Keine Überstunden mehr, nur das Nötigste erledigen: Die „Quiet Quitter“ werden in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert. Was hinter dem Trend steckt, welche Erfahrung Millennials machen und warum Arbeitgeber sich die Haare raufen.

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Noch vor wenigen Monaten waren Begriffe wie „Big Quit“ oder „The Great Resignation“ in aller Munde: Angestellte haben Anfang des Jahres 2021 en masse gekündigt oder wurden entlassen. Das aktive Geschehen wird nun von einem passiven ersetzt, welches als „Quiet Quitting“ bekannt ist.

Was bedeutet Quiet Quitting?

Quiet Quitting, also die leise Kündigung, liegt in den USA gerade im Trend. Seit ein TikTok-Nutzer namens „zaidleppelin“ einen zum Thema passenden Post öffentlich gemacht hat, ist regelrecht ein Feuer um den brisanten „Arbeitstrend“ entfacht. Mehrere Millionen Aufrufe unterstreichen die Wichtigkeit, vor allem bei den Millennials und Gen Z.

Der Begriff wird unterschiedlich definiert. Grundsätzlich bedeutet er:

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  • Beschäftigte kündigen ihren Job nicht, tun auf der Arbeit aber lediglich das Notwendigste – und nicht mehr.
  • Sie machen pünktlich Feierabend, widmen sich danach nur noch ihrer Familie, ihrer Freizeit oder einer Sache, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hat.
  • Der Laptop bleibt jetzt auf der Arbeit, E-Mails und Nachrichten von Kollegen und Chefs werden erst zur Arbeitszeit beantwortet; keine Abrufbereitschaft.

Darüber hinaus ist es üblich, keine „Zusatzaufgaben“ zu übernehmen: Einen kleinen Gefallen für den Chef, eben mal etwas kopieren oder organisieren? Das spricht gegen das Prinzip, was man als eine Art leise Protesthaltung sehen könnte.

Dabei geht es für einige darum, persönliche Grenzen aufzuzeigen. Andere möchten weniger Arbeitsstress verspüren oder mehr Entspannung und Freizeit haben, um etwas für ihre mentale Gesundheit zu tun. Nicht der Job ist Mittelpunkt des Lebens, sondern alles, was außerhalb des Jobs wichtig ist.

Eine Umfrage der Seite „resumebuilder.com“ zeigt, wie ernst es um Arbeitnehmer steht: Schon jetzt betiteln 21 Prozent der Beschäftigten in den USA sich selbst als Quiet Quitter. Unter den Befragten gaben einige Angestellte an, dass sie noch vor einem halben Jahr mehr gearbeitet haben und dies mittlerweile nicht mehr tun.

Erfahrungen von Millennials: So gehen sie in die leise Kündigung

Bis zu 60 Stunden pro Woche hat Daniella Flores in ihrem früheren Tech-Job gearbeitet. Als IT-Expertin in einem Finanzunternehmen hat sie dabei nicht nur ihre eigenen Aufgaben erledigt, sondern viel Mehrarbeit geleistet. Als sie nach einer entsprechenden Position sowie einer Gehaltsanpassung fragte, der ihrer Arbeitsleistung gerecht wurde, lehnte ihr Chef ab.

Die Ablehnung war für Flores zwar ein herber Schlag, aber zugleich eine Chance: Sie hat intern das Team gewechselt, damit begonnen, klare Grenzen zu setzen und nur so viele Stunden zu arbeiten, wie viel tatsächlich notwendig sind und gerade reichen, um das Nötigste zu erledigen. Sie begann mit ihrem quiet quitting. Ihr persönliches Motiv: keine Überarbeitung mehr.

Innerlich grenzte sie sich mental ab und brachte es auf der Arbeit auf 40 bis maximal 45 Stunden pro Woche. Heute arbeitet sie freiberuflich und betreibt einen Blog als Autorin. Ihren Tech-Job im Unternehmen hat sie vollständig aufgegeben.

Probleme lösen sich nicht schneller, wenn wir uns ständig sorgen

Ein weiteres Beispiel ist Content Creator und Autor Calyton Farris. Für ihn bedeutet die leise Kündigung, andere Dinge als wichtig zu erachten, während die Arbeit in den Hintergrund rückt. Es ginge um Selbstachtung und Selbstfürsorge, denn seines Erachtens ist quiet quitting eine Taktik dafür.

