„Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen.“ Ein Satz, der nach Teamgeist und kollektiver Tatkraft klingt. In der modernen Arbeitswelt haben sich solche Motivationsfloskeln zum Standardrepertoire von Führungskräften entwickelt. Sie kommen besonders gern zum Einsatz, wenn‘ s am Firmentor bereits brennt: Umstrukturierungen, Budgetkürzungen, Personalabbau oder unrealistische Zielvorgaben werden mit aufmunternden Worten übertüncht.
Diese Art der Kommunikation soll beruhigen und zusammenschweißen – doch allzu oft schlägt sie ins Gegenteil um. Denn Mitarbeiter spüren sehr genau, wenn Sprache nicht ehrlich ist, sondern taktisch. Wenn Worte nicht informieren, sondern beeinflussen sollen. Und genau das ist bei vielen sogenannten Motivationsbotschaften der Fall.
Was sind Bullshit-Motivationsfloskeln?
Unter Bullshit-Floskeln versteht man übertrieben positive, inhaltsleere Aussagen von Vorgesetzten, die vor allem dann auftauchen, wenn eigentlich schlechte – ehrliche – Nachrichten vermittelt werden müssten. Sie tarnen Probleme als Chancen, belächeln Überlastung als Entwicklungsmöglichkeiten und verkaufen Unsicherheit als dynamische Transformation. Dabei ist die eigentliche Botschaft meistens: Schluck es einfach, bleib motiviert oder besser – leg noch einen oben drauf.
Typische Merkmale dieser Phrasen:
- Übertrieben positives Framing („Wir befinden uns in einer spannenden Phase.“)
- Vage Formulierungen ohne konkrete Aussage („Wir wollen gemeinsam die Zukunft gestalten.“)
- Appell an Teamgeist oder Loyalität („Ohne euch geht es nicht.“)
- Verlagerung von Verantwortung („Jeder ist jetzt gefragt.“)
Das alles soll engagiert, inspirierend, optimistisch klingen – ist aber meist nur verbale Fassadenkosmetik.
Warum greifen Führungskräfte zu solchen Phrasen?
Der Ursprung dieses Sprachstils liegt im positiven Framing. In Leadership-Seminaren und Management-Coachings lernen Führungskräfte, dass sie durch die Wahl ihrer Worte Einfluss auf die Wahrnehmung nehmen können. Daran ist per se nichts falsch – solange es ehrlich gemeint ist.
Zwei Hauptmotive lassen sich dabei beobachten:
- Emotionales Management: Sprache wird genutzt, um Emotionen zu steuern. Statt die Wahrheit zu sagen – „Es wird anstrengend, und wir wissen noch nicht, wie es ausgeht“ – wird ein Gefühl vermittelt: Sicherheit, Richtung, Sinn.
- Kontrollsicherung: Wer die Deutungshoheit über eine Situation besitzt, beherrscht auch das Narrativ. Wer bestimmt, was eine „gute Nachricht“ ist, kann jede Entscheidung im gewünschten Licht darstellen – selbst eine Entlassungswelle.
Kurz: Diese Art der Kommunikation ist nicht auf Augenhöhe. Sie ist top-down, taktisch und selten transparent. Und das merken Beschäftigte.
Die beliebtesten Floskeln – und was sie wirklich bedeuten
- „Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen.“
Bedeutet: Wir haben ein Problem. Ihr bekommt mehr Arbeit, aber bitte ohne Widerworte. Teamgeist heißt hier: keine Fragen stellen, einfach machen. - „Das ist eine tolle Chance für persönliches Wachstum.“
Bedeutet: Du darfst unangenehme Aufgaben übernehmen, für die sich niemand sonst findet. Und Geld gibt’s dafür natürlich nicht mehr. - „Wir gehen gemeinsam durch diese Veränderung.“
Bedeutet: Du gehst zuerst, wir schauen zu. Und wehe, du beschwerst dich. - „Wir befinden uns in einem Transformationsprozess.“
Bedeutet: Wir wissen nicht, was wir tun, aber Hauptsache, es klingt futuristisch und wir machen irgendwas. - „Das ist eine Investition in unsere Zukunft.“
Bedeutet: Heute wird gekürzt, gestrichen oder gestrampelt. Aber bitte tu so, als wäre das alles langfristig für dein Bestes. - Geld ist nicht alles.
Bedeutet: Richtig – vor allem, wenn’s der Chef sagt, der gerade mit seinem neuen Wagen vorfährt. Für dich gibt’s maximal ein Feierabendbier auf eigene Rechnung.
Diese Phrasen sind wie Nebelkerzen: Je mehr davon im Raum stehen, desto weniger sieht man, worum es eigentlich geht.
Die Folgen für Mitarbeitende: Zynismus statt Zusammenhalt
Der dauerhafte Einsatz solcher Floskeln hat einen hohen Preis – und den zahlen nicht nur die Führungskräfte. Es sind die Mitarbeitenden, die die Auswirkungen überwiegend spüren: durch Misstrauen, Frustration und emotionale Erschöpfung. Denn wer immer wieder beschwichtigt, hingehalten und weichgespült wird, fühlt sich irgendwann nicht mehr ernst genommen.
Statt echter Motivation entsteht Zynismus. Die Floskeln werden zum Running Gag, zur stillen Ironie in der Kaffeeküche oder zur resignierten Pointe im Chat. Und noch schlimmer: Gute Leute verabschieden sich innerlich. Die berühmte „innere Kündigung“ ist oft keine Folge von Überforderung, sondern von enttäuschter Kommunikation.
Wie du Bullshit-Floskeln erkennst – und richtig reagierst
Das Gute: Mit ein wenig Übung lassen sich Floskeln leicht enttarnen. Und wer sie erkennt, kann gezielter – und vielleicht entspannter – damit umgehen.
- Hör auf die Leerstellen.
Was wird nicht gesagt? Fehlen konkrete Zahlen, Zeitrahmen, Verantwortlichkeiten? - Frage präzise nach.
„Was bedeutet das konkret für mein Team?“, „Welche Aufgaben kommen konkret auf mich zu?“ – damit zwingst du dein Gegenüber zur Ehrlichkeit. - Sprich Widersprüche an.
Wenn „Vertrauen“ gepredigt, aber Kontrolle geübt wird – benenn das ruhig. Auf Augenhöhe. - Tausch dich mit Kollegen aus.
Oft helfen Gespräche im Team, die wahren Absichten hinter der Rhetorik zu entlarven. - Setze Grenzen.
Motivation darf kein Vorwand für Selbstausbeutung sein. Sag „nein“, wenn du spürst, dass es nur noch um Schönreden geht und du selbst an deine Grenzen gerätst.
Gute Führung braucht Ehrlichkeit
Zwischen Motivation und Manipulation liegt oft nur ein schmaler Grat – den gute Führungskräfte nicht überschreiten. Es geht nicht darum, jedes Problem brutal auf den Tisch zu knallen – aber sehr wohl darum, ehrlich und transparent zu kommunizieren. Wer Vertrauen will, muss seine Mitarbeitenden auch vermeintlich bittere Pillen schlucken lassen – und aushalten, dass daraus Widerspruch entsteht. Genau darin liegt echte Motivation.