Zu faul? Nein: Unterbezahlte Lohnarbeit, Überlastung und irrationale Erwartungen befeuern die sinkende Arbeitsmoral und Null-Bock-Einstellung von Erwerbstätigen.

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Vorwurf: Keine Arbeitsmoral, keine Arbeitsbereitschaft

Der Arbeitseifer habe nachgelassen. Menschen hätten heute weniger Lust, ihr Geld mit harter Arbeit zu verdienen; Arbeitnehmer seien heute generell fauler als früher.

Solche moralischen Entrüstungen sind allgegenwärtig und angesichts der wachsenden Personallücken verständlich. Und sicherlich gibt es in jeder Generation systematische Drückeberger. Kein Geheimnis. Aber „faul“ ist eine zu einfache, verallgemeinernde Beschreibung für Menschen, die sich weigern, sich mit einem Arbeitssystem zufriedenzugeben, das Beschäftigte psychisch an ihre Belastungsgrenzen bringt und sie manchmal sogar zerstört.

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Erwerbstätige hatten früher nicht so viele Möglichkeiten und den technologischen Fortschritt, der sich sukzessiv aufbaute, um sich die Arbeit zu erleichtern. Das stimmt. Die Zeiten und Möglichkeiten haben sich geändert. Arbeitnehmer genießen mehr Freiheiten.

Die Forderungen und die Arbeitsmoral junger Menschen als faul abzutun, schreit jedoch auch nach einer traurigen Bemühung, das in Schutz zu nehmen, was von denen, die sich beklagen, selbst jahrelang hingenommen und akzeptiert wurde – oder vielleicht auch akzeptiert werden musste, um zu überleben: Arbeiten bis zum Umfallen. Schuften auf Kosten der Gesundheit und des eigenen Lebens. Weniger realistische Chancen, eine gesunde Work-Life-Balance zu haben.

Sozialanthropologe: Wir erkranken wegen der Ansprüche an unsere Arbeitsleistung

Cambridge-Anthropologe James Suzman beschreibt es mit anderen Worten: Es komme zu einer Schieflage zwischen dem, was wir an Energie und Zeit investierten, um zu arbeiten, und dem, was als Ergebnis folge. Menschen seien heute, so Suzman, zu lange, zu viel und auch in unnötigen Jobs tätig. Es gäbe viele essenzielle Berufe, keine Frage. Aber dennoch sei es zum Problem geworden, das Leben sowie unsere Gesellschaft nach unseren Jobs auszurichten. Wegen solcher Ansprüche gibt es Burnout und chronischen Stress.

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Es den Arbeitnehmern von heute zum Vorwurf zu machen, nicht mehr auf Kosten der mentalen und körperlichen Gesundheit arbeiten zu wollen, ja, gegen die menschliche Natur zu arbeiten, klingt deshalb seltsam verbittert. Es klingt auch wie ein verzweifelter Versuch, die Existenz der eigenen Arbeitsmoral, die darauf basiert, menschliche Grundbedürfnisse ausschließlich im Job zu befriedigen, zu rechtfertigen. Denn laut Sozialanthropologen Suzman sei unser Wirtschaftssystem „extrem gut“ dafür geeignet. Und das führe zwangsläufig dazu, die Arbeit zum Mittelpunkt des Lebens zu machen.

Er fordere nicht eine Rückkehr zur Kultur der „Jäger und Sammler“. Denn natürlich wollen wir heute nicht auf den Fortschritt und das Leben, wie wir es leben – mit den ganzen Vorzügen und dem Luxus – verzichten. Es seien jedoch neue Experimente und Wege notwendig, um Arbeit anders zu organisieren und auch die Einstellung zum Thema Arbeit zu überdenken.

Arbeitsunlust: Es ist heute einfacher, krankmachende Themen anzusprechen

Das Arbeitssystem ist menschengemacht und Systeme brauchen Jahre und Generationen, um sich zu entwickeln und zu verändern. Und gerade ist so eine Zeit, in der Veränderung geschieht, weshalb sich ein Generationskonflikt auftut. Die, die es sich selbst nicht erlauben durften, die Gesundheit zu priorisieren, klagen jetzt – was aus psychologischen Gesichtspunkten nachvollziehbar ist – besonders laut. Denn heute ist es einfacher, darüber zu sprechen, was früher nicht sein durfte. Und früher durfte Arbeitsunlust nicht gezeigt werden, die aber menschlich und logisch ist, wenn wir mehr arbeiten, als wir sollten – in einem widersprüchlichen Arbeitssystem.

