Scheitern hat hierzulande kein gutes Image. Wer aus der Spur gerät, muss erklären – und das möglichst lückenlos. Eine Lücke im Lebenslauf? Muss begründet, kaschiert, kompensiert werden. Ein abgebrochenes Projekt? Besser nicht erwähnen. Das dominante Karriere-Narrativ lautet: Brüche sind Schwächen. Dabei erzählen sie oft viel mehr über Menschen als jeder reibungslose Aufstieg.
Hast du schon mal eine Bewerbung geschrieben, bei der du wusstest: Dieser eine Abschnitt, dieses eine Jahr – das wird unangenehm? Genau da beginnt das Problem. Wir haben verlernt, Scheitern als Teil von Entwicklung zu begreifen. Stattdessen dominiert die Fassade: Vollgas, Erfolg, Linearität.
Karriereknick als Chance: Warum Brüche weiterbringen
Die Vorstellung, dass Karrieren nur in eine Richtung verlaufen – nach oben –, hält sich hartnäckig. Schätzungen zufolge erlebt ein Großteil der Berufstätigen im Laufe des Arbeitslebens mindestens einen gravierenden Rückschlag: Kündigung, Krankheit, Burnout, beruflicher Fauxpas – die Gründe sind vielfältig. In Gesprächen berichten aber viele Betroffene, dass gerade nach solchen Knicken die wichtigste Entwicklung einsetzte, persönlich wie beruflich.
Was genau ist eigentlich ein Karriereknick?
Ein Karriereknick beschreibt einen deutlichen Bruch oder Richtungswechsel im Berufsweg – etwa durch Kündigung, Krankheit, Burnout oder bewusste Neuorientierung. Der Begriff ist nicht offiziell definiert, wird aber häufig verwendet, wenn der lineare Lebenslauf kurzzeitig stoppt oder eine unerwartete Wendung nimmt. Im Englischen spricht man von career setback (Rückschlag) oder career detour (Umweg) – Begriffe, die oft weniger stigmatisierend klingen, aber ähnliche Situationen meinen.
Auch in der Forschung sagt: Mutiges Handeln ist ohne das Risiko des Scheiterns kaum denkbar. Wer Verantwortung übernimmt, Innovationen vorantreibt oder neue Wege geht, wird zwangsläufig scheitern, zumindest punktuell. Entscheidend ist also nicht das Vermeiden des Bruchs, sondern der Umgang damit.
In der Diskussion um Zukunftskompetenzen rücken Fähigkeiten wie Lernbereitschaft, Fehlerakzeptanz und Anpassungsfähigkeit immer stärker in den Fokus. In vielen Unternehmensbefragungen gelten sie inzwischen als wichtiger als klassische Erfolgsnachweise. Ein stringenter Lebenslauf wird zwar noch immer gern gesehen, aber zunehmend relativiert durch die Frage: Was hat dieser Mensch wirklich aus schwierigen Phasen gemacht?
Trotzdem gelten solche Wege in vielen Unternehmen noch immer als Bruch – statt als Zeichen von Reife. Dabei zeigt gerade die Fähigkeit, Entscheidungen zu hinterfragen, Strukturen zu verlassen und sich beruflich neu zu orientieren, wie reflektiert jemand handelt.
Was dein Karriereknick über dich verrät
Viele Menschen bleiben zu lange in Strukturen, die nicht zu ihnen passen. Sie funktionieren, bis sie eben nicht mehr funktionieren. Der Bruch kommt dann nicht überraschend, sondern ist meist längst überfällig.
Auffällig ist: Wer eine Krise erlebt und sich wirklich mit ihr auseinandersetzt, trifft oft bewusstere Entscheidungen als je zuvor. Der Lebenslauf wird dabei nicht glatter, aber ehrlicher. Statt bloßer Aufwärtsbewegung entsteht Richtung. Statt Statusdenken: Substanz.
Gerade heute, sind solche Biografien kein Makel, sie sind Realität vieler Beschäftigter. Und doch spüren viele: Ein Karriereknick muss erklärt, relativiert, oft sogar verteidigt werden. Als müsste man sich entschuldigen, gewachsen zu sein. Und vielleicht liegt genau hier das Problem: Wir werten Fortschritt noch immer zu oft in Linien, nicht in Lernkurven.
Was Unternehmen beim Karriereknick (noch) nicht verstehen
Wer scheitert, lernt. Wer nie scheitert, wiederholt. So einfach könnte man es sagen. Doch in vielen Unternehmen heißt Leistung: funktionieren. Erfolg: keine Fehler machen. Sichtbarkeit: keine Schwächen zeigen.
Dieses Denken ist nicht nur falsch, es ist gefährlich. Denn es blendet genau jene Kompetenzen aus, die heute gebraucht werden: Selbstreflexion, Veränderungsbereitschaft, Resilienz. Menschen, die Brüche erlebt und verarbeitet haben, bringen oft mehr mit als ein perfekter CV: Sie kennen ihre Grenzen. Sie haben Krisen durchstanden. Sie wissen, wofür sie arbeiten – und wofür nicht mehr.
Die starre Karriereleiter hat ausgedient – Zeit für ein neues Leistungsdenken
Für Unternehmen heißt das: Nicht die lückenlosen, sondern die lernfähigen Lebensläufe sind die interessanteren. Und für Bewerber: Es lohnt sich, zum eigenen Bruch zu stehen. Denn wer gelernt hat, aus dem Knick eine Kurve zu machen, hat begriffen, dass echte Entwicklung selten gerade verläuft.
Welcher Karriereknick hat dich am meisten geprägt – und was hat er bei dir ausgelöst?