Das Verhältnis der Geschlechter in Führungspositionen ist immer noch nicht gerecht verteilt. Nach wie vor dominieren Männer als Entscheider die Arbeitswelt. Müssen Frauen und andere Geschlechter also zu den besseren »grunzenden Alphamännchen« avancieren, um Karriere zu machen? Und wieso ist es so wichtig, dass wir uns die Frage nach Gleichberechtigung in Führungspositionen immer wieder stellen?

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Führungsqualitäten: Was ist das eigentlich?

Die Arbeit in einer führenden Position verlangt viele Fähigkeiten, die selten in Zeugnissen auftauchen, weil sie in der Ausbildung nicht vermittelt werden. Soft Skills sind nicht so leicht messbar wie Fachkenntnisse, was die Auswahl kompetenter Führungskräfte erschwert.

  • Menschen in Führungspositionen haben eine Vorbildfunktion. Sie müssen motivieren, anleiten und das Potenzial einzelner Mitarbeiter erkennen können.

  • Kommunikationsfähigkeit, Entscheidungsfreude und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zeichnen gute Führungspersönlichkeiten aus.

  • Konstruktiver Umgang mit Fehlern ist ein wesentliches Merkmal in führenden Positionen.

  • Wer führen will, braucht Leidenschaft und eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen.

Aber was haben diese Eigenschaften mit dem Geschlecht zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Trotzdem sind Frauen aktuellen Zahlen nach in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert, ganz zu schweigen von anderen Geschlechtern, die in Statistiken noch nicht einmal genannt werden. Die Wurzeln für dieses Ungleichgewicht sind weit verzweigt und haben eine lange Geschichte.

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Die Arbeitswelt ist kein Schwarzweißfilm!

Seid Ihr bereit für eine kleine Zeitreise? Dann gehen wir zurück in die Zeit des »Wirtschaftswunders«, als die Rollen zwischen Mann und Frau noch klar verteilt waren. Der Herr Generaldirektor sitzt in seinem Büro und trifft Entscheidungen, die tausende von Menschen beeinflussen. Welche Produkte bringen wir auf den Markt? Welche Verträge schließen wir ab? Welche Gewinne kommen bei den Arbeitern an, die ihre Familien versorgen müssen? Im Vorzimmer wirkt die Sekretärin des Chefs. Auch sie trifft Entscheidungen. Welche Kekse bekommt der Herr Direktor zu seinem Kaffee? Welcher Anruf wird durchgestellt?

Oft ist der Herr Direktor in dieser konservativen Welt das, was wir heute als »reichen, alten, weißen Mann« kategorisieren. Solche Feindbilder dienen allerdings niemandem, sie verhärten nur die Fronten. Die Sekretärin ist jung und hübsch und wenn der Herr Direktor Pech hat, wird diese Perle »weggeheiratet«. Fragt Ihr Euch jetzt, wo Frauen, die »weggeheiratet« wurden, eigentlich landeten? Meistens am Herd – denn bis 1977 war die sogenannte Hausfrauenehe im Gesetz verankert. »Die Ehefrau darf nur dann berufstätig sein, wenn sie dadurch ihre familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigt«, so stand es im Gesetz.

War ein Ehemann der Meinung, dass seine Frau das Essen nicht pünktlich auf den Tisch bringt, durfte er ihr Arbeitsverhältnis in ihrem Namen kündigen. Wer räumt einer Frau, der jederzeit das Arbeiten verboten werden kann, Aufstiegschancen ein? Was sich aus heutiger Sicht anhört wie eine absurde Anekdote aus dem Mittelalter, passierte bis zu dem Jahr, in dem ABBA mit »Money, Money, Money« einen Nummer 1 Hit hatte. Heute ist natürlich alles ganz anders. Das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern hat sich ja längst geändert, Gleichberechtigung ist alltäglich, vom Gesetzgeber verordneter Sexismus ist Geschichte. Aber stimmt das wirklich?

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Sind Führungsqualitäten eine Frage des Geschlechts?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll im Detail regeln, wie wir alle die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer geschlechtlichen Identität verhindern können. Seit 2019 zählt dazu in Stellenausschreibungen nicht nur die Suche nach Männer und Frauen (m/w), sondern auch nach nonbinären und intersexuellen Menschen, die unter dem Begriff »divers« zusammengefasst werden. Unternehmen kennzeichnen ihre Stellenausschreibungen seitdem mit dem Zusatz (m/w/d). Aber der Teufel liegt – wie so oft – im Detail.

Gerade im Bereich der Führungspositionen enthalten Stellenangebote oft verdeckten Sexismus, der nicht-männliche Bewerber davon abhält, in Erscheinung zu treten. Wie kann das passieren? Schuld an dieser Misere sind Formulierungen, die für unsere Ohren einfach gewohnt klingen. Denn ob wir wollen oder nicht, wir nehmen Sprache als geschlechtlich wahr. Sprachliche Bilder erzeugen in unseren Köpfen stereotype Vorstellungen, die uns unbewusst dazu bringen, »männliche« und »weibliche« Zuordnungen vorzunehmen.

