Im Büro wird gearbeitet. Angeblich. Manche starren angestrengt auf den Bildschirm, andere klicken ziellos herum. Dabei formt sich ein Gedanke, den viele kennen: Am Ende landet die ganze Arbeit doch wieder bei mir. Bin ich hier die einzige Person, die wirklich etwas leistet? Dieses Gefühl haben viele. Zu viele.

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In der Sozialpsychologie gibt es einen Begriff für genau dieses Gefühl: Illusory Superiority – die kognitive Verzerrung, bei der Menschen ihre eigenen Fähigkeiten oder Leistungen im Vergleich zu anderen überschätzen. Menschen neigen dazu, sich selbst als „über dem Durchschnitt“ zu sehen – statistisch natürlich unmöglich, wenn man daran denkt, dass nur die Hälfte über dem Durchschnitt liegen kann.

Diese Selbstüberschätzung zeigt sich über Lebensbereiche hinweg: bei der Einschätzung des eigenen Fahrvermögens, der Intelligenz, der Führungsfähigkeiten oder eben der Arbeitsleistung. Das ist keine „Arroganz“, sondern ein kognitives Phänomen. Es hilft uns, ein positives Selbstbild zu bewahren, verzerrt aber auch unsere Wahrnehmung darüber, wie die Arbeit wirklich verteilt ist.

Wir lieben Effizienz

Die Psychologen Michael Ross und Fiore Sicoly prägten dafür den Begriff des „Egocentric Bias“: Was wir selbst geleistet haben, wissen wir: die Mails, die Präsentationen, wie oft wir für einen Kollegen eingesprungen sind.

Was wir nicht wissen: wie viel Mühe, Abstimmung oder Recherche bei anderen in Aufgaben steckt, die wir selbst nicht sehen. Diese blinden Flecken in der Beobachtung führen dazu, dass wir unsere Leistung systematisch höher bewerten als die der anderen.

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Gerade im Berufsleben wird Selbstwahrnehmung oft mit Erfolgserwartungen gekoppelt. Dabei lässt sich in vielen Wissens- und Kreativjobs Leistung nicht objektiv messen. Niemand hat klare Zahlen über Ideen, strategische Weitsicht oder stille Problemlösungen parat. Wer aber sichtbar viele Aufgaben schnell erledigt, fühlt sich automatisch leistungsstärker. Gleichzeitig vergleichen wir uns mit Eindrücken, nicht mit Fakten: Wir wissen, wie anstrengend unser Tag war, bei den anderen vermuten wir nur.

Die drei Gesichter der Selbstüberschätzung – laut Wissenschaft

Was wir im Alltag als „Selbstüberschätzung“ bezeichnen, ist in der Psychologie kein einheitliches Phänomen. Die Forscher Don A. Moore und Paul J. Healy von der Carnegie Mellon University haben in ihrer Studie „The Trouble With Overconfidence“ (2008) gezeigt, dass es mindestens drei klar voneinander abgrenzbare Formen gibt:

  • Overestimation: Wir überschätzen unsere absolute Leistung. Beispiel: Wir glauben, an einem Tag 25 Aufgaben zu schaffen, obwohl realistisch nur 15 möglich sind.
  • Overplacement: Wir glauben, im Vergleich zu anderen besser abzuschneiden. Beispiel: Wir halten uns für die fähigsten im Team, obwohl objektive Leistungsdaten das nicht belegen.
  • Overprecision: Wir sind uns übermäßig sicher, dass unsere Einschätzungen korrekt sind, selbst wenn uns wichtige Informationen fehlen.

Diese drei Effekte treten unabhängig voneinander auf. Das bedeutet: Jemand kann sich im Vergleich zu anderen als überlegen empfinden (Overplacement), aber gleichzeitig seine eigene absolute Leistung unterschätzen (kein Overestimation). Oder jemand hält sich für durchschnittlich, ist sich aber extrem sicher in seinen falschen Antworten (Overprecision). Ok, ein wenigig komplziert. 

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Die Studie zeigt außerdem, dass diese Verzerrungen nicht einfach Ausdruck von Überheblichkeit und Arroganz sind. Vielmehr beruhen sie auf systematischen Denkfehlern, fehlender Rückmeldung und einer natürlichen Verzerrung unserer Erinnerung: Wir wissen sehr genau, was wir selbst geleistet haben, aber kaum etwas über das, was andere tatsächlich tun.

Moore und Healy konnten zudem experimentell belegen, dass Overplacement besonders hartnäckig ist: Selbst wenn man Menschen explizit Feedback gibt, korrigieren sie ihre Vergleichseinschätzung nur langsam. Viele halten sich weiterhin für überdurchschnittlich. Viele halten sich weiterhin für überdurchschnittlich – denn wer stellt schon gern sein Selbstbild infrage?

Diese Effekte sind aber nicht nur aus psychologischer Sicht interessant. Sie haben konkrete Auswirkungen auf den Berufsalltag: Wer glaubt, stets mehr zu leisten als andere, neigt zu Frust, wenn die erhoffte Anerkennung ausbleibt. Teamkonflikte können sich so verschärfen, wenn alle Beteiligten subjektiv glauben, den größten Beitrag zu leisten.

Wenn du also das Gefühl hast, du leistest mehr als dein Umfeld, dann könnte das stimmen – oder auch nicht. Entscheidend ist: Du siehst nur deinen Teil der Geschichte.

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Unser Gehirn flunkert – zu unseren Gunsten

Das Paradoxe daran: Zwar wollen wir möglichst objektiv sein. Gleichzeitig schützt uns unser Gehirn vor allzu harten Selbsturteilen. Diese Mischung macht uns anfällig für eine allzu positive Selbsteinschätzung im Job, die wiederum die Zusammenarbeit erschweren kann. Wir fordern mehr Anerkennung, weil wir glauben, sie mehr verdient zu haben. Wir übersehen Beiträge anderer. Wir ärgern uns über vermeintlich passive Kolleginnen und Kollegen, ohne deren Kontext wirklich zu kennen.

Es gibt kein magisches Rezept. Aber ein erster Schritt ist, die eigene Verzerrung zu erkennen oder zumindest zu hinterfragen. Und vor allem: Reden hilft. Nicht in Form herablassender Rückfragen oder versteckter Kritik, sondern mit echtem Interesse am Aufgabenspektrum der Kolleginnen und Kollegen.

Frag doch mal nach, zum Beispiel so: Was machst du in deinem Job oder Bereich eigentlich konkret? Wie gehst du an XY heran? Wo hakt es gerade, oder was ist besonders schwierig? Wer mit beiden Ohren zuhört, merkt schnell: Die meisten im Team arbeiten hart, vielleicht nur anders, als man denkt.

Also: Nutze objektive Kriterien, wenn du deine eigene Leistung bewertest. Und erinnere dich daran, dass du nicht der alleinige Dreh- und Angelpunkt im Büro bist. Aber vielleicht einer von mehreren, die den Laden gemeinsam am Laufen halten.

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