Der 41-Jährige hat mit ständigen Sorgen gelebt – und seine Arbeitswoche hat sich so angefühlt, als würde er 50 Stunden tätig sein, obwohl es nur ungefähr 30 sind. In einem TikTok-Video adressiert Farris die leise Kündigung an den Stress und an die Hektik, die wir tagtäglich im Berufsleben ertragen.

Statt eine E-Mail zu verfassen und auf die Antwort zu warten, klappt er seinen Laptop nach dem Verfassen einfach zu – und geht zum Beispiel an den Strand. Seine persönliche Einstellung: Ein Problem löst sich keinesfalls schneller, wenn wir uns noch mehr Sorgen machen.

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Arbeitgeber suchen Rat im Netz

In den sozialen Netzwerken werden jetzt immer mehr verzweifelte Stimmen lauter. Nicht die der Beschäftigten, sondern die der Arbeitgeber. Sie suchen nach Rat: Was muss passieren, damit ihre Angestellten wieder motivierter sind und Abstand von der passiven Arbeitshaltung nehmen? Was können sie selbst tun, damit es aufhört?

Viele Arbeitgeber fürchten sich vor diesem Trend. Quiet Quitter könnten ein Risiko für sie darstellen – denn plötzlich ergibt sich eine „Lücke“, die zuvor nicht existent war. Sie zeigt sich in Form der fehlenden Beschäftigten, die länger bleiben, um weitere Aufgaben zu erledigen, die Motivierten, die Multi-Tasking-Talente, die Überstundenschieber.

Auffällig dabei ist, dass es sich meist um junge Menschen handelt, welche vor allem den Millennials sowie der Gen Z angehören. In den sozialen Medien posten sie Videos und Texte, welche ihre Einstellung zur Arbeit sowie passende Tipps preisgeben.

Für Arbeitgeber könnte es ein Aufruf – oder besser ein Weckruf – sein, um Beschäftigten das zu geben, was sie benötigen, um ihre volle Arbeitsleistung zu erbringen.

Dazu gehören vor allem folgende Punkte:

  • Mehr Geld: Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Eine Lohnanpassung ist in vielen Branchen deshalb überfällig. Wer als Arbeitgeber nicht riskieren will, dass Beschäftigte das Unternehmen verlassen, setzt deshalb (mindestens) auf eine faire Bezahlung.
  • Mehr Wertschätzung: Immer mehr Millennials und auch Gen Z fordern Wertschätzung und Anerkennung von ihren Arbeitgebern – für das, was sie täglich leisten, aber auch für vermeintlich „kleine Gefallen“, um die sie gebeten wurden, die Angestellte zwischen ihre Schichten schieben, um das eine oder andere für Vorgesetzte zu erledigen.
  • Mehr Pausen: Regelmäßige Entspannungspausen sollten gefördert und ein selbstverständlicher Teil der Arbeit sein. Es gilt, nicht nur Pausen zu integrieren, sondern auch eine gesunde Pausenkultur zu entwickeln – was bedeutet, eine positive Einstellung gegenüber Themen wie Entspannung, Erholung und Stressreduktion zu signalisieren und vorzuleben.

Begriff wirke deplatziert und beleidigend

Während die einen nach Lösungen suchen, beschäftigen andere sich mit der Begriffsauslegung. So erwähnt Unternehmer Ed Zitron, dass der Begriff den Arbeitnehmern gegenüber nicht fair wäre. Er wirke deplatziert, beleidigend und stelle Beschäftigte in ein Licht, welches sie als „die Bösen“ darstellt. Seiner Ansicht sei es ein nachvollziehbarer Trend, der zeigen würde, dass Beschäftigte selbstverständlich keine Überstunden schieben müssten, ohne diese bezahlt zu bekommen.

Unternehmer Kevin O’Leary widerspricht: Er stelle nur Menschen ein, die bereit seien, mehr als notwendig zu arbeiten – denn das trage generell zum Erfolg dieser Menschen bei. Mit dieser provokanten Einstellung ist O’Leary nicht allein. Denn noch immer gibt es Unternehmen und Arbeitgeber, die bereit sind, die mentale Gesundheit ihrer Arbeitnehmer aufs Spiel zu setzen, um Unternehmensziele zu erreichen.

Die gute Nachricht: Der Trend „Quiet Quitting“ zeigt eine aktuelle Tendenz, die zunimmt. Immer mehr Beschäftigte setzen sich für ihre Grenzen ein und kämpfen um mehr Rechte und Selbstverständlichkeiten in der Arbeitswelt. Bezahlte Überstunden, eine faire Entlohnung, ein gesundes Arbeitsklima und eine wertschätzende Pausenkultur gehören dazu.

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Bildnachweis: TeoLazarev/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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