Auf den ersten Blick wirkt alles freundlich: ein Lächeln im Flur, Komplimente in der Kaffeeküche, Hilfsangebote per Mail. Doch im Joballtag ist nicht jede Nettigkeit gleichbedeutend mit echtem Interesse oder kollegialem Zusammenhalt. Falsche Freundlichkeit ist kein neues Phänomen aber eines, das gerade in hierarchischen Strukturen und unter Leistungsdruck besonders häufig vorkommt. Wer im Job aufrichtig handelt, sollte wissen, wie man Taktik von echter Kollegialität unterscheidet.
Nett, aber nicht ehrlich – wenn Freundlichkeit zur Maske wird
Viele Menschen tragen im Berufsleben eine Maske. Und oft ist es genau die übertriebene Höflichkeit, die uns stutzig machen sollte. Warum verstellen sich Kollegen? Die Gründe liegen auf der Hand:
- Manche Mitarbeitende suchen Nähe zu bestimmten Personen, weil diese Einfluss haben, wichtige Infos teilen oder Karrieretüren öffnen könnten. Das freundliche Verhalten dient nicht dem Miteinander, sondern dem eigenen Vorankommen.
- Gerade in Teams mit mangelnder Fehlerkultur wird lieber taktvoll geschwiegen, als Kritik offen anzusprechen. Man bleibt freundlich, um des Friedens willen. Doch unter der Oberfläche köchelt und brodelt es.
- Wer sich im Job unsicher fühlt, versucht manchmal durch übermäßige Freundlichkeit gemocht zu werden. Dahinter steckt oft ein geringes Selbstwertgefühl, das ist nicht unbedingt böse Absicht, aber trotzdem nicht ehrlich. Das Bedürfnis nach Anerkennung lässt Menschen oft so handeln, wie sie glauben, dass es anderen gefällt, nicht wie sie wirklich fühlen.
So erkennst du falsche Freundlichkeit im Büro
Unechte Freundlichkeit erkennt man selten sofort gerade, weil sie oft perfekt inszeniert ist. Doch wenn du etwas aufmerksam bist, fallen dir bestimmte Muster auf:
- Manche Komplimente klingen zwar nett, sind aber inhaltsleer. Wenn dir jemand sagt „Toll gemacht!“, ohne deinen Beitrag wirklich zu kennen, oder dich als „besonders engagiert“ lobt, aber bei Problemen nie zur Seite steht, dann fehlt die echte Wertschätzung.
- Auch Gespräche, die nie über simplen Smalltalk hinausgehen, können ein Warnsignal sein. Wer sich nur über das Wetter oder Termine unterhält, zeigt oft kein wirkliches Interesse an dir als Person. Falsche Freundlichkeit bleibt lieber in der Komfortzone.
Auffällig wird es auch, wenn das Verhalten nicht stimmig ist. Manche Kollegen geben sich im Meeting interessiert und zugewandt, schicken danach aber herablassende E-Mails oder bieten Hilfe an, die dann doch nie kommt.
Und wenn es dann noch stressig wird, zeigt sich schnell, wie echt das Lächeln war. Wenn dein Kollege nur bei Erfolgen präsent ist, aber in Krisen abtaucht, hat er vermutlich nie wirklich hinter dir gestanden.
Emotionale Manipulation im Job
Auch emotionale Kontrolle hat viele Gesichter: „Ich dachte, wir hätten ein gutes Verhältnis?“ Solche Aussagen zielen darauf ab, Schuldgefühle bei dir zu erzeugen. Oder es wird erwartet, dass du immer erreichbar bist, weil du „doch so ein Teamplayer“ bist. Wenn du ständig Erwartungen erfüllen musst, um die Stimmung zu halten, solltest du die Dynamik hinterfragen.
Warum wir unechte Kollegen trotzdem dulden
Im Job möchten wir dazugehören. Deshalb tolerieren viele Menschen falsche Freundlichkeit, aus Angst vor Ablehnung, Konflikten oder beruflichen Nachteilen. Doch das kann auf Dauer belastend sein. Unechte Beziehungen sind die reinsten Energiefresser, erzeugen Misstrauen und verhindern eine ehrliche, vertrauliche Zusammenarbeit mit dem Team.