Und viele Attribute, die in Stellenausschreibungen für Führungspositionen gewünscht sind, empfinden wir auf emotionaler Ebene als »typisch männlich«. Durchsetzungsstark, leistungsorientiert, innovativ, zielstrebig soll der neue Kandidat (natürlich m/w/d!) sein. Dieses Wording suggeriert aber: Wir suchen einen Mann, der auch die Ellbogen ausfahren kann! Denn als weiblich nehmen wir eher Attribute wahr wie: teamfähig, kommunikativ, kreativ, flexibel. Frauen und nonbinäre Bewerber:innen finden sich oft einfach nicht wieder im üblichen Wording der Führungsebenen – und schicken dann rein intuitiv gar keine Bewerbung auf den Weg.

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Rollenmodelle und das wahre Leben

Das wahre Leben ist natürlich um einiges komplexer als ein Stelleninserat mit wenigen Worten. Die Rollenmodelle, die uns alle geprägt haben, sind längst überholt und stammen aus der Zeit, als der Herr Generaldirektor noch in seiner Autorität baden konnte und die Vorzimmerdame den Kaffee servierte. Eine lebendige Unternehmenskultur braucht aber heute Diversität, nicht nur bei den Geschlechtern. Je vielfältiger die Mitarbeiter eines Unternehmens sind, umso erfolgreicher kann es agieren. Menschen verschiedener Geschlechter, Hautfarben und Kulturen wirken bereichernd, inspirieren sich gegenseitig und beflügeln gemeinsam das Potenzial jedes einzelnen – wenn die Führung stimmt.

Ein Team voller Diversität und Gegensätzlichkeit in eine gemeinsame Zukunft zu führen, ist eine Aufgabe, die mehr erfordert als einen »männlichen« oder »weiblichen« Führungsstil. Heute müssen Führungskräfte starre Rollenmodelle verlassen und Stereotype überwinden. Kommunikationsfähigkeit ist genauso wichtig wie Durchsetzungsvermögen, Empathie und Teamfähigkeit sind genauso wichtig wie die Fähigkeit zum Delegieren und klare Anweisungen zu geben. Diese Fähigkeiten bestimmten Geschlechtern zuzuordnen, ergibt allerdings in der modernen Arbeitswelt keinen Sinn mehr. Schließlich wissen wir längst, dass jeder Mensch – unabhängig von seiner geschlechtlichen Identität – lernen kann, was er oder sie lernen will.

Nicht gegeneinander, sondern miteinander!

Einen Krieg der Geschlechter in der Chef-Etage zu entfachen, ergibt keinen Sinn, wenn diese Etage längst eine Chef:innen-Etage sein müsste. Die Frage, welche Eigenschaften und Fähigkeiten nun eigentlich männlich oder weiblich sind, ist daher längst überholt. Starre Rollenmodelle führen immer zu defizitorientiertem Denken. Ein Mann kann sich nicht einfühlen, eine Frau kann nicht führen, ein Mann kann sich nicht unterordnen, eine Frau kann sich nicht durchsetzen, die Liste der angeblichen Defizite ist endlos.

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Viel konstruktiver ist es aber, nach den gemeinsamen Zielen zu suchen. Wenn wir erst einmal anfangen, Stereotype zu hinterfragen, stellen wir ganz schnell fest, dass vieles, was wir lange Zeit als selbstverständlich betrachtet haben, schlichtweg sexistisch ist. Menschen aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben ist genau das: Sexismus. Dazu gehört auch der benevolente Sexismus, der als verbrämtes Kompliment daherkommt. »Frau Müller, könnten Sie für das Meeting die Snacks vorbereiten? Sie als Frau wissen doch am besten, was sich da eignet!«

Genauso unsinnig wäre es, Herrn Müller auf die mysteriösen Fehlermeldungen des Druckers anzusetzen, weil er ja als Mann so viel von Technik versteht. Vielleicht ist Herr Müller ja aus der Design-Abteilung und begeisterter Hobby-Bäcker. Er würde sich bestimmt darüber freuen, die Snacks fürs Meeting zu organisieren, während wir den Drucker doch besser der Person anvertrauen, die sich damit auskennt, weil sie es gelernt hat.

Gleichberechtigung: Wenn Menschen einfach Menschen sind

Sobald wir uns die vielen kleinen Details bewusst machen, ändert sich die Arbeitswelt grundlegend. Wenn wir anfangen, Menschen aufgrund ihrer Stärken, Fähigkeiten und Kompetenzen zu schätzen und zu fördern, gewinnen wir alle. Niemand darf aufgrund seines Geschlechts daran gehindert werden, sein volles Potenzial zu entfalten. Nicht das biologische Geschlecht sollte über die Position eines Menschen im Unternehmen entscheiden, sondern die Ausbildung, die Leidenschaft, die Erfahrung und die Persönlichkeit.

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Vielleicht hätte das »Fräulein im Vorzimmer« ein viel besseres Gespür für innovative Produkte gehabt als der Herr Direktor – aber weil sie »weggeheiratet« wurde, werden wir es nie erfahren. In der Zukunft können wir es nur besser machen – alle zusammen, wertschätzend und unterstützend. Und das sind keine weiblichen Eigenschaften, sondern einfach nur menschliche.

Bildnachweis: katrinaelena/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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