Aktuell fehlen im Handwerk laut IW Köln 113.000 Fachkräfte, Tendenz steigend. Besonders hart trifft es Branchen wie die Bauelektrik, Kfz-Technik und die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Während in der Industrie die Aufträge wegen der Wirtschaftsflaute wegbrechen, stapeln sich im Handwerk die Aufträge – nur die Menschen, die sie erledigen sollen, fehlen.
Es ist ein Paradoxon: Nie waren handwerkliche Dienstleistungen gefragter, nie waren die Betriebe wirtschaftlich so ausgelastet – und gleichzeitig droht vielen von ihnen das Aus, weil schlichtweg niemand mehr da ist, der die Arbeit macht.
Wenn der Meister geht – und keiner übernimmt
Die große Welle kommt erst noch: Bis 2030 sucht laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) 125.000 Betriebe einen Nachfolger, bis 2045 steht bei fast der Hälfte aller Handwerksbetriebe ein Generationswechsel an. Darüber berichtete unter anderem die „Bild am Sonntag“, auf die sich auch der Deutschlandfunk in einem Beitrag bezieht. Viele dieser Nachfolgen bleiben offen – aus Mangel an Kandidaten.
Immer weniger junge Menschen wollen ins Handwerk. Statt früh aufzustehen und sich die Hände schmutzig zu machen, entscheiden sich viele lieber für ein Studium. Andere träumen wiederum von einer Karriere als Influencer. In den Köpfen vieler Eltern und Schüler hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass Handwerk weniger Zukunft, weniger Geld und weniger Ansehen bedeutet. Dabei ist das längst überholt.
Schon gewusst? Ein erfahrener Dachdecker verdient heute laut Stepstone im Schnitt zwischen 36.000 und 44.000 Euro brutto im Jahr, mit Spezialisierung oder als Meister deutlich mehr. Hinzu kommen hohe Jobsicherheit, Sinnhaftigkeit und beste Perspektiven in Zeiten von Klimawende und Wohnungsnot.
Systemrelevant, zukunftssicher und unverzichtbar
Ob Wärmepumpen, Solaranlagen oder Ladeinfrastruktur für E-Autos: Ohne Handwerker bleibt die Klimatransformation in Deutschland reine Theorie. Wohnungsbau, energetische Sanierung, Infrastruktur – all das hängt am Handwerk. Es geht nicht mehr nur darum, ob das Dach dicht oder der Wasserhahn repariert ist. Es geht darum, ob Deutschland seine Zukunft gestalten kann.
Handwerksberufe gehören längst zu den sichersten und wichtigsten Jobs im Land. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zeigt sich, wie systemrelevant das Handwerk wirklich ist. Wenn die Arbeit nicht mehr gemacht wird, leidet nicht nur der einzelne Betrieb, sondern ganze Regionen und Branchen geraten ins Stocken.
Wo liegen die Ursachen?
- Demografischer Wandel: Die Babyboomer gehen in Rente, aber die nächste Generation ist zahlenmäßig viel kleiner.
- Akademisierung: Das Studium wurde zum gelobten Standard – die duale Ausbildung geriet ins Hintertreffen.
- Imageproblem: Viele verbinden Handwerk mit harter körperlicher Arbeit, schlechter Bezahlung und wenigen Aufstiegschancen.
- Fehlende Digitalisierung: Viele Betriebe arbeiten noch analog, obwohl smarte Tools den Alltag erleichtern könnten.
Chance statt Krise: Das Handwerk neu denken?
So bitter es klingt – genau jetzt ist der Zeitpunkt, das Handwerk neu zu denken. Viele der Betriebe, die Nachfolger suchen, sind hochprofitabel, haben treue Stammkundschaft und volle Auftragsbücher. Wer übernimmt, kann sofort durchstarten. Unterstützung gibt es durch Förderprogramme wie die Kredite der KfW-Bank oder Nachfolge-Börsen wie nexxt-change.org, auf denen bundesweit tausende Betriebe einen neuen Chef suchen.
Doch auch die Betriebe selbst müssen umdenken:
- Attraktive Arbeitgebermarken, die zeigen, dass Handwerk eine stabile Karriere bedeutet.
- Digitale Prozesse, die den Arbeitsalltag abseits vom Schraubenschlüssel erleichtern.
- Mehr Präsenz auf Social Media, denn genau dort informieren sich viele Jugendliche.
- Stärkere Kooperationen mit Schulen, um Handwerk als echte Alternative zu Studium und Bürojob zu zeigen.
Ohne Handwerk steht das Land still
Ob Heizung, Strom oder Dach – fällt das Handwerk aus, steht das Land still. Kein Ausbau, keine Sanierung, keine Klimawende. Wir reden über systemkritische Jobs, ohne die hier bald nichts mehr läuft.
Es geht längst nicht mehr nur um fehlende Fachkräfte. Es geht darum, ob Häuser gebaut, Straßen repariert und Stromleitungen gelegt werden. Ob der Alltag weiter funktioniert – oder eben nicht.