Der Test: Ist die Freundlichkeit echt?
Die folgenden Fragen helfen, Aufrichtigkeit von bloßer Fassade zu unterscheiden:
1. Bleibt die Unterstützung, auch wenn du mal nicht funktionierst?
Wie in jeder Form von Beziehung, zeigt sich echte Kollegialität, wenn es schwierig wird. Ist jemand auch dann für dich da, wenn du gerade nicht performst oder einfach mal ein Durchhänger hast? Freundlichkeit, die nur in guten Zeiten da ist, ist meist nur Strategie.
2. Geht das Gespräch über belanglose Floskeln hinaus?
„Na, alles gut?“ reicht nicht. Wirkliche Verbundenheit erkennt man, wenn Gespräche auch Platz für Zweifel, Kritik oder ehrliches Feedback lassen. Wer sich nur oberflächlich austauscht, hat meist kein Interesse am Gegenüber.
3. Darf ich auch mal schlechte Laune haben?
Perfekte Fassaden wirken nett, sind aber selten vertrauenswürdig. Wenn jemand offen zeigt, dass er nicht immer gut drauf ist, wirkt er authentisch. Und nur so kann Nähe entstehen, die Echt ist.
4. Wie reagiert jemand, wenn es kritisch wird?
Funktioniert der Austausch auch dann noch, wenn es nicht rund läuft? Ein respektvoller Ton, auch bei Meinungsverschiedenheiten, ist ein Zeichen von Reife. Falsche Freundlichkeit entlarvt sich oft in Konfliktsituationen.
Was falsche Freundlichkeit mit dir macht
Wenn du dich langfristig in einem Umfeld bewegst, das nicht authentisch ist, wirst du misstrauisch, nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegen dich selbst. Man stellt sich Fragen wie: „Warum mag mich niemand wirklich?“ oder „Bin ich zu sensibel?“ Die Folge ist oft: Rückzug, innere Unruhe und emotionale Erschöpfung.
So schützt du dich – ohne selbst abzukühlen
- Achte darauf, wie sich Menschen über längere Zeit verhalten. Nicht der eine nette Satz in der Kaffeeküche zählt, sondern das Verhalten im Alltag.
- Bleib dir selbst treu, auch wenn andere ihre Maske aufsetzen. Wer ehrlich bleibt, lädt andere ein, es ebenfalls zu sein. Oder es zeigt zumindest, wer das nicht will.
- Setze klare Grenzen, wenn Freundlichkeit nur dann kommt, wenn du funktionierst. Du bist kein Projekt, das man sich passend zurechtlegt.
- Und du brauchst keine fünfzig Kollegen, die dich oberflächlich mögen. Zwei oder drei verlässliche Menschen im Team wiegen mehr als jede höfliche Maske.
Statement: Echtheit ist keine Zumutung – sondern die Basis
Es gibt Menschen, mit denen stimmt die Chemie einfach nicht. Und das ist okay. Niemand muss im Job Freundschaften schließen oder auf Teufel komm raus harmonieren. Aber was wir einander schulden, ist Aufrichtigkeit. Ein ehrlicher Umgang. Ohne Spielchen. Ohne Fassade.
Ich kenne das Gefühl gut dieses Unbehagen, wenn Freundlichkeit nicht echt ist, sondern taktisch. Wenn Worte gesagt werden, die nichts bedeuten. Und das Bauchgefühl warnt dich, aber du sagst nichts, weil du funktionieren willst. Weil es höflicher scheint, zu lächeln, als auszusprechen, was man längst spürt.
Rückblickend weiß ich, es wäre so viel leichter gewesen, einfach ehrlich zu sein. Nicht verletzend. Nicht kühl. Sondern klar. Zu sagen: „Du, wir sind vielleicht kein gutes Team aber wir können respektvoll miteinander umgehen.“ Das ist kein Scheitern. Das ist erwachsen.
Denn man kann höflich sein, ohne sich zu verbiegen. Man kann ehrlich bleiben, ohne verletzend zu werden. Und man kann klar kommunizieren, ohne ein Drama daraus zu machen. Genau das wünsche ich mir mehr in der Arbeitswelt: Weniger Masken. Mehr Mut zur Echtheit. Schluss mit Ellenbogenmentalität.