Wer sich außerhalb des Jobs mit arbeitsbezogenen Aufgaben beschäftigt, sichert sich Vorteile im Beruf und in der Karriere – riskiert aber auch chronische Überarbeitung, die sich oftmals leise und versteckt einschleicht.

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„Entspann dich, Deutschland!“, so lautet der Titel der TK-Stressstudie 2021. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Arbeit zähle zu den wichtigsten drei Stressverursachern – neben der Erkrankung unserer Liebsten sowie dem eigenen oft zu hohen Anspruch an uns selbst. Das Stresslevel in Deutschland habe der Untersuchung nach deutlich zugenommen.

Dabei ist es nicht nur die offensichtliche Überarbeitung, die sich zum Beispiel durch Überstunden oder der Arbeitsbelastung im Büro ergibt. Es sind auch die „versteckten Aufgaben“, die zu einer Überarbeitung führen können: Die kleinen Sachen, die wir vermeintlich mal schnell nebenbei erledigen, die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit aber unberücksichtigt lassen.

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Die Notizen, die wir uns während des Urlaubs machen, obwohl wir entspannt am Strand einen Cocktail genießen wollten. Den Blog, den wir uns durchlesen, weil dieser für unser neues Arbeitsprojekt wichtig sein könnte, obwohl wir Wochenende haben und mit den Kindern entspannen.

Arbeit außerhalb der Arbeit – sie ist zum Standard in unserer modernen Arbeitswelt geworden, in der wir ständig online, erreichbar und up to date sind. Ob für Prestige, um uns selbst etwas zu beweisen oder weil wir Angst haben, unvorbereitet auf der Arbeit aufzutauchen und beim Mittagessen nicht mitreden zu können. Auch wenn der Chef uns nicht gebeten hat, mehr zu leisten, wollen wir es dennoch tun, um vielleicht ihn oder sie zu beeindrucken und die Beförderung zu bekommen. Die Gründe, weshalb Arbeit uns 24/7 begleitet, sind vielfältig

Das Motiv für zusätzliche Aufgaben ist entscheidend

Die kalifornische Psychologin Christina Maslach sieht nicht nur die Kehrseite dieser neuen Arbeitsart, die sich leiser, aber konstant in unseren Alltag eingeschlichen hat. Es lohne sich, so Maslach, sich folgende Fragen zu stellen:

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  • Welchen Unterschied macht die Extraarbeit für uns persönlich?
  • Gibt uns das zusätzliche Leisten Sicherheit für die Arbeit?
  • Gibt uns die Extraarbeit einen Mehrwert?

Sofern wir diese Fragen bejahen können, so die Psychologin, könne sich der zusätzliche Aufwand tatsächlich lohnen. Gleichzeitig ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und nicht zu übertreiben.

Wenn wir nur aus Angst oder Druck handeln, und emotional nicht aus „freien Stücken“ heraus, sollten wir uns fragen, ob es sich um ein grundsätzliches Problem handelt, welches wir mit uns herumschleppen. Das kann zum Beispiel die Versagensangst sein, die wir spüren. Oder der Vergleich mit anderen; das Konkurrenzdenken, welches sich von einem gesunden Antriebsgeist in ein ungesundes Kräftemessen verwandelt.

Hybride Arbeitswelt verstärkt das Phänomen der versteckten Überarbeitung enorm

Die vermeintlich schnell erledigten Dinge, die zwar arbeitsbezogen sind, sich aber in unser Privatleben einschleichen, werden vor allem durch die Bedingungen der neuen Arbeitswelt gefördert.

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Die zeit- und ortsunabhängige Arbeitsweise zum Beispiel: Wir kennen ihre Vorteile, etwa die Freiheit sowie Flexibilität und Selbstbestimmung, die wir erleben. Gleichzeitig können wir, wenn wir so leben und arbeiten, nicht einfach „off“ gehen, abschalten, zur Ruhe kommen.

Das unausgesprochene Gesetz unserer digitalen Welt macht es fast unmöglich, sich nicht zu rechtfertigen, wenn wir nach der Arbeit einfach alles stehen und liegen lassen, keine zusätzlichen To-dos erledigen oder eine E-Mail nicht beantworten. Wenn uns die Überarbeitung getroffen hat, ist es meist schon zu spät, vorbeugend zu handeln.

Wie erkenne ich, dass ich mich außerhalb der regulären Arbeitszeit überarbeite?

Traurige Zahlen zum Thema Überarbeitung hat die WHO veröffentlicht. Bereits im Jahr 2016 kostete das Thema Arbeitsüberlastung viele Menschenleben. Weltweit wären zum Beispiel rund 398.000 Menschen an einem Schlaganfall erkrankt, den sie nicht überlebt hätten. Viele derjenigen, die mindestens 55 Wochenstunden oder auch mehr arbeiteten, wären an einer koronaren Herzerkrankung gestorben.

