Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland möchte kürzer arbeiten – im Schnitt 4,2 Stunden pro Woche weniger. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) unter über 4.000 Arbeitnehmern. Besonders groß ist der Wunsch bei jenen, die ohnehin schon viel arbeiten: Wer über 48 Stunden pro Woche im Job ist, würde gerne fast 15 Stunden weniger arbeiten.

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Doch dieser Wunsch bleibt oft unerfüllt. Nur 40 Prozent der Befragten arbeiten tatsächlich so viel, wie sie es in ihrer aktuellen Lebenssituation für richtig und angemessen halten.

Warum so viele ihre Arbeitszeit nicht anpassen können, hat laut DGB-Studie drei zentrale Gründe:

  • Unflexible betriebliche Abläufe (63 %)
  • Hohe Arbeitsanforderungen (60 %)
  • Finanzielle Gründe (59 %)

Teilzeit ist weiblich – und oft nicht freiwillig

Die Wunschlücke bei der Arbeitszeit ist kein geschlechtsneutraler Befund – im Gegenteil: Frauen sind deutlich häufiger gezwungen, ihre Erwerbsarbeit an private Verpflichtungen anzupassen. Laut DGB-Umfrage arbeiten sie im Schnitt 7,6 Stunden pro Woche weniger als Männer.

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Ein zentraler Grund dafür ist die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit: 45 Prozent der erwerbstätigen Frauen übernehmen überwiegend selbst die Betreuung ihrer Kinder. Bei Männern trifft das nur auf zwei Prozent zu.

Die Konsequenz: Wer zu Hause den Großteil der Care-Arbeit trägt, kann im Job nicht voll einsteigen. Beschäftigte mit Hauptverantwortung für Kinderbetreuung arbeiten im Schnitt nur 28 Stunden pro Woche – das sind mehr als zehn Stunden unter dem gesamtdeutschen Mittel.

Diese strukturelle Teilzeitfalle trifft vor allem Frauen, nicht, weil sie weniger arbeiten wollen, sondern weil sie müssen. Erwerbs- und Sorgearbeit sind in Deutschland noch immer ungleich verteilt.

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Arbeitszeit erhöhen? Für viele Beschäftigte bleibt das Wunschdenken

Nicht alle Beschäftigten wollen kürzer treten. Rund sieben Prozent der Befragten würden ihre Wochenarbeitszeit gerne erhöhen. Das betrifft vor allem Menschen in Teilzeit, die auf zusätzliche Stunden angewiesen wären – sei es aus finanziellen Gründen oder zur besseren beruflichen Entwicklung.

Doch auch dieser Wunsch scheitert häufig:

  • an unflexiblen Arbeitsabläufen (51 %)
  • an der Ablehnung durch Vorgesetzte (36 %)
  • oder daran, dass passende Stellen fehlen (31 %)

Hinzu kommt bei vielen Frauen ein weiterer Faktor: die Kinderbetreuung. 29 Prozent der Frauen, die gerne mehr arbeiten würden, nennen Care-Arbeit als Hindernis. Bei Männern ist dieser Wert mit 12 Prozent deutlich niedriger.

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Zwischen Betriebslogik und Lebensrealität

Die DGB-Daten werfen eine grundsätzliche Frage auf: Wie viel Selbstbestimmung erlauben Unternehmen ihren Beschäftigten, wenn es um Zeit geht?

Ob jemand mehr oder weniger arbeiten kann, hängt nicht nur vom eigenen Wunsch ab, sondern vom betrieblichen Rahmen. Wer kürzertreten will, bekommt die Arbeitslast nicht reduziert. Wer aufstocken möchte, bekommt keine oder kaum zusätzliche Stunden.

Das ist nicht nur ein Problem für Beschäftigte, sondern auch für Arbeitgeber. Denn wer keine flexiblen Modelle bietet, verliert wertvolle Fachkräfte, Potenzial und Motivation. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann sich das kein Unternehmen mehr leisten.

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Zeit ist mehr als Arbeit

Der Wunsch nach mehr zeitlicher Selbstbestimmung ist längst da. Er kommt aus der Mitte der Arbeitswelt – von Vollzeitkräften, von Eltern, von Teilzeitbeschäftigten. Aber Wunsch allein reicht nicht. Es braucht betriebliche Modelle, tarifliche Absicherungen und eine Kultur, die Zeit nicht nur als Kostenfaktor, sondern als Ressource begreift.

Denn Zeit ist mehr als Arbeitszeit. Sie ist Lebenszeit, Lernzeit, Familienzeit, Erholungszeit. Und wenn Unternehmen wollen, dass Menschen länger gesund, motiviert und leistungsfähig bleiben, müssen sie aufhören, Arbeitszeit als fixe Zahl zu behandeln und anfangen, sie flexibel, gerecht und strategisch zu gestalten.

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