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Früher war auch psychische Gesundheit ein Tabu: Wer schwächelte, gehörte „in die Klapse“ und zum „Nervenarzt“; sei nicht ganz bei Trost und „schwach“ oder „faul“. Heute wissen wir, dass es früher wahrscheinlich nicht weniger Depressionen wegen der krankmachenden Arbeitswelt gab – sondern, dass psychische Erkrankungen schlicht und ergreifend nicht diagnostiziert worden sind, weil im Vergleich nur wenige Arbeitnehmer sich getraut haben, hinzusehen oder sich Hilfe zu holen. Denn die Arbeitskultur von Unternehmen sowie die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz haben es nicht zugelassen. Es verwundert nicht – denn psychische Erkrankungen sind in den meisten Fällen nicht sichtbar, etwa wie ein kaputtes Bein.

Dass junge Menschen sich eher zeigen und bereit sind, Veränderung einzufordern und sich weigern, sich kaputt zu arbeiten, hat auch mit dem Fortschritt der Sensibilisierung und der Aufklärung des Themas zu tun. Die Awareness in Bezug auf mentale Gesundheit wächst. Prioritäten werden anders gesetzt. Heute wissen wir, dass Arbeitsüberlastung krank macht und eine Seele, die leidet, keine gute, produktive, gesunde Arbeitskraft sein kann.

Arbeit muss sich lohnen – nicht nur wegen des Geldes

Die arbeitsmoralische Aufgebrachtheit der Menschen, die sich über die Einstellung junger Erwerbstätiger beschweren, vernachlässigt noch eine weitere Komponente: Der Arbeitnehmermakt wächst. Unternehmen sind auf Fachkräfte und Personal angewiesen, auf Menschen als ihre wichtigste Ressource. Erwerbstätige von heute haben – nicht in allen Berufen, vor allem nicht im Niedriglohnsektor, aber in den überwiegenden Teilen – die Wahl.

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Deshalb kann Lohnarbeit nicht einfach nur Lohnarbeit bleiben. Sie muss auch eine Sinnarbeit sein. Wenn der Faktor Geld unwichtiger wird und als Reiz, arbeiten zu gehen, nicht mehr ausreicht, bedarf es dieser wichtigen Komponente. Arbeit muss sich lohnen und attraktiver werden, sinnvoll sein, eine Mission haben, die sich mit den eigenen Werten vereinen lässt. Kaputtmachende Arbeit, die zu Burnout, Einsamkeit und Depressionen führt, ist keine sinnvolle Arbeit.

Sinnvoll ist sie, wenn der Beruf sich mit dem Privaten so vereinen lässt, dass ein Leben außerhalb des Jobs stattfinden kann. Es gilt, sich mit schwierigen Themen, die real sind – etwa wie das Work-Life-Blending – auseinanderzusetzen und ihnen eine Chance zu geben. Nicht, weil sie sie bräuchten – denn die Veränderung kommt ohnehin. Sondern, um selbst Frieden damit zu finden, dass die Arbeitswelt sich im Wandel befindet.

Was Arbeitnehmer der Zukunft brauchen, um zu arbeiten

Es wirkt provokant, was junge Arbeitnehmer einfordern – aber nur, weil sie erkannt haben, dass sie sich nicht opfern müssen, um zu leben. Sie haben eine andere Arbeitsmoral. Hinter der Pauschalisierung „faul“ verbirgt sich viel mehr; ein Arbeitssystem, welches einen Widerspruch zu dem darstellt, was der Mensch braucht. Etwas, was der Mensch in einer kapitalistischen Wirtschaft systematisch aufgebaut hat, in Diskrepanz zu der eigenen menschlichen Natur und ihren Grenzen.

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Der stille Protest der Quiet Quitter ist deshalb im Grunde ein sehr lauter, sehr sichtbarer Protest: Junge Menschen wünschen sich andere Bedingungen zum Arbeiten. Sie wollen sich nicht für ihren Beruf verkaufen, um leben zu können. Sie brauchen Motivation und Sinnhaftigkeit, einen gesunden Arbeitsplatz. Dies gilt für alle; für angehende Führungskräfte und Fachkräfte, für Menschen im Niedriglohnsektor, die sich überarbeiten und für die, die auf der Suche sind nach einem Job, der ihnen mehr als Geld bietet.

Fachkräfte und Arbeitnehmer der Zukunft sehen es nicht ein, sich einem neoliberalen Wohlstandsversprechen zu widmen, das mit seiner Art des Wirtschaftens mehr Schaden als Nutzen bringt. Dass Personal fehlt und Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben, ist kein „Phänomen“, das plötzlich da war. Arbeitsunlust ist keine Überraschung. Sie ist ein natürliches Resultat dessen, was jahrelang ignoriert wurde: dass Menschen nicht dazu gemacht sind, bis zum Abwinken zu schuften und Arbeit nicht der Sinn des Lebens ist – sondern ein Teil des Lebens.

Bildnachweis: Foto von cottonbro studio/Pexels.com

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Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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