Wichtig ist deshalb, dass wir die Symptome für eine arbeitsbedingte Überlastung im Blick behalten und Warnsignale rechtzeitig erkennen. Sie haben viele Gesichter und werden häufig als „vorübergehender Stress“ abgetan. Dabei schützt es uns vor allem, Signale von Körper und Psyche nicht zu ignorieren:

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Warnsignal #1: Ein- und Durchschlafprobleme

Ein unruhiger Schlaf sowie generelle Schlafprobleme deuten auf ein erhöhtes Stresslevel hin. Wer seine Arbeit „mit ins Bett“ nimmt und an nichts anderes denken kann, auch im Urlaub, an freien Tage oder am Wochenende, könnte überlastet sein.

Warnsignal #2: Veränderte Essgewohnheiten

Ob Appetitlosigkeit oder viel mehr Lust auf Zucker als sonst: Auch veränderte Essgewohnheit deuten darauf hin, dass ein körperliches und/oder mentales Ungleichgewicht herrscht. Wenn du merkst, dass du aus Stress heraus isst oder dich beim Gedanken an die Arbeit gar mit Essen ablenken möchtest, ist es ebenfalls ein Warnsignal dafür, dass du dich unausgeglichen fühlst.

Warnsignal #3: Kopfschmerzen, Herzrasen, Schweiß

Dir geht es emotional gut, aber dein Körper gibt dir eindeutige Signale, dass etwas nicht in Ordnung ist? Psychosomatische Symptome sollten keinesfalls unterschätzt werden. Wenn dein Arzt oder deine Ärztin keinen Hinweis auf eine organische Ursache für physische Auffälligkeiten findet, könnten diese ein Ausdruck deiner Psyche sein, wenn du überarbeitet bist.

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Warnsignal #4: Energie- und Antriebslosigkeit

Du erledigst deine Arbeit, fühlst dich ansonsten aber eher energielos, um noch etwas in der Freizeit zu unternehmen? Dir fehlt immer der Antrieb, wenn Partner, Freunde oder Kinder etwas mit dir unternehmen wollen? Auch dieses Warnsignal solltest du nicht unterschätzen.

Warnsignal #5: Soziale Isolation

Leistungsdruck und Versagensängste können ein Grund dafür sein, dass wir am liebsten einfach allein sein möchten. Soziale Isolation kommt deshalb auch vor, wenn wir uns nicht weiter mit anderen Menschen beschäftigen möchten, um bei niemandem Rechenschaft abzulegen. Zum Beispiel, weil wir doch nicht so viel geschafft haben, wie wir es uns selbst vorgenommen haben und Frust sowie Enttäuschung sich breitmachen.

Warnsignal #6: Nervosität, innere Unruhe

Du bist hibbelig, unruhig und schnell gereizt – vor allem beim Gedanken an die Arbeit? Wenn dieser Zustand zum Dauerzustand wird und du auch privat nicht abschalten kannst und lieber zusätzliche Aufgaben erledigst, könnte es eindeutig darauf hinweisen, dass es zu viel ist. Wer nicht abschalten kann, steckt meist besonders tief „in der Patsche“ und leidet unter dem permanenten inneren Druck, mit dem wir uns wie unter Strom fühlen.

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Wie beuge ich versteckter Überarbeitung vor?

Es ist keine Mammutaufgabe, sich „still und leise“ zu überarbeiten: Wir müssen nur unseren Laptop anschalten, unser Arbeitstelefon bei uns haben und uns für den Urlaub einige arbeitsbezogene Podcasts herunterladen, um bloß nichts zu verpassen. Wenn es nicht ohne geht, solltest du konsequent genug sein und dir eine feste Start- und Endzeit setzen – und deine „Arbeit außerhalb der Arbeit“ beenden, wenn dein Timer dir ein Signal gibt. Keine Sekunde zusätzlich. Trenne deinen Arbeitsplatz von deinem Schlafplatz, um Schlafproblemen vorzubeugen.

Neben diesen praktisch umsetzbaren Tipps solltest du dir zudem Gedanken über das „Warum“ machen:

  • Warum arbeitest du nach der Arbeit?
  • Welche Aufgaben erledigst du – und können sie warten, bis du im Büro bist?
  • Wie viel davon möchtest du wirklich mit nach Hause an den Küchentisch und in die Kinderzimmer nehmen?
  • Was ist dein innerer Antrieb?

Hand aufs Herz: Ob zusätzliche Aufgaben, um den Chef zu beeindrucken oder Fortbildungen, Podcasts, Seminare, Blogs oder Inspo – frage dich, was DIR persönlich einen Mehrwert bringt und was davon dich in die völlige Erschöpfung treibt. Festhalten und Loslassen ist in unserer neuen Arbeitswelt ein Balanceakt.

Bildnachweis: Unsplash+/Getty Images

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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