.

Für Unternehmen: Welchen Nutzen hat Wertschätzung von Beschäftigten konkret?

Innere Kündigungen sind teuer für die Volkswirtschaft. Im Jahr 2021 haben sie laut Gallup Engagement Index 2021 über 92 bis 115 Milliarden Euro gekostet. Beschäftigte fühlen sich unmotiviert und perspektivlos in ihrem Job und ziehen sich zurück. Fehlende Wertschätzung ist ein tragender Grund dafür.

Dabei ist Wertschätzung im Job gleich aus mehreren Gründen wichtig:

1. Bessere Arbeitsleistung:

Leistungsdruck ist heute allgegenwärtig und Beschäftigte spüren nicht selten den Druck, der von ihren Vorgesetzten kommt. Das macht Angst. Bekanntlich ist Angst kein guter Antriebsmotor, um produktiv arbeiten zu können. Wertschätzung kann Arbeitnehmer:innen die Angst nehmen, den Erwartungen des Unternehmens nicht gerecht zu werden.

2. Mitarbeiterbindung:

Immer wieder ist die Rede von den jüngeren Generationen Y und Z, die eine große Wechselbereitschaft zeigen. Im Gegensatz zu älteren Generationen tendieren sie eher dazu, den Job zu wechseln, wenn sie merken, dass Arbeitgeber:innen ihnen nicht das geben können, was sie sich wünschen – etwa flexible Arbeitszeitmodelle oder Anerkennung für ihre Arbeitsleistung. Die Mitarbeiterbindung gelingt demnach nur, wenn die Bedürfnisse der Arbeitskräfte der Zukunft respektiert und befriedigt werden.

3. Gesundheitliche Benefits:

Psychische Erkrankungen sind heute ein häufig genannter Grund für Fehltage. Laut einer DAK-Auswertung ist die Zahl im Niedersachsen, im Vergleich zum Jahr 2011, um ganze 43 Prozent gestiegen. Wertschätzung im Job kann dazu verhelfen, einem Burn-out von Beschäftigten vorzubeugen, sie zu ermutigen und ihnen die Anerkennung geben, die sie verdienen.

Übrigens: Die Neurobiologie mischt mit. Wenn wir uns glücklich fühlen, ist vor allem das freigesetzte Dopamin dafür verantwortlich. Das Hormon soll unter anderem dafür sorgen, dass wir unsere Konzentration steigern können.

4. Beitrag zum „Wir-Gefühl“:

Der Einzelne ist heute die starke Ressource von Arbeitgeber:innen, aber das Team bildet das solide Fundament. Nicht nur Wertschätzung dem Einzelnen gegenüber ist deshalb wichtig. Auch Teamleistungen sollten gelobt werden, denn so wird das Teamgefühl gefördert. Schließlich ist der Zusammenhalt unter Beschäftigten und die daraus resultierende gute Arbeitsleistung ein wichtiger Faktor für den Unternehmenserfolg.

Wie funktioniert Wertschätzung im Job?

Damit Unternehmen Wertschätzung als Teil ihrer Arbeitskultur realisieren, ist das Verständnis hierfür Voraussetzung: Es geht darum, Wertschätzung als Grundbedürfnis von Beschäftigten wahrzunehmen. Damit hängen Selbstwertgefühl sowie Arbeitsmotivation zusammen.

Um Beschäftigten das Gefühl zu geben, dass sie ein wertvolles Teammitglied sind, müssen Arbeitgeber:innen aktiv werden:

1. Lohnanpassung, Beförderung, Karrieremöglichkeiten

Geld ist nicht nur Lohn, sondern auch ein Mittel, um Wertschätzung bewusst in monetärer Form zu zeigen. Eine Gehaltsanpassung sowie Möglichkeiten, mehr Verantwortung zu übernehmen und im Gegenzug mehr zu verdienen, sollten deshalb selbstverständlich werden.

2. Danke sagen

Es ist ein kleines Wort mit großer Wirkung. Wer sich häufiger bei seinen Beschäftigten bedankt, kann ihnen nach einem harten Arbeitstag ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein „Danke für deine Mühe – ich sehe sie“ ist auch für etwas wortkarge Chef:innen eine gute Möglichkeit, sich in Wertschätzung zu üben.

3. Ehrliches Interesse zeigen

  • „Wie fühlst du dich heute?“
  • „Wie geht es dir mit dem neuen Arbeitsplan?“
  • „Was beschäftigt dich?“
  • „Kann ich noch etwas für dich tun?“

Ehrliches Interesse den Beschäftigten gegenüber ist eine essenzielle Form der Wertschätzung. Sie sorgt dafür, dass Angestellte sich sicher, gesehen und unterstützt fühlen. Auch merken sie auf diese Weise, dass sie nicht einfach eine Nummer im Geschäft sind, sondern als Mensch zählen.

4. Kleine Aufmerksamkeiten

Ein Lächeln, ein Eis für alle im Büro an heißen Sommertagen, ein persönlicher Gruß zum Geburtstag oder ein freier Tag als Beweis der Wertschätzung: Kleine Aufmerksamkeiten helfen dabei, den Mitarbeiter:innen echte Anerkennung für ihre Arbeit entgegenzubringen.

5. Nach Meinung und Rat fragen

Wenn es um Entscheidungen im Unternehmen geht, welche die gesamte Belegschaft beeinflussen, sollte die Stimme der Beschäftigten zählen. Fragen Vorgesetzte ihre Angestellten nach ehrlichem Rat oder die persönliche Meinung, zeigen sie damit, dass ihnen das Wort ihrer Mitarbeiter:innen wichtig ist.

6. Ehrliches Feedback geben

Ehrlichkeit ist Teil einer wertschätzenden Arbeitskultur. Deshalb ist es ratsam, nicht nur negative Aspekte und Fehler hervorzuheben. Sondern auch ehrlich zuzugeben, dass Beschäftige im Recht sind; etwas besser wussten als der Boss oder die Chefin. Zum ehrlichen Feedback gehört zudem, mit schwierigen Themen nicht hinterm Berg zu halten. Wer seine Mitarbeiter:innen schätzt, zeigt ihnen das, indem nichts verschwiegen wird.

7. Respektvoll miteinander sprechen

Ohne Sticheln, ohne Erniedrigung. Ein höflicher, professioneller Ton ist wichtig im Arbeitsalltag, damit Beschäftige begreifen, dass sie fair und respektvoll behandelt werden. Beleidigungen oder harsche Kritik ohne Bezug zur Sache, die auf rein emotionaler Affektivität beruhen, sind deshalb Fehl am Platz.

8. Grenzen respektieren

Persönliche Grenzen, zu denen zum Beispiel das Thema Familie, Freunde oder Beziehungen gehören, sollten nicht überschritten werden. So können Arbeitgeber:innen beweisen, dass sie die Bedürfnisse sowie die Privatsphäre ihrer Beschäftigten achten.

9. Sich entschuldigen

Sich bei Mitarbeiter:innen zu entschuldigen, wenn etwas schiefgelaufen ist, kann Vorgesetzte Überwindung kosten. Es ist jedoch ein Zeichen der Wertschätzung der Person, für eigene Missgeschicke geradezustehen und Verantwortung zu übernehmen.

10. Potenziale fördern

Talente sollen nicht in der Ecke verstauben: Wer seine Mitarbeiter:innen die Chance gibt, sich zu entwickeln, kann sie auf diese Weise unterstützen und fördern. Das ist nicht nur wertschätzend und gut für das eigene Unternehmen, sondern auch für den weiteren beruflichen Weg der Beschäftigen.

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